„Zum Sterben schön – Ein Musical für die Ewigkeit“

„Zum Sterben schön – Ein Musical für die Ewigkeit“ – nach der Filmkomödie „Grabgeflüster – Liebe versetzt Särge“ („Plots With A View“ („Undertaking Betty“)) von Nick Huran basierend auf einem Drehbuch von Frederick Ponzlov; Musik: Marc Schubring; Buch und Gesangstexte: Wolfgang Adenberg; Inszenierung: Jörg Gade; Choreografie: Annika Dickel; Ausstattung: Steffen Lebjedzinski; Musikalische Leitung: Andreas Unsicker. Darsteller: Alexander Prosek (Boris Plots), Magdalene Orzol (Betty Rhys-Jones), Jens Krause (Hugh Rhys-Jones), Jonas Hein (Frank Featherbed), Tim Müller (Delbert Butterfield/Colin Warburton), Karoline Goebel (Meredith Mainwaring), Jens Plewinski (Dick/Mr. Pryce/Dr. Owen), Michaela Linck (Dilys Rhys-Jones/Trauergast), Caroline Zins (Miss Gwynnffrt/Mrs. Pryce), Annika Dickel (Bankangestellte), Simon Böker, Malin Dyck, Ulricke Farbacher, Elias Krischke, Lothar Pick (DorfbewohnerInnen). Uraufführung: 23. Februar 2013, Theater für Niedersachsen, Großes Haus Hildesheim. Besuchte Vorstellung: 17. März 2013, Theater am Aegi, Hannover.



„Zum Sterben schön“


Eine neue Musicalkomödie im Bestattermilieu


2002 erschien die auf einem Drehbuch von Frederick Ponzlow basierende Filmkomödie „Grabgeflüster – Liebe versetzt Särge“ (Originaltitel „Plots with a View (Undertaking Betty)“) von Regisseur Nick Hurran mit Alfred Molina (Boris Plots), Brenda Blethyn (Betty Rhys-Jones), Christopher Walken (Frank Featherbed), Lee Evans (Delbert Butterfield), Naomi Watts (Meredith Mainwaring) u. a. Der Film erzählt mit dem für Britten bekannten Sinn für schwarzen Humor die Geschichte von zwei konkurrierenden Bestattungs­unter­nehmen in dem kleinen walisischen Dorf Wrottin Powys. Marc Schubring (Musik) und Wolfgang Adenberg (Buch und Gesangstexte) haben die Filmkomödie als Musical für die Bühne adaptiert, das Theater für Niedersachsen mit seinem Intendanten Jörg Gade sicherte sich für seine MusicalCompany die Uraufführung. Marc Schubring und Wolfgang Adenberg haben als Komponist und Autor bereits bei mehreren Musicals erfolgreich zusammengearbeitet:

Ensemble, Foto: Andreas Hartmann
  • „Fletsch – Saturday Bite Fever“ (zusammen mit Holger Hauer, der das Buch schrieb, Uraufführung am 8. Dezember 1993 im Theater Arnual, Saarbrücken, Regie Matthias Davids)
  • „Cyrano de Bergerac“ (Uraufführung am 22. Oktober 1995, Saarländisches Staatstheater Saarbrücken, Regie Gerhard Weber)
  • „Emil und die Detektive“ (Uraufführung am 12. November 2001 im Theater am Potsdamer Platz, Berlin, Regie Michael Pinkerton)
  • „Moulin Rouge Story“ (Uraufführung am 12. Dezember 2008, Altes Schauspielhaus Stuttgart, Regie Carl Philip von Maldeghem)
  • „Der Mann, der Sherlock Holmes war“ (Uraufführung am 23. Januar 2009, Staatsoperette Dresden, Regie Holger Hauer)
  • „Tell – Das Musical“ (zusammen mit Hans Dieter Schreeb, der das Buch schrieb, Uraufführung am 18. Juli 2012 auf der Walensee-Bühne, Walenstadt, Regie Nico Rabenald)
Tim Müller (Delbert) und Jonas Hein (Frank Featherbed)
Foto: Andreas Hartmann

