„Everyman (Jedermann)“ am Theater Münster

„Everyman (Jedermann)“ – A Rock Mystery von Günter Werno, Andy Kuntz und Stephan Lill – nach dem englischen Moralitätenspiel „Everyman“ aus dem Jahr 1490 und dem Schauspiel „Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ von Hugo von Hofmannsthal; Inszenierung: Johannes Reitmeier; Choreografie: Jason Franklin; Bühne: Thomas Dörfler; Kostüme: Michael D. Zimmermann; Dramaturgie: Isumi Rögner; Musikalische Leitung: Thorsten Schmid-Kapfenburg. Darsteller: Paul Kribbe (Everyman, ein Jedermann), Andy Kuntz (God, Gott/Death, der Tod), Hermann Bedke (Fellowship, Jedermanns Gesell/Devil, der Teufel), Fritz Steinbacher (Cousin, Jedermanns dicker Vetter/Confession, Jedermanns Glaube), Henrike Jacob (Kindred, Jedermanns dünne Base/Angel, ein Engel), Suzanne McLeod (Mother, Jedermanns Mutter/Good Deeds, Jedermanns gute Werke), Ulrike Knobloch (Paramour, Jedermanns Geliebte/Goods, Jedermanns Mammon), Christian-Kai Sander (Steward/Master of Ceremonies, Conférencier), Carmen Finzel, Lisa Loomann, Marie Luise Reuther (Cashgirls/Maids/Soul Guardians). Vanden Plas: Günter Werno (Klavier/Keyboards), Stephan Lill (Gitarre), Torsten Reichert (Bass), Andreas Lill (Schlagzeug). Uraufführung: 11. April 2015, Pfalztheater Kaiserslautern. Österreichische Erstaufführung: 22. April 2017, Tiroler Landestheater, Innsbruck. Premiere: 13. Januar 2018, Theater Münster.



„Everyman (Jedermann)“


A Rock Mystery von Günter Werno, Andy Kuntz und Stephan Lill am Theater Münster


„Von der Kunst, das rechte Sterben zu lernen“ – das ist einer der Untertitel, den der mittelalterliche Theaterstoff „Everyman. A Morality Play“ erhielt, bevor er in der Fassung von Hugo von Hofmannsthal (* 1. Februar 1874 in Wien, † 15. Juli 1929 in Rodaun bei Wien) literarischen Weltruhm erlangte. Hugo von Hofmannsthal hat sich 1910 nach einer Begegnung mit Max Reinhardt (* 9. September 1873 in Baden bei Wien, † 31. Oktober 1943 in New York) zu einer Neukonzeption der bisherigen Übersetzung des „Jedermann“ entschlossen, die am 1. Dezember 1911 im Berliner Zirkus Schumann unter der Regie von Max Reinhardt uraufgeführt wurde und in der Hugo von Hofmannsthal eine Reihe von Details aus der „Comedi vom sterbend reichen Menschen“ von Hans Sachs (1549) verwendete. Seit 22. August 1920 wird das Stück jedes Jahr bei den von Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal begründeten Salzburger Festspielen auf dem Platz vor dem Salzburger Dom aufgeführt. Am 10. Juli 2014 kam „Jedermann – Die Rockoper“ von Wolfgang Böhmer (Musik) und Peter Lund (Text, nach Hugo von Hofmannsthal) bei den 21. DomStufen-Festspielen in Erfurt in einer Inszenierung von Peter Lund mit Andreas Lichtenberger (Jedermann) und Brigitte Oelke (Der Tod) zur Uraufführung, und ab 11. April 2015 war „Everyman – A Rock Mystery“ von Günter Werno, Andy Kuntz, Stephan Lill und Johannes Reitmeier – nach dem englischen Moralitätenspiel „Everyman“ aus dem 15. Jahrhundert – mit Randy Diamond (Everyman) und Vanden Plas-Sänger Andy Kuntz (God/Death) am Pfalztheater Kaiserslautern zu sehen.

„Everyman (Jedermann)“, Lisa Loomann und Paul Kribbe. © Oliver Berg, Theater Münster

Johannes Reitmeier, von 2002 bis 2012 Intendant des Pfalztheaters Kaiserslautern und ab der Spielzeit 2012/2013 Intendant des Tiroler Landestheaters Innsbruck, konnte bereits mit „Abydos“ (Uraufführung 25. Februar 2006, Pfalztheater Kaiserslautern), „Ludus Danielis – The Play of Daniel“ (Uraufführung 12. Januar 2008, Pfalztheater Kaiserslautern), „Christ 0“ (Uraufführung 11. April 2008, Staatstheater am Gärtnerplatz, München; ab 24. Januar 2010 am Pfalztheater Kaiserslautern) oder „Die Chronik der Unsterblichen – Blutnacht“ (Uraufführung 21. Januar 2012, Pfalztheater Kaiserslautern), die in Zusammenarbeit mit der Kaiserslauterer Progressive-Metal-Band Vanden Plas und deren Sänger Andy Kuntz produziert wurden, respektable Erfolge in Kaiserslautern verbuchen, und auch für den „Everyman“-Stoff konnte er Vanden Plas-Keyboarder Günter Werno, Sänger Andy Kuntz und Gitarrist Stephan Lill begeistern, so dass dieser schließlich am 11. April 2015 als Rockspektakel am Pfalztheater Kaiserslautern uraufgeführt wurde. Das Theater Münster zeigt das Stück ab 13. Januar 2018 als Kooperation mit dem Pfalztheater Kaiserslautern und dem Tiroler Landestheater Innsbruck. Gespielt wird in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln.

