UNESCO-Welterbe Corvey

Herausragendes Zeugnis der karolingischen Architektur im Mittelalter

Toranlage von Schloss Corvey

Das UNESCO-Welterbekomitee hat am 21. Juni 2014 auf seiner 38. Tagung in Katars Haupstadt Doha das Karolingische Westwerk und die Civitas Corvey in die Welterbeliste aufgenommen. Das Komitee würdigte die ehemalige, reichsunmittelbare Benediktinerabtei Corvey aus dem frühen Mittelalter als Zeugnis von außergewöhnlich universellem Wert. Das Westwerk im nordrhein-westfälischen Höxter sei heute das einzige erhaltene Modell aus der Zeit der Karolinger. Es verbinde auf herausragende Weise die karolingische Architektur mit antiken Vorbildern zu einem Kunstwerk. Zudem habe die Reichsabtei im damaligen Frankenreich als geistiges, religiöses und politisches Zentrum eine entscheidende Rolle in Europa gespielt. Auf der Welterbeliste sind 988 Natur- und Kulturstätten in mehr als 150 Ländern verzeichnet, Deutschland ist auf dieser Liste mit der Reichsabtei Corvey nunmehr mit 39 Welterbestätten vertreten. Im Juni 2013 hatte die UNESCO den Bergpark Wilhelmshöhe in Kassel mit seinen weltweit einmaligen Wasserspielen als authentisches Beispiel für die Landschaftsarchitektur des Europäischen Absolutismus in die Welterbeliste aufgenommen, und bei seiner 33. Tagung im spanischen Sevilla am 25. Juni 2009 hat das UNESCO-Welterbekomitee beschlossen, die Kulturlandschaft Dresdner Elbtal aus der Welterbeliste zu streichen.

Westflügel von Schloss Corvey mit Westwerk

Gegründet wurde das Benediktinerkloster Corvey im Jahr 822 von der Herrscherfamilie der Karolinger. Das Kloster gehörte mit seiner Schule und Bibliothek im Mittelalter zu den wichtigsten Vermittlern der christlichen Kultur. Das Westwerk wurde erst zwischen 873 und 885 gebaut und prägte die abendländische Architektur. Es handelt sich um einen der Basilika westlich vorgesetzten Kirchenraum aus rotem Bruchsteinmauerwerk mit zwei Fassadentürmen und einem zentralen mittleren Turm. Die im Original erhaltene gewölbte Halle mit Säulen und Pfeilern im Erdgeschoss sowie der dreiseitig von Emporen umgebene Hauptraum im Obergeschoss gibt heute noch tiefe Einblicke in die damalige Architektur. In allen Räumen finden sich farbige Wandmalereien mit Ornamentbändern, Zeichnungen und Mustern. Eine Besonderheit sind bis heute die mythologischen Figuren mit Bezug zur Antike, die die Kirchenväter in das christliche Weltbild integrierten. Das Kloster wurde im Dreißigjährigen Krieg stark zerstört, die baufällige Klosterkirche wurde mit Ausnahme ihres Westwerks ab 1667 durch einen Neubau ersetzt und die Klosteranlage ab 1699 unter Fürstabt Florenz von dem Felde wiederaufgebaut. Somit ist das Westwerk das einzig erhaltene Zeugnis aus der Zeit der Karolinger.

Westwerk

Höxter als östlichste Stadt Nordrhein-Westfalens ist relativ abgelegen, die nächtsgelegene Anschlussstelle der Bundesautobahn 44 Dortmund-Kassel, Warburg liegt etwa eine Stunde Fahrzeit entfernt, man kann also nicht „mal eben“ von der Autobahn abfahren, um sich Corvey anzuschauen. Um die Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist es auch nicht besser bestellt, vom Bahnhaltepunkt „Höxter-Rathaus“ besteht nur ein eingeschränkter Busverkehr nach Corvey. Dementsprechend geht es in Corvey eher ruhig und beschaulich zu, auch nach der Aufnahme in die Welterbeliste. Es gibt zwei öffentliche Führungen durch die ehemaligen Reichsabtei Corvey täglich jeweils um 11 Uhr und um 15 Uhr, daneben bietet ein (kostenlos gegen Pfand auszuleihender) Audioguide die Möglichkeit, Corvey individuell mit Originalzitaten von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben zu erkunden.

Westwerk

Westwerk

Westwerk

Westwerk

Westwerk

Westwerk, so genannter Johannischor

Westwerk, so genannter Johannischor

Westwerk, so genannter Johannischor

Westwerk, Fragmente des Odysseusbildes

Westwerk, Fragmente des Odysseusbildes

Basilika St. Stephanus und Vitus

Der Gesamteindruck der zwischen 1667 und 1671 nach der Planung des Hildesheimer Kapuzinerpaters Polycarp, ein Ordensbruder von Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen, in nachgotischen Formen errichteten Kirche wird durch die barocke Innenausstattung bestimmt, die 1674 bis 1683 nach Entwürfen des Paderborner Hofmalers Johann Georg Rudolphi (* 1633 in Brakel, Kreis Höxter, † 30. April 1693 in Brakel) ausgeführt wurde. Obwohl der Kodex des Kanonischen Rechtes vorsieht, dass eine Kirche, in der die heiligste Eucharistie aufbewahrt wird, täglich wenigstens einige Stunden für die Gläubigen offenzuhalten ist, damit sie vor dem heiligsten Sakrament dem Gebet obliegen können, weshalb in katholischen Kirchen in Deutschland in der Regel kein Eintrittsgeld zu zahlen ist, werden Gläubige beim Besuch von St. Stephanus und Vitus in Corvey zur Kasse gebeten.