Zum Inhalt:
Hätte er sie damals bloß gefragt! Nur weil sich Boris beim Schulabschlussball nicht getraut hatte, Betty zum Tanzen aufzufordern, leidet er noch immer unter seinem verhängnisvollen Fehler und lebt allein, während Betty den inzwischen amtierenden Bürgermeister von Wrottin Powys, Hugh Rhys-Jones geheiratet hat. Boris arbeitet als der geschätzte, wenn auch beruflich bedingt allgemein gemiedene Bestattungsunternehmer des Städtchens. Erst als Bettys tyrannische Schwiegermutter Dilys überraschend an einer Portion Vollkornpops erstickt und nun von Boris beerdigt werden soll, kommen sich Betty und Boris wieder näher. Schließlich gestehen sie einander ihre Liebe. Aber Betty hat gelernt, sich mit dem zu arrangieren, was sie hat. Außerdem würde sie ihrem Mann niemals eine Scheidung zumuten, noch dazu so kurz vor der nächsten Wahl. Da hat Boris eine Idee: „Bist du erst mal tot, fängt unser Leben an!“ Gemeinsam fingieren sie mithilfe des örtlichen Arztes Dr. Owen Bettys „tödlichen“ Sturz von der Klippe beim Dorffest. Boris soll Betty offiziell beerdigen, damit sie anschließend zusammen in die Südsee fliehen können. Zu dumm nur, dass einige Dorfbewohner Bettys Geist gesehen haben wollen und ihr Ehemann auf einer offenen Aufbahrung besteht. Und dann ist da noch Boris’ exzentrischer Konkurrent, der amerikanische Eventbestatter Frank Featherbed, mit seinem Gehilfen Delbert. Frank sieht es als seine Lebensaufgabe an, die gesamte Bestattungskultur mit seinen Show-Ideen zu revolutionieren. Und welche Gelegenheit wäre dazu geeigneter, als die Beerdigung der Bügermeistergattin auszurichten? Diesen Auftrag muss er unbedingt an Land ziehen! Was Betty nicht ahnt: Ihr Mann Hugh ist mitnichten der liebende Ehemann, für den sie ihn hält. Längst betrügt er sie mit seiner Sekretärin Meredith Mainwaring. Die beiden hatten sogar geplant, Betty zu ermorden. Betty erfährt davon, während sie im offenen Sarg liegend ihre eigene Beerdigung zu überstehen versucht. Jetzt sinnt sie auf Rache… Schließlich raufen sich die beiden Kontrahenten Boris und Frank doch noch zusammen, und gemeinsam mit Betty und Delbert erteilen sie Hugh und Meredith eine Lektion, so dass am Ende jeder bekommt, was er/sie verdient hat.

Magdalene Orzol (Betty Rhys-Jones) und Alexander Prosek (Boris Plots); Foto: Andreas Hartmann

TfN-Intendant Jörg Gade war bereits im September 2011 bei einem Reading des Stückes im Ballhaus Rixdorf, bei dem das Werk in einer Inszenierung von Holger Hauer mit Kevin Kraus (Boris Plots), Mirjam Zipf (Betty Rhys-Jones), Nik Breidenbach (Frank Featherbed), Katharine Mehrling (Meredith Mainwaring) u. a. konzertant aufgeführt wurde, entschlossen, „Zum Sterben schön“ aufführen und auch selbst inszenieren zu wollen. In seiner Inszenierung arbeitet Jörg Gade die Charaktere prägnant heraus und macht von Beginn an deutlich, dass man das Geschehen keinesfalls zu ernst nehmen sollte. Während Frank Featherbed im Film eine Kundin als heimlichen Star-Trek-Fan in einem Captain Spock-Outfit zum Himmel fahren lässt und damit „Star Trek II: Der Zorn des Khan“ parodiert, gibt es im Musical mit dem Song „Vom Tode gibt es keine Wiederkehr“ das Pendant: In einer Parodie auf „Das Phantom der Oper“ fährt Frank mit Unterstützung seines Gehilfen Delbert die verstorbene Mrs. Pryce als heimlichen Musical-Fan in einer Barke über den „unterirdischen See“, wobei Tim Müller den Gesangspart der Christine Daaé übernimmt und Caroline Zins lediglich den Kopf bewegen lässt. Das hat für den geneigten Musicalbesucher etwas von einem „Schenkelklopfer“.

