„John & Jen“

„John & Jen“ – Musik, Buch: Andrew Lippa; Liedtexte, Buch: Tommy Greenwald; Deutsche Bearbeitung: Timothy Roller. Regie: Nick Westbrock; Ausstattung: Mareen Biermann; Dramaturgie: Anne Christine Oppermann; Musikalische Leitung: William Ward Murta. Darsteller: Michaela Duhme (Jen) und Benedikt Ivo (John). Piano: William Ward Murta, Violoncello: Sigurd Müller, Schlaginstrumente: Arndt Hesse. Uraufführung: 1993, The Norma Terris Theatre, Chester, Connecticut. Off-Broadway Premiere: 1. Juni 1995, Lamb’s Theatre, New York City. Deutschsprachige Erstaufführung: 23. Februar 2018, Theater am Alten Markt, Bielefeld. Besuchte Vorstellung: 26. Februar 2018.



„John & Jen“


Das Kammermusical von Andrew Lippa und Tommy Greenwald als Deutschsprachige Erstaufführung am Theater Bielefeld


Das Kammermusical „John & Jen“ von Andrew Lippa („The Wild Party“ [2000], „The Addams Family“ [2010], „Big Fish“ [2013]) und Kinderbuchautor Tommy Greenwald („Charlie Joe Jackson’s Guide to Not Reading“ [2011]) beleuchtet die komplexen Beziehungen zwischen Brüdern und Schwestern, zwischen Eltern und Kindern vor dem Hintergrund eines sich wandelnden Amerika zwischen 1950 und 1990. Es ist die Geschichte von Jen und ihren Beziehungen zu den beiden Johns in ihrem Leben: ihrem jüngeren Bruder, der im Vietnamkrieg getötet wird, und seinem Namensvetter, ihrem Sohn, der versucht, seinen Weg in einer verwirrenden Welt zu finden.

„John & Jen“, Michaela Duhme (Jen) und Benedikt Ivo (John). © Bettina Stöß

„John & Jen“ war bei der Off-Broadway Premiere am 1. Juni 1995 als „Star Vehicle“ mit Carolee Carmello als Jen besetzt, die 1999 mit einem Drama Desk Award als Outstanding Actress in a Musical für ihre Interpretation der Rolle der Lucille Frank in „Parade“ ausgezeichnet wurde. In einem Hinweis des Regisseurs schrieb Gabriel Barre, der „John & Jen“ bei der Uraufführung am The Norma Terris Theatre und bei der Off-Broadway Premiere am Lamb’s Theatre inszeniert hat: „In telling this story, simpler is better. The show, as it evolved in readings, workshops and productions, became simpler and more suggestive – leaving more to the audiences’ imagination.“

„John & Jen“, Benedikt Ivo (John) und Michaela Duhme (Jen). © Bettina Stöß

Zum Inhalt:
1952 bekommt Jen im Alter von sechs Jahren einen kleinen Bruder, John. Jen möchte ihren Bruder vor dem Hintergrund schwieriger Familienverhältnisse für immer beschützen, und die beiden schließen einen Pakt, immer für einander da zu sein. Als für Jen die Zeit gekommen ist, das College zu besuchen, entflieht sie der familiären Enge nach New York und rät ihrem Bruder, erwachsen zu werden. Die Jahre vergehen, und als sich die beiden nach Jens Abschluss wiedersehen, müssen sie feststellen, wie weit sie sich voneinander entfernt haben: Jen hat in New York das Hippie-Leben genossen, während John sich dem Wunsch seines Vaters folgend freiwillig zur Navy gemeldet hat. Als John von den Plänen seiner Schwester erfährt, nach Kanada zu ziehen, endet das langersehnte Wiedersehen im Streit. John fällt in Vietnam, eine Versöhnung ist für immer ausgeschlossen. 1972 bekommt Jen mit 26 Jahren in Kanada einen Sohn, den sie nach ihrem verstorbenen Bruder John nennt. Diesmal will sie alles richtig machen, doch der Traum seiner Mutter entwickelt sich für John eher zu einem Albtraum. Nach der Highschool möchte John die Columbia Universität besuchen, doch Jen hat Angst, John „wieder zu verlieren“ und versteckt die Zulassungs­papiere. John erkennt, wie verzweifelt seine Mutter ihn braucht, und beschließt, auf den Besuch der Columbia Universität zu verzichten. Ein Streit zwischen beiden eskaliert, und Jen schlägt ihren Sohn…

„John & Jen“, Benedikt Ivo (John) und Michaela Duhme (Jen). © Bettina Stöß

Nick Westbrock („Avenue Q“, Premiere 10. September 2017, Stadttheater Bielefeld) hat das Kammermusical „John & Jen“ im 60 Zuschauer fassenden TAMDREI im 2. Obergeschoss des Theaters am Alten Markt nach Gabriel Barres Motto „weniger ist mehr“ inszeniert, das man 25 Jahre nach der Uraufführung wohl nicht mehr als „neues Musical“ bezeichnen kann, das aber erst jetzt in Bielefeld zur Deutschsprachigen Erstaufführung kommt. Die geradlinige Inszenierung schildert die intime Geschichte zwischen Schwester und Bruder im ersten Akt sowie der alleinerziehenden Mutter und ihrem Sohn im zweiten Akt, wobei der Zuschauer häufig auf seine Vorstellungskraft angewiesen ist. Die intime Atmosphäre im TAMDREI zieht die Zuschauer unweigerlich mitten in das Gefühlschaos hinein. Bühnen- und Kostümbildnerin Mareen Biermann hat ein abstraktes Bühnenbild geschaffen, das den Zuschauer in die Zeit von 1952 bis 1990 irgendwo in die USA versetzt. Die drei rechts von der Spielfläche untergebrachten Musiker unter der Musikalischen Leitung von William Ward Murta bringen Andrew Lippas Partitur emotional berührend zu Gehör.

„John & Jen“, Michaela Duhme (Jen) und Benedikt Ivo (John). © Bettina Stöß

Michaela Duhme (Lucy D. Schlampe u. a. in „Avenue Q“) als Jen und Benedikt Ivo (Nicky/Trekkie Monster u. a. in „Avenue Q“) als John sind in den Rollen von Schwester bzw. Mutter und Bruder bzw. Sohn zu sehen. Die beiden ausgebildeten Musicaldarsteller beherrschen ihr Metier vorbildlich, harmonieren überdies sehr gut miteinander und machen den Vorstellungsbesuch zu einem ausgesprochenen Vergnügen. Während große Teile der Handlung in den Songs transportiert werden, können Michaela Duhme und Benedikt Ivo auch schauspielerisch bemerkenswerte Akzente setzen. Beispielhaft sei an dieser Stelle das Baseballspiel im zweiten Akt genannt, bei dem sich Jen über den Umpire (Schiedsrichter) echauffiert.

Nach etwa zweistündiger Vorstellung bedachten die Zuschauer im TAMDREI Michaela Duhme und Benedikt Ivo sowie William Ward Murta (Piano), Sigurd Müller (Violonchello) und Arndt Hesse (Schlaginstrumente) mit langanhaltendem Applaus. Die nächsten Vorstellungen sind für 9., 15. und 16. März 2018 disponiert.

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