„Erich Grisar. Ruhrgebietsfotografien 1928 – 1933“

Sonderausstellung in der Galerie des Ruhr Museums

Ab dem 14. März 2016 erwartet die Besucherinnen und Besucher des Ruhr Museums in seiner Galerie eine fotografische Entdeckung. 200 bisher größtenteils unveröffentlichte oder längst in Vergessenheit geratene Ruhrgebietsbilder des Dortmunder Schriftstellers und Fotografen Erich Grisar zeichnen ein weitgehend unbekanntes Bild des Ruhrgebiets, vor allem der Stadt Dortmund, in der Zeit der späten Weimarer Republik.

Ausstellungsplakat „Erich Grisar. Ruhrgebietsfotografien 1928 – 1933“, Gestaltung: Uwe Loesch, © Ruhr Museum

Erich Grisar beobachtete zwischen 1928 und 1933 mit seiner Kamera den Alltag im Ruhrgebiet. Mit seinen Schwarz-Weiß-Bildern dokumentiert er im Stil der Sozialreportage und mit einem geschärften Blick Themen des Arbeits- und Alltagslebens im Ruhrgebiet, zu denen er zeitlebens auch schriftstellerisch gearbeitet hat. Mit präziser Genauigkeit beobachtete er vor allem das Arbeitermilieu und die zahlreichen Bilder von spielenden und arbeitenden Kindern sind die größte Entdeckung der Ausstellung.

Erich Grisars Plaubel Makina I

Seine Fotografien zeigen eine Innensicht des Reviers und sind mit einem empathischen Blick für die Menschen ins Bild gesetzt. Er interessierte sich für das Leben in der Stadt, für den Alltag in den Siedlungen mit den mächtigen Industrie­anlagen im Hintergrund, für die harte körperliche Arbeit und die technischen Fertigkeiten der unterschiedlichen Berufs­gruppen. Er wusste, wovon er in seinen Bildern erzählt, weil er Milieus zeigt, in denen er groß geworden war und zu denen er profunde Kenntnisse besaß.

Baubude der Firma August Klönne; © Stadtarchiv Dortmund, Foto: Erich Grisar

Der im Dortmunder Stadtarchiv lagernde fotografische Nachlass Erich Grisars umfasst mehr als 4.200 Negative und Glasplatten, wovon circa 1.500 im Ruhrgebiet entstanden. Die Fotografien waren von Erich Grisar eigenhändig durchnummeriert, es gibt aber keine von Erich Grisar selbst verbindlich überlieferten Bildtitel. Erstmalig wurde dieser Bestand ausgewertet und ist nun in einer Auswahl von knapp 200 Fotografien im Ruhr Museum zu sehen. Die faszinierenden Beobachtungen und einfühlsamen Bilder werden in drei Kapiteln zu den Themen Kindheit, Arbeit und Alltag im industriellen Ballungsraum und Städtisches Leben auf der Galerie gezeigt.