Karoline Goebel (Meredith Mainwaring) und Jens Krause (Hugh Rhys-Jones); Foto: Andreas Hartmann

Mit „Begin the Beguine“ wurde seinerzeit ein Song von Cole Porter für die Filmmusik von „Grabgeflüster – Liebe versetzt Särge“ verwendet. Auch die Komposition von Marc Schubring, die von einer achtköpfigen Band unter der Musikalischen Leitung von Andreas Unsicker gekonnt umgesetzt wird, knüpft mit einer Mischung aus lateinamerikanischen Rhythmen, Swing und Balladen an die Swingära an, wobei aber lediglich der Titelsong „Zum Sterben schön“ mit einer Reprise im zweiten Akt und das Finale des ersten Akts, „Tanz den Totengräber“ im Ohr bleiben, in dem Frank Featherbed mit seinem Liedtext „Tanz auf den Tischen, denn im Sarg, da hat noch nie einer getanzt“ für sein Bestattungsinstitut wirbt. Die schmissigen Choreografien von Annika Dickel verleihen den Songs rein optisch zusätzlichen Schwung, lassen aber auch Anleihen beim Bewegungsrepertoire anderer bekannter Musicals erkennen. Wer nur gelegentlich Musicalaufführungen anschaut, dem werden diese Feinheiten aber womöglich gar nicht auffallen. Das einfach gehaltene Bühnenbild von TfN-Ausstattungsleiter Steffen Lebjedzinski besteht aus einer mit Wolken bemalten Rückwand mit den Umrissen eines stilisierten Sarges und einer erhöhten Spielfläche mit Treppen davor. Durch dreh- und verschiebbare Elemente in der Rückwand, ergänzt durch passende Requisiten, wird die Bühne zur Wohnung von Betty und Hugh Rhys-Jones, zum Bestattungsunternehmen von Boris Plots, zur Trauerhalle, zum Festplatz an den Klippen… oder eben zum „unterirdischen See“. Während die Filmvorlage in der Gegenwart spielt, scheinen die Kostüme auf der Bühne verschiedene Jahrzehnte zu repräsentieren. Alles ordentlich und adrett, aber auch ein klein wenig verwirrend. Der tiefere Sinn wollte sich mir leider nicht erschließen.

Tim Müller (Delbert), Jonas Hein (Frank Featherbed) und Caroline Zins (Mrs. Pryce); Foto: Andreas Hartmann

