Gandersheimer Domfestspiele: „Die drei Musketiere“

„Die drei Musketiere“ – nach dem gleichnamigen Roman von Alexandre Dumas; Musik, Songtexte: Rob und Ferdi Bolland; Buch: André Breedland; Deutsche Bearbeitung: Ruth Deny (Dialoge), Wolfgang Adenberg (Liedtexte); Regie: Craig Simmons; Choreografie: Marc Bollmeyer; Kampf-Choreografie: Christian Ewald; Ausstattung: Kati Kolb; Dramaturgie: Jennifer Traum; Musikalische Leitung: Heiko Lippmann. Darsteller: Merlin Fargel (D’Artagnan), Franziska Becker (Milady de Winter), Ron Holzschuh (Kardinal Richelieu), Franziska Schuster (Constance), Udo Eickelmann (Athos), Mario Gremlich (Porthos), Veit Schäfermeier (Aramis), Maike Switzer (Königin Anna), Fehmi Göklü (König Ludwig XIII/Ensemble), Thorin Kuhn (Rochefort/Ensemble), Daniel Printz (Lord Buckingham/Ensemble), Bosse Vogt (James/Ensemble), Susanna Panzner (Conférencier/Ensemble), Wolfgang Grindemann (Vater/Monsieur Bonacieux/Ensemble), Alice Susan Hanimyan, Laura Joeken, Tabea Scholz, Luise Schubert, Nicolai Schwab. Uraufführung: 30. März 2003, Nieuwe Luxor Theater, Rotterdem. Deutschsprachige Erstaufführung: 6. April 2005, Theater des Westens, Berlin. Premiere: 24. Juni 2016, Gandersheimer Domfestspiele, Bad Gandersheim. Besuchte Vorstellung: 9. Juli 2016.



„Die drei Musketiere“


Die Mantel-und-Degen-Geschichte als Musical vor der Gandersheimer Stiftskirche


1844 erschien der Roman „Les Trois Mousquetaires“ („Die drei Musketiere“) von Alexandre Dumas erstmalig kapitelweise in der Zeitung „Le Siècle“. Er ist der erste Teil einer Trilogie über d’Artagnan und seine drei Freunde Athos, Porthos und Aramis, für den Charles de Batz de Castelmore, genannt comte d’Artagnan, Henry d’Aramitz, Isaac de Portau und Armand de Sillègue d’Athos d’Autevielle Pate standen. Die niederländischen Musiker und Produzenten Rob und Ferdi Bolland, die in den 1980er-Jahren durch Kompositionen für Falco („Rock me Amadeus“, „Jeanny“, „Vienna Calling“) oder Status Quo („In the Army now“) große Erfolge verbuchen konnten, schrieben die Musik und Texte zum Musical „3 Musketiers, de Musical“, das am 30. März 2003 am Nieuwe Luxor Theater, Rotterdem mit Pia Douwes (Milady de Winter), Stanley Burleson (Kardinal Richelieu) und Henk Port (Athos) uraufgeführt wurde. In Deutschland wurde „3 Musketiere“ in der Bearbeitung von Ruth Deny (Dialoge) und Wolfgang Adenberg (Liedtexte) am 6. April 2005 erstmalig am Theater des Westens, Berlin mit Patrick Stanke (D’Artagnan), Pia Douwes (Milady de Winter), Uwe Kröger (Kardinal Richelieu) und Sabrina Weckerlin (Constance) gezeigt, ab 12. November 2006 folgten Vorstellungen am Apollo Theater im SI-Centrum, Stuttgart mit Pia Douwes (Milady de Winter) und Ethan Freeman (Kardinal Richelieu). Die Freilichtspiele Tecklenburg zeigten das Musical im Sommer 2010 erstmals open air in Deutschland, die Felsenbühne Staatz ebenfalls im Sommer 2010 erstmals in Österreich. Die Gandersheimer Domfestspiele zeigen das Musical in dieser Saison als zweite Musical­produktion nach der Uraufführung von „Highway to Hellas“ unter dem Titel „Die drei Musketiere“, es handelt sich aber nach wie vor um die Version von Rob und Ferdi Bolland und nicht um eine deutsche Fassung von „The three Musketeers“ von George Stiles, das am 18. März 2016 an der Oper Halle als „Die drei Musketiere“ seine deutsche Erstaufführung erlebte.

