Stadttheater Bielefeld: „Swing Mr. Jurmann – Briefe an Veronika“

„Swing Mr. Jurmann – Briefe an Veronika“ – Musik: Walter Jurmann; Text und Inszenierung: Nick Westbrock; Choreografie: Michaela Duhme; Ausstattung: Mareen Biermann; Video: Lena Thimm; Dramaturgie: Jón Philipp von Linden; Musikalische Leitung: Anahit Ter-Tatshatyan. Darsteller: Navina Heyne (Veronika). Uraufführung: 3. April 2017, Stadttheater Bielefeld, Loft, Bielefeld. Besuchte Vorstellung: 16. April 2017.



„Swing Mr. Jurmann – Briefe an Veronika“


Aufführung im Loft am Stadttheater Bielefeld


Der österreichische Komponist Walter Jurmann (* 12. Oktober 1903 in Wien, † 17. Juni 1971 in Budapest) studierte auf Wunsch seiner Eltern zunächst in Wien Medizin, bevor ihm im Hotel Panhans in Semmering (Niederösterreich) die Stelle als Barpianist angeboten wurde und er sein Medizinstudium daraufhin abbrach, um sich fortan beruflich der Musik zu widmen. Ihm verdanken wir über 300 Schlager, Chansons und Filmmusiken. „Veronika, der Lenz ist da!“ wurde zur Erkennungs­melodie des Berliner Vokalensembles Comedian Harmonists, aber die wenigsten werden Walter Jurmann als Komponist mit dem Titel verbinden. „Swing Mr. Jurmann – Briefe an Veronika“ im Loft des Stadttheaters Bielfeld ist eine Hommage an den bei einem Besuch in Besuch in Budapest im Alter von siebenundsechzig Jahren unerwartet an einem Herzinfarkt verstorbenen Künstler.

Zum Inhalt:
Die freiberufliche Sängerin Veronika aus Berlin, die soeben eine negative Kritik einstecken musste, ist aus Erb­schafts­gründen nach Los Angeles gereist. Hier nimmt sie eine Kiste mit Briefen, Schallplatten und weiteren Unterlagen in Empfang, die trotz des für sie unbekannten Absenders ihren Namen und ihre Berliner Anschrift tragen. Gespannt begibt sie sich auf einen Trip durch ein vergangenes Leben, das verwirrende Parallelen zu ihrem eigenen aufweist und ihr vor allem eine Persönlichkeit näher bringt: Walter Jurmann, Pianist, Komponist, Arrangeur, Salonlöwe, Weltenbummler, Lebemann – und womöglich der heimliche Geliebte der Adressatin? Veronika liest die Briefe von Walter Jurmann an die Veronika, die er seinerzeit im Berliner Hotel Eden kennen gelernt hat, singt Walter Jurmanns Lieder und begibt sich zusammen mit den Zuhörern auf eine Reise in die Goldenen Zwanziger, wo Walter Jurmann im Hotel Eden den Job des Barpianisten angenommen und mit „Was weißt denn du, wie ich verliebt bin“ seinen ersten großen Hit gelandet hat, nachdem der österreichische Autor Fritz Rotter einige Jahre zuvor dessen Talent erkannt und eine Zusammenarbeit in Berlin vorgeschlagen hatte.

Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten emigrierte der jüdischstämmige Walter Jurmann nach Paris und bekam 1934 zusammen mit seinem Arrangeur Bronisław Kaper von Louis B. Mayer einen Siebenjahresvertrag bei Metro-Goldwyn-Mayer angeboten, woraufhin er im Oktober 1934 nach Amerika auswanderte, um dort Filmmusik zu komponieren. 1941 entschied Walter Jurmann, seinen Vertrag bei MGM nicht zu verlängern, und meldete sich freiwillig zum Militär, als die USA in den Zweiten Weltkrieg eintraten. Fasziniert von seiner Musik reift in Veronika ein Plan, der ihr Leben verändern wird: Sie sagt ihr Konzert ab und entscheidet sich, nicht sofort nach Berlin zurückzukehren.

Navina Heyne (Veronika). © Theater Bielefeld, Foto Jón Philipp von Linden

In der Regie des Autors Nick Westbrock – seit 2015 am Theater Bielefeld als Regieassistent und Abendspielleiter im Musiktheater engagiert – ist Musicaldarstellerin Navina Heyne (Petra in „A Little Night Music (Das Lächeln einer Sommernacht)“, Blanche Barrow in „Bonnie & Clyde“, Daisy Hilton in „Die Show ihres Lebens“) als Veronika im Loft zu erleben. Mit den Brieftexten von Walter Jurmann, bei denen Thomas Borchert dem Komponisten aus dem Off seine Stimme geliehen hat, lässt Nick Westbrock diesen für die Zuhörer noch einmal lebendig erscheinen. Gekonnt lotet Navina Heyne mit den Mitteln des Musikalischen Unterhaltungstheater die Bandbreite der menschlichen Gefühle in Walter Jurmanns Liedern aus, zu „A Paris, tiguidiguidi“ aus dem Film „Une femme au volant“ (1933, Regie Pierre Billon und Kurt Gerron) gibt es im intimen Loft auch eine Steppeinlage (Choreografie Michaela Duhme) zu sehen. Die armenische Pianistin Anahit Ter-Tatshatyan – seit der Spielzeit 2012/13 Solorepetitorin mit Dirigierverpflichtung am Bielefelder Theater – begleitet Navina Heyne einfühlsam am Flügel.

Songs:
  • „Du bist nicht die erste“ aus dem Film „Ihre Majestät die Liebe“, Lyrics Rudolf Bernauer, Rudolf Österreicher, 1931
  • „Frauen brauchen immer einen Hausfreund“, Lyrics Fritz Rotter, 1930
  • „Ninon“ aus dem Film „Ein Lied für Dich“, Lyrics Fritz Rotter, Ernst Marischka, 1933
  • „A Paris, tiguidiguidi“ aus dem Film „Une femme au volant“, Lyrics Louis Poterat, 1933
  • „Thank You, America“ aus dem Film „Nice Girl?“, Lyrics Bernie Grossman, 1941
  • „Tomorrow is Another Day“ aus dem Film „A Day at the Races“, Lyrics Gus Kahn, 1937
  • „San Francisco“ aus dem gleichnamigen Film, Lyrics Gus Kahn, 1936
  • „Swing Mr. Mendelssohn“ aus dem Film „Everybody Sing“, Lyrics Gus Kahn, 1938
  • „All God’s Chillun Got Rhythm“ aus dem Film „A Day at the Races“, Lyrics Gus Kahn, 1937
  • „Down on Melody Farm“ aus dem Film „Everybody Sing“, Lyrics Gus Kahn, 1938
  • „Ein Lied aus meiner Heimat“ aus dem Film „Melodie der Liebe“, Lyrics Fritz Rotter, 1932
  • „Veronika, der Lenz ist da!“, Lyrics Fritz Rotter, 1930
  • „A Better World to Live In“, Lyrics Walter Jurmann, 1967

Eine weitere Vorstellung von „Swing Mr. Jurmann – Briefe an Veronika“ ist für den 4. Mai 2017 disponiert.

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