Schauspiel Essen: „Die Erschaffung der Welt – Das Musical“

„Die Erschaffung der Welt – Das Musical“ – nach einer wahren Begebenheit; Musik: Stephan Kanyar; Texte: Thomas Gsella; Buch: Maren Scheel; Inszenierung: Caroline Stolz; Choreografie: Veruschka Hall; Steppchoreografie und -training: Bernd Paffrath; Ausstattung: Lorena Díaz Stephens, Jan Hendrik Neidert; Dramaturgie: Carola Hannusch; Musikalische Leitung: Stephan Kanyar. Darsteller: Tom Gerber (Gott), Jan Pröhl (Charles Darwin, Raum), Laura Kiehne (Eva, Pflanze, Fisch, Aminosäure), Stefan Diekmann (Adam, Fisch, Aminosäure, Neandertaler), Beatrice Reece (Dinosaurier, Afrikanerin, Kakerlake, Aminosäure, Arbeiterin), Jens Ochlast (Sam, Neandertaler, Inder, Philosoph, Kakerlake, Aminosäure), Claudia Renner (Zeit, Vereinsvorsitzende, Ägypterin, Neandertalerin), Raphael Baronner, Klaus Greib, Nadja Karasjew, Katja Romanski, Christofer Schmidt, Lisa Timm, Nico Kambeck, Isabel Tetzner (Himmlische Heerscharen). Band: Jörg Brackelsberg (Bass), Frank Dulisch (Trompete), Matthias Jahner, Kim Jovy (Reed), Stephan Kanyar (Klavier), Jürgen Peiffer (Schlagzeug), Bastian Ruppert (Gitarre), Tobias Schütte (Posaune). Uraufführung: 15. Dezember 2012, Grillo-Theater, Essen.



„Die Erschaffung der Welt – Das Musical“


Uraufführung des Comedy-Musicals am Grillo-Theater Essen


Wurde die Welt aus dem Nichts erschaffen, oder ist der Kosmos aufgrund physikalischer Prinzipien entstanden? Dieser uralten Frage spüren Stephan Kanyar (Musik), Thomas Gsella (Texte) und Maren Scheel (Buch) in ihrem vom Schauspiel Essen in Auftrag gegebenen Musical „Die Erschaffung der Welt – Das Musical nach einer wahren Begebenheit“ nach. Stephan Kanyar hat bereits die Musik zu „Frankenstein“ (Uraufführung 5. Dezember 2004, Stadttheater Ingolstadt, Regie Pierre Wyss), „Lulu – Das Musical“ (Uraufführung 15. Mai 2010, Tiroler Landestheater, Insbruck, Regie Pierre Wyss, mit Lucy Scherer (Lulu) und Máté Kamarás (Jack)) und „Shylock!“ (Uraufführung 5. Mai 2012, Tiroler Landestheater, Insbruck, Regie Pierre Wyss, mit Chris Murray (Shylock)) komponiert, der Essener Satiriker Thomas Gsella war bis 2008 Redakteur der Frankfurter Satirezeitschrift „Titanic“ und gibt als Songwriter sein Musiktheater Debüt, und Maren Scheel arbeitet als Schauspielerin und Autorin und war als solche bislang im Bereich Stoffentwicklung für Musiktheater und Film tätig. Gemeinsam haben sie nun ein Musical geschrieben, in dem Aminosäuren, Fische und Neandertaler zu Wort und Gesang kommen, in dem sowohl die Religion mit dem 1. Buch Mose/Bereschit/Genesis als auch die Evolutionstheorie zu ihrem Recht kommen, und in dem Gott und Charles Darwin mit dem von ihm verfassten Werk „On the Origin of Species“ friedlich koexistieren…