Basilika St. Stephanus und Vitus

1681 schuf Orgelbaumeister Andreas Schneider die Barock-Orgel mit 27 klingenden Registern in der aufwendigen und seltenen Springladentechnik. 1830 wurden die Springladen teilweise durch Schleifladen ersetzt, zuletzt wurde die Orgel 1994 durch die Orgelbaufirma Siegfried Sauer, Ottbergen, instandgesetzt. Inzwischen sind viele Orgelpfeifen durch Korrosion beschädigt, die Kosten für eine fachgerechte Sanierung werden auf etwa 1,2 Millionen Euro beziffert.

Basilika St. Stephanus und Vitus, Barock-Orgel von Orgelbaumeister Andreas Schneider aus dem Jahr 1681

836 wurden die Reliquien des Heiligen Vitus aus der Kathedrale von Saint-Denis bei Paris nach Corvey gebracht. Hilduin, der Abt von Saint-Denis, hatte zuvor in Corvey als Verbannter Schutz gefunden, und kam daher der Bitte nach, die Reliquien nach Corvey zu „übertragen“. Seitdem gilt der Heilige Vitus als Schutzpatron von Corvey, das zu einem Zentrum der frühen Mission in Skandinavien wurde.

Basilika St. Stephanus und Vitus, Vitusmonument

Grab des Dichters August Heinrich Hoffmann von Fallersleben

1860 trat der Germanist und Dichter des „Deutschlandsliedes“, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (* 2. April 1798 in Fallersleben, † 19. Januar 1874 in Corvey) seine neue Stelle als Bibliothekar bei Viktor Moritz Karl I. Herzog von Ratibor, Fürst von Corvey an und versuchte, den seiner Meinung nach schlechten Ruf der Fürstlichen Bibliothek, die nicht im Zusammenhang mit den alten Klosterbibliotheken steht, als Sammlung von Unterhaltungsliteratur zu verbessern, indem er wertvolle Einzelwerke, Pracht- und Ansichtenbände sowie wissenschaftliche Literatur in deutscher, englischer und französischer Sprache anschaffte und damit das Profil der Sammlung entscheidend prägte. Heute zählt der Bücherschatz mit 74.000 Bänden zu den kostbarsten und größten Privatbibliotheken Deutschlands. Nach einem Schlaganfall starb August Heinrich Hoffmann von Fallersleben im Alter von 75 Jahren am 19. Januar 1874 in Corvey. Mehr als tausend Trauergäste nahmen an der Beisetzung auf dem Friedhof neben der ehemaligen Abteikirche teil.

Friedhof neben der Basilika St. Stephanus und Vitus

Kreuzgang

Kreuzgang

Kreuzgang

Geweihgang

Westwerk

Blauer Salon im Westflügel

Darstellung der „Hochzeit zu Kana“ im Kaisersaal

Fürstliche Bibliothek im Nordflügel

Die Fürstliche Bibliothek Corvey ist eine Adelsbibliothek im Eigentum des Herzoglichen Hauses Ratibor und Corvey. Die Büchersammlung mit rund 74.000 Bänden zählt zu den größten und kostbarsten Privatbibliotheken Deutschlands. Die Bibliothek im Nordflügel des Schlosses besteht aus 15 Sälen und ist mit 200 Bücherschränken aus verschiedenen Holzarten ausgestattet. Dieses elegante Interieur hat einst der Architekt Anton Gehtmann aus Höxter, ein Schüler von Carl-Friedrich Schinkel, im Stil des Biedermeiers und des späten Klassizismus entworfen.

Globus Coelestis cum Astrodictico Artificiali Iunctus. Amsterdam: Johannes Janssonius, 1623. Handkolorierter Kupferstich von 1623 in Segmentierung, Papier aufgezogen auf Kugel aus Pappmaché mit Gipsüberzug, Messingring und Holzgestell um 1700.

Deckengemälde im Sommersaal mit dem als Feuerprobe dargestellten „Pflugscharenwunder“ der heiligen Kunigunde, eine Prüfung, die Kaiser Heinrich II. seiner Gattin auferlegt hatte

Schloss und Kirche sind während der Saison von 10 bis 18 Uhr geöffnet, letzter Einlass ist um 17 Uhr. Weitere Informationen zu Veranstaltungen und Eintrittspreisen unter www.schloss-corvey.de.

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