Zur Person Erich Grisars

11.9.1898Erich Grisar wird in der Dortmunder Nordstadt geboren und wächst in einem sozialdemokratischen und literarisch interessierten Arbeiterhaushalt auf.
1912 – 1915  Er macht eine Lehre als Vorzeichner in einer Dortmunder Kessel- und Brückenbaufabrik.
1916 – 1918 Als Soldat im Ersten Weltkrieg kämpft er an der Westfront und in Galizien. Im April 1918 wird er schwer verwundet und gelangt in ein Lazarett in Sulzbach/Oberpfalz. Erich Grisar wird zum überzeugten Pazifisten.
1919 – 1922Er arbeitet in seinem erlernten Beruf in einem Dortmunder Hüttenwerk.
1923 – 1924Es folgen berufliche Stationen in einer Leipziger Fabrik für Eisenhochbau und in einer Fabrik im hessischen Butzbach.
1924Erich Grisar kehrt nach Dortmund zurück und gründet eine Familie. Er schreibt als Journalist für die lokale, regionale und später auch überregionale Presse. Außerdem festigt er seinen Ruf als Arbeiterdichter sowie als Verfasser von Sprechchören für die Feste und Feiern der Arbeiterbewegung.
1928Erich Grisar fotografiert zunehmend und veröffentlicht Foto-Text-Reportagen.
1932Als Höhepunkt der fotografischen Arbeit erscheint in der sozialdemokratischen Buchgemeinschaft Der Bücherkreis die Reisereportage „Mit Kamera und Schreibmaschine durch Europa“.
1933 – 1945Erich Grisar gelingt es zunächst auch während des Nationalsozialismus als Journalist zu arbeiten sowie Erzählungen und Romane aus dem Milieu des Brückenbaus zu veröffentlichen.
1939Er tritt wieder als Vorzeichner in die Firma Schüchtermann & Kremer ein.
1945Die Stadt Dortmund stellt ihn als Bibliothekar in der Volksbücherei Dortmund an. Erich Grisar ist weiterhin als Journalist und Schriftsteller tätig.
1946Neben „Kindheit im Kohlenpott“ erscheinen in der Lokalpresse zahllose Artikel, die ihn als humoristischen Plauderer ausweisen.
1953Mit „Der lachende Reinoldus. Alte und neue Anekdoten aus einer alten Hanse- und jungen Industriestadt“ erzielt er noch einmal einen Erfolg.
30.11.1955Erich Grisar stirbt im Alter von 57 Jahren in Dortmund.
1958In der Dortmunder Nordstadt wird eine Straße nach ihm benannt.
1972Die Stadt Dortmund erwirbt den Nachlass Erich Grisars.

(Quelle: Biographische Tafel in der Ausstellung „Erich Grisar. Ruhrgebietsfotografien 1928 – 1933“)

Erich Grisar, „Mit Kamera und Schreibmaschine durch Europa“

Erich Grisar stammte aus proletarischem Hause und war Sozialdemokrat. Vor seiner freien fotografischen und journalistischen Tätigkeit arbeitete er mehrere Jahre als Vorzeichner in einer Kesselschmiede. In der Endphase der Weimarer Republik fotografierte er als Autodidakt Sozialreportagen, die in der Tagespresse oder in Zeitungen des linken Spektrums veröffentlicht wurden. Häufig stammten Text und Fotografien von Grisar. Er nahm die Impulse der sozialkritischen Arbeiterfotografie auf und war selbst ein unabhängiger Teil von ihr. Er wollte als Schriftsteller zwischen den Klassen vermitteln, als Fotograf konnte er dieses Anliegen weiter verwirklichen.

Erich Grisar, „Kindheit im Kohlenpott“

Mit der Grisar-Ausstellung setzt das Ruhr Museum die Reihe seiner Ausstellungen der Klassiker der Ruhrgebietsfotografie fort, die mit Heinrich Hausers „Schwarzes Revier“ und „Chargesheimer. Die Entdeckung des Ruhrgebiets“ begonnen hat und 2018 mit den „Ruhrgebiets-Landschaften“ von Albert Renger-Patzsch fortgeführt wird. Was Erich Grisar aber vor allem von seinen fotografischen Zeitgenossen unterscheidet, ist, dass er sich nicht von außen dem Ruhrgebiet näherte. Erich Grisar ist im Ruhrgebiet aufgewachsen und hat seine Heimatstadt Dortmund nur für die Teilnahme am Ersten Weltkrieg und für kurze auswärtige Arbeitsaufenthalte und Reisen verlassen.