Tom Gerber (Gott) und die Himmlischen Heerscharen;
Foto Birgit Hupfeld

Die Handlung beginnt „Star Wars“-like mit einem Eröffnungs­text an einem Montag im Jahre 13.720.101.973 vor Christus, als Sam, ein engelhafter Ansager, vor dem Vorhang den größten Erfinder aller Zeiten ankündigt, Gottvater, woraufhin dieser aus dem Nichts im gleißenden Licht erscheint und sich an die Erschaffung des Daseins macht. Im folgenden entstehen Galaxien, Sonnen, Gasnebel… und nebenher auch Raum und Zeit, die sogleich den ersten Tango der Welt miteinander tanzen. Der weitere Verlauf der Entstehung/Erschaffung der Welt wird highlightartig anhand von Aminosäuren, Pflanzen und Tieren sowie Neandertalern geschildert, woraufhin Charles Darwin ein flammendes Bekenntnis zur Evolution abgibt: „Viva la Evolución!“ Gott und die Himmlischen Heerscharen halten dagegen und preisen die Schöpfung. Zu Beginn des zweiten Aktes sitzt Gottvater an einer Töpferscheibe und versucht, aus einem Lehmklumpen eine Figur zu schaffen. Darwins wissenschaftliche Erklärungen bringen ihn aber immer mehr in Rage, und irgendwann wirft er den Lehmklumpen wutentbrannt gegen die Wand. Um Charles Darwin Lügen zu strafen, schafft Gott den Mann nach seinem Ebenbild. Adam reißt sich überheblich eine Rippe aus der Brust, um seinerseits die Frau zu erschaffen, und bricht auf der Stelle tot zusammen. Gott bringt die Sache wieder in Ordnung, und als er noch langatmig erklärt, dass Adam und Eva keinesfalls vom „Baum der Erkenntnis“ essen dürfen, hat sich Eva längst den Apfel geschnappt, selbst hineingebissen und auch Adam zum Kosten verführt. Gott schimpft wütend „Verdammt noch mal“, was auch unverzüglich geschieht. Statt im Paradies finden sich die beiden in der Kleingarten-Anlage Eden wieder, das Eintrittsgeld für Kino oder die ständig steigenden Benzinpreise zählen obendrein zur Strafe Gottes. Gott und Charles Darwin begegnen sich erneut und diskutieren im „Duett beim Bier“ die Entstehung der Arten. Als schließlich die Frage nach dem Sinn des Lebens im Raum steht, hat Charles Darwin sofort die Antwort parat: „Es lebe hoch der Arterhalt“. Auf einer Vereinssitzung in der Kleingarten-Anlage beklagen sich alle darüber, dass die ganze Welt ungerecht sei, was Gott zu einer Darlegung seines Standpunktes veranlasst: „Was Gott auch schenkt, was Gott auch gibt: Der Mensch versenkt, der Mensch versiebt.“ Den Kakerlaken dagegen gefällt die Welt, wie sie ist, und sie halten sich für die Krone der Schöpfung. Als Adam an einem anaphylaktischen Schock durch Nahrungs­mittel­un­ver­träglich­keit stirbt und Eva seinen Tod betrauert, kommt es zu einem letzten großen „Streit-Duett“ zwischen Gott und Charles Darwin, bei dem die beiden zu dem gemeinsamen Schluss kommen, dass es ein Leben vor dem Tod gibt, und es darauf ankommt, was man damit anfängt, bevor schließlich „die letzten Fragen“ gestellt werden.

Beatrice Reece (Dinosaurier) und Stefan Diekmann (Fisch);
Foto Birgit Hupfeld

Komponist Stephan Kanyar schöpft – passend zum Sujet – aus dem Vollen, seine facettenreiche Partitur reicht von eingängigen Popballaden über Uptempo Swing und Ar­ran­ge­ments in Close Harmony bis hin zu lateinamerikanischen Rhythmen, wozu Thomas Gsella passend mit spitzer Feder und satirischem Wortwitz die gelungenen Texte verfasst hat. Von Anfang an als Auftragsarbeit für das Schauspiel Essen aus­ge­legt, hat Stephan Kanyar eine Partitur geschaffen, die dem Können singender Schauspieler Rechnung trägt und vom Ensemble tadellos umgesetzt wird. Auch die achtköpfige Band unter der musikalischen Leitung des Komponisten ist mit viel Verve bei der Sache. Lorena Díaz Stephens und Jan Hendrik Neidert haben bei der detailverliebten Aus­stat­tung viel Fantasie walten lassen, Gott kommt im weißen Anzug mit blau glitzerndem Jackett daher, die Himmlischen Heerscharen erinnern an übergewichtige Putten, Charles Darwin trägt einen klassischen Anzug mit Weste, Fische werden durch historische rot- bzw. blau-weiße Ringel­bade­anzüge, Schwimmflossen und Flossenhandschuhe cha­rak­te­ri­siert, um einige Beispiele zu nennen. Wer schon immer einmal wissen wollte, wie man sich die Raum­zeit­krümmung vorstellen kann, auch darauf haben die beiden Ausstatter eine Antwort gefunden. Auch das Bühnenbild kann sich sehen lassen: mit aus dem Boden „treibenden“, mit grüner Wäsche behängten Wäschespinnen als Pflanzen, die sich mit Seifenblasen und entsprechender Beleuchtung auch in eine Unterwasserlandschaft verwandeln lassen, über die Projektion der Erschaffung der Tiere auf einem überdimensionalem Taschentuch bis hin zur Gartenlaube in der Kleingarten-Anlage Eden und dem „blauen Planeten“ zum Finale wird die Stadttheaterbühne ausgezeichnet genutzt. Caroline Stolz hat „Die Erschaffung der Welt“ am Grillo-Theater als Liederabend inszeniert, in dem Raum und Zeit, Aminosäuren, Pflanzen, Tiere und sogar Gott und Charles Darwin auch tanzen dürfen (Choreografie Veruschka Hall).