Alexander Prosek als Leichenbestatter Boris Plots kann ich mir beim besten Willen nicht als typischen Turniertänzer in den Lateinamerikanischen Tänzen vorstellen, auch wenn Caroline Zins als tanzsüchtige Miss Gwynnffrt ihn als Turniertanzpartner für sich gewinnen möchte. Seine Samba erinnerte mich eher ein wenig an den bekannten Song „The Bare Necessities“ aus dem Zeichentrickfilm „Das Dschungelbuch“ der Walt Disney Company als an eleganten Turniertanz. Tanzsport wird in den Medien sträflich vernachlässigt, aber wer sich davon selbst eine Vorstellung verschaffen möchte, schaue sich beispielsweise Fotos von Donnie Burns an, der mit seiner Partnerin Gaynor Fairweather vierzehnmal Weltmeister der Profis in den Lateinamerikanischen Tänzen wurde. Doch das Tanzen ist ja nur Boris´ heimliche Leidenschaft, und glücklicherweise liegt der Hauptfokus des Musicals nicht auf den Tanzszenen, auch wenn es einige davon gibt. Alexander Prosek schafft es als anfänglich eher schüchterner Junggeselle mit Leichtigkeit, die Sympathien des Publikums vom ersten Augenblick an zu gewinnen. Energisch und unnachgiebig nutzt er seine zweite Chance, die große Liebe seines Lebens doch noch für sich zu gewinnen. Dass er aber zusammen mit Magdalene Orzol als Betty Rhys-Jones vor 30 Jahren gemeinsam die Schulbank gedrückt haben soll, erscheint mir ein wenig zweifelhaft, dafür wirkt mir Magdalene Orzols Darstellung der braven Bürgermeistergattin zu wenig gereift, einfach noch zu jung. Sieht man über diesen Aspekt hinweg, harmonieren die beiden als Paar sehr gut miteinander. Insbesondere mit ihrem im halbdurchsichtigen Sarg intonierten Racheschwur „Bis ins Grab“ kann Magdalene Orzol im zweiten Akt beeindrucken.

Karoline Goebel (Meredith Mainwaring) und Magdalene Orzol (Betty Rhys-Jones); Foto: Andreas Hartmann

Besonders gut haben mir Jonas Hein als Eventbestatter Frank Featherbed und Tim Müller als sein Faktotum Delbert gefallen. Insbesondere Jonas Hein kann als exzentrischer Eventbestatter mit innovativen Marketingmethoden wie einem Nachlass von 50% auf das zweite Begräbnis schauspielerisch und auch gesanglich für sich einnehmen. Mit dem Titelsong und dem Pausenfinale sind die beiden natürlich auch mit den Glanznummern dieses Musicals gesegnet und wissen dies in der Tat entsprechend zu nutzen. Das dritte Paar wird von Jens Krause als Bürgermeister und Bettys Ehemann Hugh Rhys-Jones und Karoline Goebel als seine Sekretärin und Geliebte Meredith Mainwaring verkörpert. Jens Krause scheint in der TfN-MusicalCompany auf die Rolle des Bösewichts abonniert zu sein, auch in „Zum Sterben schön“ geht er als lüsterner und machtbesessener Politiker „über Leichen“, wird aber von seiner attraktiven, verführerischen Sekretärin dominiert. Karoline Goebel spielt diese Rolle sehr überzeugend, da ist es kein Wunder, dass Hugh seiner Ehefrau untreu geworden ist. Michaela Linck hat als Bettys tyrannische Schwiegermutter Dilys, die überraschend gleich zu Beginn an einer Portion Vollkornpops erstickt, zwar nur einen kurzen Auftritt, aus dem sie aber mit ihrer amüsanten Darstellung das Optimum herausholt.

Magdalene Orzol (Betty Rhys-Jones); Foto: Andreas Hartmann

„Zum Sterben schön“ ist aus meiner Sicht kein „Musical für die Ewigkeit“, wie es im Untertitel heißt, also eine Long-Run Produktion mit der Laufzeit von Musicals wie beispielsweise „Das Phantom der Oper“ von Andrew Lloyd Webber. Dennoch spricht es das Publikum mit seinem schwarzen Humor, einer ordentlichen Portion Romantik und der an die Swingära anknüpfenden Partitur von Marc Schubring an, das sich hier davon überzeugen kann, dass auch ein Sujet aus dem Bestattermilieu für eine unterhaltsame Musicalkomödie dienlich ist. Es wäre zu wünschen, dass Marc Schubring und Wolfgang Adenberg das Stück mit einer Aufführungsdauer von 2 Stunden 45 Minuten noch straffen und es danach Einzug in das Repertoire weiterer Staats- und Stadttheaters findet. In der laufenden Spielzeit steht „Zum Sterben schön“ noch bis zum 28. Juni 2013 am Stadttheater Hildesheim auf dem Spielplan.

Magdalene Orzol (Betty Rhys-Jones); Foto: Andreas Hartmann

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