Noch übt D’Artagnan (Merlin Fargel, Mitte) gemeinsam mit seinen Freunden (Nicolai Schwab, links; Bosse Vogt, 2. von rechts; Thorin Kuhn, rechts) das Fechten mit Stöcken. Sein Vater (Wolfgang Grindemann, hinten) beobachtet ihn besorgt. Foto: Hillebrecht/Die Foto-Maus

Wie der Roman von Alexandre Dumas verfolgt auch das Musical die Geschichte des jungen D’Artagnan, der nach Paris zieht, um dort wie sein Vater ein Musketier zu werden und in der Leibgarde des Königs zu Ruhm und Ehre zu gelangen. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten schließt der ungestüme junge Mann Freundschaft mit den Musketieren Athos, Porthos und Aramis und verliebt sich in die schöne Constance, die Kammerzofe der Königin Anna. Bald kommt D’Artagnan gemeinsam mit seinen neuen Freunden zu seinem ersten großen Auftrag: Der machtbesessene Kardinal Richelieu und die mysteriöse Milady de Winter spinnen eine Intrige, um die Königin zu diskreditieren und einen Krieg auszulösen. Um das drohende Unheil zu verhindern, stürzen sich D’Artagnan, Athos, Aramis und Porthos für Volk und Vaterland in größte Gefahr. Nachdem Athos, Aramis und Porthos von Rochefort, dem einäugigen Hauptmann der Kardinalsgarde, gefangen genommen wurden, macht sich D’Artagnan allein auf den Weg nach England, um für die Königin ein Collier, das sie durch eine Intrige Richelieus ihrem Jugendfreund Buckingham übergeben hatte, nach Frankreich zurückzubringen und sie vor der drohenden Kompromittierung vor ihrem Mann und dem Volk zu retten. Wer den Roman gelesen hat, weiß, dass bis zur Ernennung D’Artagnans zum Musketier noch einige Abenteuer auf ihn warten…

D’Artagnan (Merlin Fargel, Mitte) schwärmt von seiner großen Liebe Constance. Die Musketiere Porthos (Mario Gremlich, links), Aramis (Veit Schäfermeier, rechts) und Athos (Udo Eickelmann, hinten rechts) sind amüsiert. Foto: Hillebrecht/Die Foto-Maus

Wer nun Bilder aus der Inszenierung von Paul Eenens im Bühnenbild von Eric van der Palen mit den Kostümentwürfen von Yan Tax („Mozart!“ und „Elisabeth“ in Wien) vor Augen hat – trifft hier auf eine schlichtere Ausstattung. Angepasst an die eher nüchterne Sandsteinfassade der Gandersheimer Stiftskirche haben Ausstattung und Kostüm hier eher Symbolkraft und sind – gegenüber früheren Großproduktionen von Stage Entertainment – eher schmucklos gehalten. Das Bühnenbild von Diplom-Kostüm­designerin Kati Kolb, die bereits die Ausstattung für „Chess“, „Cabaret“ und „Evita“ bei den Gandersheimer Domfestspielen verantwortete, besteht aus ein paar schlicht hellbeigen Kuben und Treppen, die rechts und links die Bühne säumen. Hieraus werden die verschiedenen Schausplätze der Handlung (Louvre, Karmeliter­kloster in Luxembourg, Marktplatz, Kathedrale usw.) und lassen der Phantasie der Zuschauer einigen Spielraum. Ein Steg über die ersten neun Zuschauerreihen schafft zusätzliche Auftrittsmöglichkeiten. Ihre Kostümentwürfe sollen zwar an den Frühbarock erinnern, sind aber einfacher gehalten, beispielsweise fehlt die Halskrause, die auf Gemälden häufig zu sehen ist, die Ludwig XIII. zeigen. Charakteristisches Kleidungsstück der Mousquetaires de la garde (Musketiere der Garde) ist der blaue Kasack, allerdings nicht aufwendig bestickt. Regisseur Craig Simmons, der bereits die Gandersheimer Erfolgsmusicals „Cabaret“ und „Evita“ in den Jahren 2013 und 2014 vor der Stiftskirche inszenierte, orientiert sich bei seiner Inszenierung an der Arbeit von Paul Eenens in der bearbeiteten deutschen Fassung, die Besetzung des Conférenciers mit Susanna Panzner (Christo van Klaveren in Rotterdam bzw. Oliver Mülich in Berlin) ändert nichts an dessem Rollenprofil. Leider ist „die Überfahrt“ D’Artagnans über den Ärmelkanal in Bad Gandersheim komplett gestrichen. Der Prolog des zweiten Aktes wird in der Original-Inszenierung in Form einer eingefügten Spielszene präsentiert, in Bad Gandersheim vermisst man Zuschauer auf der Bühne, die für die klare Erkennbarkeit des Schauspiels als solches vonnöten gewesen wären. (Wer das Stück nie zuvor gesehen hat, dem werden beide Deatils sicher nicht auffallen.) Für die Tanz- und Fechtszenen, die der Mantel-und-Degen-Geschichte den gehörigen Schwung verleihen, wurden gleich zwei Choreografen engagiert: Die Tanzchoreografien hat Marc Bollmeyer übernommen, dessen schwungvolle Choreografien in diesem Jahr auch in „Highway to Hellas“ zu erleben sind. Die intensiven Kampfszenen, in denen sich die Musketiere mit der zahlenmäßig klar überlegenen Leibgarde des Kardinals Richelieu auseinandersetzen, hat der erfahrene Göttinger Fechtchoreograf Christian Ewald einstudiert. Diese werden von den DarstellerInnen – auch Franziska Becker (Milady de Winter) muss fechten können – eindrucksvoll umgesetzt, so dass es eine Freude ist, bei den Bühnengefechten zuzuschauen. Der Musikalische Leiter Heiko Lippmann hat die Songs für die neunköpfige Festspiel-Band neu arrangiert – verlässliche Angaben hierzu sind im Programmheft leider nicht zu finden – so dass sie teilweise neue Akzente bekommen und stellenweise ein wenig rauer klingen.