„Everyman (Jedermann)“, Andy Kuntz (Death). © Oliver Berg, Theater Münster

Gott hat entschieden, Jedermann soll sterben und schickt ihm den Tod. Damit hat Jedermann nicht gerechnet – in der Blüte seiner Jahre, erfolgreich, wohlhabend und gesellschaftlich geachtet. Hat er denn nicht alles richtig gemacht? Hat er seine Stellung und seinen Besitz nicht hart erarbeitet? Wie kann der Tod es wagen, ihm all das zu nehmen? Vielleicht hätte er gütiger sein sollen, einen säumigen Schuldner hatte er gedankenlos seinem Schicksal überlassen und seiner Geliebten stattdessen einen Lustgarten geschenkt. Selbst seine Mutter ermahnt ihn vergeblich zum rechten Glauben. Auch der Teufel macht sich Sorgen um seine eigene Zukunft, denn den Menschen fehlt der rechte Glaube. Auf einem Fest im Haus der Geliebten kündigt der Tod Jedermanns nahes Ende an, auf dessen Flehen gewährt er nur einen kurzen Aufschub. Doch das Sterben hat Jedermann nicht gelernt, nur dass das letzte Hemd wirklich keine Taschen hat – das lernt Jedermann schneller als ihm lieb ist. Seine Bediensteten und seine Familie verteilen bereits vorausschauend das Erbe, und auch seine Reichtümer in Person des Mammons erklären sich nicht bereit, mit ihm zu gehen. Wer also wird Jedermann auf seiner letzten Reise begleiten? Da erscheint Werke. Die eine gute Tat, die Jedermann in seinem Leben beging, wird ihn auf seiner letzten Reise begleiten…

„Everyman (Jedermann)“, Ulrike Knobloch (Paramour), Carmen Finzel, Fritz Steinbacher (Cousin), Henrike Jacob (Kindred), Andy Kuntz (Death, hinten), Paul Kribbe (Everyman) und Suzanne McLeod (Mother). © Oliver Berg, Theater Münster

Johannes Reitmeier hat mit „Everyman (Jedermann)“ eine bildgewaltige, aktuelle Inszenierung des mittelalterlichen Moralitätenspiels geschaffen, in der die Frage nach Anfang und Ende des menschlichen Daseins im Mittelpunkt steht, auch wenn es vordergründig um das christliche Heilsbild geht. Wie bereits bei der Uraufführung gehören Bühnenbildner Thomas Dörfler, seit 2002 Ausstattungsleiter des Pfalztheaters Kaiserslautern, und Kostümbildner Michael D. Zimmermann, seit 2007 Ausstattungsleiter am Tiroler Landestheater Innsbruck, erneut zum Kreativteam. Ein womöglich angedeutetes Firmament bildet den Handlungsrahmen, die Menschheit hat sich von Gott abgewandt und ist ausnahmslos zu Smartphone Zombies mutiert, Jedermann verteilt nach seiner Rückkehr zum Glauben Geschenke aus Mülltonnen, mit Ausnahme des Todes steht das Ensemble in beinahe jeder der 23 Szenen in anderen Kostümen auf der Bühne, angefangen von der grauen, unscheinbaren Kleidung im Prolog bis hin zu den goldenen Glitzerkostümen beim pompösen Auftritt von Jedermanns Mammon. Die Einstudierung der ansprechenden Choreografie hat in Münster der Amerikaner Jason Franklin aus dem Ensemble des Tanztheater Münster übernommen, die Uraufführung in Kaiserslautern hatte Christopher Tölle choreografiert. Gegenüber den Produktionen in Kaiserslautern und Innsbruck, bei denen die Orchesterstimmen als Samples eingespielt wurden, hat Günter Werno für die Produktion in Münster auf Wunsch des Generalintendanten eine orchestrierte Neufassung für Sinfonieorchester und Rock-Band geschaffen, die unter der Musikalischen Leitung des zweiten Kapellmeisters an den Städtischen Bühnen Münster Thorsten Schmid-Kapfenburg in einem fulminanten Hörerlebnis resultiert: Das Sinfonieorchester Münster in zweiundzwanzigköpfiger Besetzung und die vier Vanden Plas-Musiker bedienen das gesamte Spektrum der Kompositionen von Metal-Rock über Klassik bis hin zur Kirchenmusik geradezu beeindruckend.