„Erich Grisar. Ruhrgebietsfotografien 1928 – 1933“, Blick in die Ausstellung

Das heißt nicht, dass sich Erich Grisars Fotografien formal und inhaltlich völlig von denen der anderen Fotografen des Ruhrgebiets unterscheiden. Auch er nimmt die amorphe Struktur des Reviers zwischen Siedlung und Industriekulisse, jene von Albert Renger-Patzsch fixierte „Zwischenstadt" wahr. Auch er sieht den von Heinrich Hauser beschriebenen Widerspruch zwischen Industrielandschaft und moderner Großstadt und auch er zeigt wie schon Heinrich Hauser, vor allem aber Chargesheimer, die von der schweren Arbeit geprägte Existenz der Menschen. Diese vielfältigen fotografischen Bezüge werden in der zweiten Station der Ausstellung auf der Zeche Zollern in Dortmund durch vergleichbare Aufnahmen der Ruhrgebietsfotografie verdeutlicht.

Abtransport von Schlammkohle; © Stadtarchiv Dortmund, Foto: Erich Grisar


Das Kooperationsprojekt

Die Ausstellung ist Teil eines großen Kooperationsprojektes. Das Ruhr Museum entdeckt Erich Grisar zusammen mit dem Stadtarchiv Dortmund, wo der fotografische Nachlass liegt, und dem LWL-Industriemuseum Zeche Zollern, wo die Ausstellung vom 24. Februar bis 8. Oktober 2017 gezeigt wird, als Fotografen. Das Fritz-Hüser-Institut, wo der schriftstellerische Nachlass aufbewahrt wird, und die LWL-Literatur­kommission für Westfalen, die weitere Werke Erich Grisars bearbeitet und herausgibt, widmen sich seinem literarischen Werk.

„Erich Grisar. Ruhrgebietsfotografien 1928 – 1933“, Blick in die Ausstellung

Deshalb zeigt die Ausstellung im Ruhr Museum nicht nur Erich Grisars Fotografien, sondern auch ausgewählte Schriften und Dokumente aus seinem Nachlass. Und es erscheinen sowohl ein gleichnamiger Ausstellungskatalog (Klartext Verlag, Essen, 224 Seiten, ISBN 978-3-8375-1404-9, 19,95 €) und die Neuauflage des Reiseberichtes „Mit Kamera und Schreib­maschine durch Europa“, ebenfalls mit bisher unver­öffent­lichten Fotografien Erich Grisars (Klartext Verlag, Essen, 224 Seiten, ISBN 978-3-8375-1405-6, 19,95 €), als auch seine Romane „Ruhrstadt“ (Aisthesis Verlag, Bielefeld, 300 Seiten, ISBN 978-3-8498-1127-3, 19,95 €) und „Cäsar 9“ (Aisthesis Verlag, Bielefeld, 362 Seiten, ISBN 978-3-8498-1126-6, 19,95 €) sowie seine Autobiographie „Kindheit im Kohlenpott“ (Aisthesis Verlag, Bielefeld, 362 Seiten, ISBN 978-3-8498-1170-9, 9,80 €).

von Abraum bedecktes Haus; © Stadtarchiv Dortmund, Foto: Erich Grisar


Begleitprogramm

Zur Sonderausstellung findet ein vielseitiges Begleitprogramm in Kooperation mit der Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets statt. Neben zahlreichen Führungen widmen sich eine dreiteilige Vortragsreihe und die Tagung „Mit Kamera und Schreibmaschine“ zu Erich Grisar und seiner Arbeiterfotografie am 24. Juni 2016 dem fotografischen und schriftstellerischen Werk Grisars. Zwei Filmabende in Kooperation mit der Kinemathek des Ruhrgebiets bieten zudem einen vertiefenden Einblick in das Arbeitermilieu der 1920er- und 1930er-Jahre, das Erich Grisar so einfühlsam dokumentierte.

Siedlung Kaiserstuhl, Dortmund; © Stadtarchiv Dortmund, Foto: Erich Grisar

„Erich Grisar. Ruhrgebietsfotografien 1928 – 1933“ ist vom 14. März bis 28. August 2016 täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 3 EUR, ermäßigt 2 EUR, Kinder und Jugendliche bis einschließlich 17 Jahre haben freien Eintritt.

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