Haben die große Liebe gefunden: Constance (Franziska Schuster) und D’Artagnan (Merlin Fargel). Foto: Hillebrecht/Die Foto-Maus

Die DarstellerInnen der deutschsprachigen Erstaufführung haben mit den Interpretationen ihrer Rollen (auch auf der Castaufnahme) durchaus Maßstäbe gesetzt, die schwerlich zu toppen sind. Auch hier gilt: am besten gleich vergessen. Die 19 Darsteller in der Produktion der Gandersheimer Domfestspiele zeigen weitgehend eigenständige Interpretationen ihrer Rollen. Als D’Artagnan ist der junge, charismatische Musicaldarsteller Merlin Fargel vor der Stiftskirche zu erleben, der in diesem Jahr seine Musicalausbildung an der Folkwang Universität der Künste in Essen abgeschlossen hat. Seinen großen Schwarm Constance spielt Franziska Schuster, die bei den Gandersheimer Domfestspielen vor zwei Jahren für ihre Titelrolle im Musical „Evita“ mit dem begehrten Roswitha-Ring ausgezeichnet wurde. Franziska Schuster war bis vor kurzem als Mozarts Geliebte Constanze Weber am renommierten Raimund Theater in Wien in „Mozart! Das Musical“ zu sehen und wird dort ab September diesen Jahres in der Uraufführung von „Schikaneder – Die turbulente Liebes­ge­schichte hinter der Zauberflöte“ als Eleonores beste Freundin Barbara Gerl auf der Bühne stehen. Die beiden umgarnen sich so glaubhaft, da bringt Milady de Winter mit ihrer Rache an Contance sicher auch noch den letzten Zuschauer gegen sich auf. Franziska Becker und Ron Holzschuh überzeugen als Milady de Winter, die sich – an der Liebe zerbrochen – in die Intrigen des Kardinals verwickeln lässt, dabei aber auch eigene Ziele verfolgt, und als Kardinal Richelieu, der machtbesessen und von religiösem Eifer getrieben selbstgefällig sein Ziel verfolgt, die Hugenotten auszurotten und die Macht der Kirche zu festigen. Die drei Musketiere werden von Udo Eickelmann als ruhiger und überlegt handelnder Musketier Athos, Mario Gremlich als gutherziger, aber sehr impulsiver Musketier Porthos und Veit Schäfermeier als frommer Musketier Aramis verkörpert. Maike Switzer kann als Königin Anna ihr einziges Solo „Kein geteiltes Leid“ nutzen, um auf sich aufmerksam zu machen. Im Trio „Wer kann schon ohne Liebe sein?“ harmoniert sie sehr schön mit Franziska Becker (Milady de Winter) und Franziska Schuster (Constance). Fehmi Göklü macht als König Ludwig XIII im Vergleich zu Kardinal Richelieu bereits optisch sichtbar, wem die eigentliche Macht im Staat obliegt.

Ist besessen von seiner Gier nach Macht: Der Kardinal Richelieu (Ron Holzschuh). Foto: Hillebrecht/Die Foto-Maus

Die mitreißende Freiluft-Inszenierung kann sechs Jahre nach den letzten Open-Air-Produktionen in Tecklenburg und Staatz durchaus überzeugen, und es ist bei gutem Wetter wie bei der besuchte Vorstellung am 9. Juli 2016 ein Vergnügen, die Abenteuer von D’Artagnan auf der Bühne vor dem Westportal der Stiftskirche zu verfolgen. Bei den 58. Gandersheimer Domfestspielen stehen noch bis zum 24. Juli 2016 neben „Die drei Musketiere“ auch die Komödie „Der Kirschgarten“, die Musiktheaterproduktionen „Die Comedian Harmonists“ und „Highway to Hellas“, das Kinder- und Familienstück „Michel aus Lönneberga“ sowie der Schauspielmonolog „Judas“ auf dem Spielplan. Weitere Informationen unter www.gandersheimer-domfestspiele.de.

„Wer kann schon ohne Liebe sein?“ Milady de Winter (Franziska Becker, links), Constance (Franziska Schuster, Mitte) und Königin Anna (Maike Switzer) träumen von einem glücklichen Leben. Foto: Hillebrecht/Die Foto-Maus

Kommentare