„Everyman (Jedermann)“, Andy Kuntz (Death) und Paul Kribbe (Everyman). © Oliver Berg, Theater Münster

Paul Kribbe (Lord Farquaad in „Shrek – Das Musical“, Deutschsprachige Erstaufführung 19. Oktober 2014, Regie Andreas Gergen) ist neben seiner Musicalkarriere als Choreograf tätig, zuletzt für „Jesus Christ Superstar“ am Musiktheater im Revier. Mit Paul Kribbe ist die Figur des Everyman im strahlend weißen Anzug mit einem charismatischen Darsteller besetzt, anfänglich arrogant und überheblich, lernt er es in seiner letzten Stunde gerade noch rechtzeitig, dass Geben seliger ist denn Nehmen. In seinem Solo „Forfeit“/„Letzte Hoffnung“ bringt er berührend seine Zuversicht zum Ausdruck, doch noch einen wahren Freund zu finden, der ihn auf seinem letzten Weg begleiten wird, nachdem ihm sein Gesell und seine Verwandten die Gefolgschaft verweigert haben. Vanden Plas-Sänger Andy Kuntz macht sich selbst wie bereits bei den vorherigen Produktionen in Kaiserslautern und Innsbruck in der Rolle des Todes mit reichhaltig mit Ziernieten bestückter schwarzer Kutte, schwarzweißer Maske und Schwingen auf den Weg, um Jedermann vor das göttliche Gericht zu rufen, und führt sich mit „Death“/„Der Triumph des Todes“ Aufsehen erregend ein. Mögen Andy Kuntz und Paul Kribbe auf der Bühne zwar Gegenspieler sein, in „Gentle death“/„Eine letzte Frist“ harmonieren sie stimmlich dennoch hervorragend miteinander. Folkwang-Alumnus Hermann Bedke, der anstelle von Mischa Mang die Rollen von Jedermanns Gesell und Teufel übernommen hat, läuft im zweiten Akt als Mephisto in „Enough is enough“/„Die Hölle fordert ihre Rechte“ zur Höchstform auf, wären da nur nicht die drei geheimnisvollen Frauen, die sich für Jedermann stark machen und ihm dessen sicher geglaubte Seele abspenstig machen. Tenor Fritz Steinbacher, bis 2013 am Theater Münster und aktuell am Theater Dortmund beschäftigt, kann in den Rollen von Jedermanns Vetter und Jedermanns Glaube insbesondere mit seinem Solo „Confession“/„Rückkehr zum Glauben“ eindringlich auf sich aufmerksam machen. Sopranistin Henrike Jacob aus dem Musiktheater-Ensemble setzt als Jedermanns Base und Engel mit ihrem Solo „Angel“/„Auf Engelsflügeln“ ebenfalls einen Glanzpunkt im zweiten Akt. Suzanne McLeod aus dem Musiktheater-Ensemble berührt mit ihren Auftritten als Jedermanns Mutter im Rollstuhl, die ihrem Sohn den fehlenden Glauben vorhält, sowie als Gute Werke, die als schwächliche Frau am Tropf hängt. Ulrike Knobloch aus dem Schauspiel-Ensemble versichert Jedermann als seine Geliebte mit „Hold me closer“/„Buhlschafts Trost“ ihre Zuneigung und hat in der großen Shownummer „Mammon“/„Irdische Güter“ im zweiten Akt als Jedermanns Mammon einen – im wörtlichen Sinne – glänzenden Auftritt. Christian-Kai Sander aus dem Opernchor als Steward/Conférencier, Carmen Finzel aus dem Extrachor des Theaters Münster, Lisa Loomann vom Freien Musical-Ensemble Münster und Marie Luise Reuther, Populargesang-Jungstudentin im Rahmen der Jugendakademie Münster, sollen als Cashgirls/Maids/Soul Guardians an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Opernchor und Extrachor des Theaters Münster sorgen in den Massenszenen für die nötige Klangfülle.

Was den „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen seit knapp 100 Jahren zum „Dauerbrenner“ macht, vermag ich nicht zu beurteilen, und ob man das Crossover Projekt „Everyman (Jedermann)“ von Günter Werno, Andy Kuntz und Stephan Lill nun als Musical, Rockoper oder Rockspektakel bezeichnet, ist eher von untergeordneter Bedeutung, sicher ist nur: „Spectacles müssen seyn…“ (Kaiserliches Dekret von Maria Theresia vom 9. Juni 1759) Und diesbezüglich war sich das Premierenpublikum in Münster auch einig: Alle Akteure auf der Bühne, Musiker und das Kreativteam wurden mit langanhaltendem Stehapplaus bedacht. „Everyman (Jedermann)“ steht bisher lediglich mit insgesamt 10 Vorstellungen noch bis 29. Mai 2018 auf dem Spielplan. Doch schon bei der Premierenfeier ließ Generalintendant Dr. Ulrich Peters verlauten, sich schnellstmöglich um Zusatzvorstellungen bemühen zu wollen. Weiterhin war zu erfahren, dass in der kommenden Spielzeit das Musical „Sugar (Manche mögen’s heiß)“ von Jule Styne (Musik), Bob Merrill (Gesangstexte) und Peter Stone (Buch) nach dem Film „Some Like It Hot“ von Billy Wilder und I. A. L. Diamond gezeigt werden soll.

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