Laura Kiehne (Eva), Stefan Diekmann (Adam) und Tom Gerber (Gott);
Foto Birgit Hupfeld

Tom Gerber charakterisiert Gott als liebenswerten Mann, der sowohl von Charles Darwin als auch von den Menschen nur schwer aus der Fassung zu bringen ist. Wenn er im „Duett beim Bier“ als Beweis für seine Existenz Darwins Bier austrinkt, eine furiose Stepptanzeinlage auf das Parkett legt (Steppchoreografie und -training Bernd Paffrath), und im Anschluss noch als graziler Schwan klassischen Balletttanz parodiert, das kann man nur als „göttlich“ bezeichnen. Jan Pröhl ist als Gottes Widersacher Charles Darwin zu sehen, der selbstbewusst mit Vehemenz seine Evolutionstheorie verteidigt, voller Zuversicht plädiert er mit „Viva la Evolución!“ für das im November 1859 veröffentlichte Werk „Über die Entstehung der Arten“. Laura Kiehne überzeugt in verschiedenen Rollen, als sinnliche Pflanze fasziniert sie mit „Komm, pflücke mich“ nicht nur Charles Darwin, mit Evas Ballade „Wenn deine Hand nicht mehr in meiner liegt“ nach dem Tod Adams sorgt sie für einen bewegenden Moment. Als sie Adam das erste Mal begegnet, bringen sie im Duett „Wie kann ein Mensch so göttlich sein“ ihre Gefühle zum Ausdruck. Stefan Diekmann reagiert zunächst verlegen, erst mit der Zeit gewinnt sein Adam an Selbstbewusstsein. Die ausgebildete Musicaldarstellerin Beatrice Reece fügt sich als Gast gut in das Schauspielensemble, ohne ihre Kollegen an die Wand zu singen, was in gemischten Ensembles auch nicht immer selbstverständlich ist. Als Dinosaurier Sophie-Maria bedauert sie, zwar geachtet, aber nicht geliebt zu werden. Im Duett mit Jens Ochslast stellt sie das übliche Weltbild auf den Kopf, indem sich die beiden Kakerlaken als „die Krone der Schöpfung“ betrachten, da ihnen nichts und niemand etwas anhaben kann.

Wer darauf hofft, im Musical eine Antwort auf die Frage zu bekommen, ob ein höheres Wesen die Welt aus dem Nichts erschaffen hat oder der Kosmos aufgrund physikalischer Prinzipien entstanden ist, der wird auch hier nicht fündig. Wer aber auch mal fünf gerade sein lassen kann, der wird auf alle Fälle einen unterhaltsamen, anspruchsvollen und dennoch amüsanten Theaterabend erleben. Mehr kann man von einem Theaterbesuch wohl nicht erwarten. Was wohl auch vom Premierenpublikum ähnlich eingeschätzt wurde, das sowohl Darsteller als auch Kreative mit langanhaltendem Applaus bedachte.

Stefan Diekmann (Adam), Jens Ochlast (Inder), Beatrice Reece (Afrikanerin), Laura Kiehne (Eva) und Claudia Renner (Ägypterin);
Foto Birgit Hupfeld

Rechtzeitig zur Premiere bietet das Schauspiel Essen auch eine Musik-CD mit den Highlights dieser Uraufführungs­in­sze­nie­rung an. Insgesamt wurden unter der Leitung des Komponisten Stephan Kanyar die folgenden 17 Titel mit den Ensemblemitgliedern sowie der Original-Band eingespielt:
  1. Gott, Sam und Himmlische Heerscharen: „Am Anfang ist das Wort“
  2. Aminosäuren: „Aminosäurenquartett“
  3. Charles Darwin: „Charles Darwin, das bin ich!“
  4. Erster und Zweiter Fisch: „Wo bin ich hier?“
  5. Dinosaurier, Erster Fisch: „Sie lieben mich nicht“
  6. Neandertaler: „Neandertal“
  7. Charles Darwin, Gott, Ensemble: „Viva la Evolución!“
  8. Gott: „Nach meinem Bild“
  9. Adam und Eva: „Wie kann ein Mensch so göttlich sein?“
  10. Gott, Charles Darwin: „Duett beim Bier“
  11. Charles Darwin, Ensemble: „Es lebe hoch der Arterhalt“
  12. Gott, Ensemble: „Was Gott auch schenkt“
  13. Kakerlaken: „Der Kakerlak“
  14. Gott: „In allen Dingen“
  15. Eva: „Wenn deine Hand nicht mehr in meiner liegt“
  16. Gott, Charles Darwin: „Streit-Duett“
  17. Ensemble: „Die letzten Fragen“
Die CD mit einer Spieldauer von 62 Minuten 44 Sekunden ist zum Preis von 8 Euro bei den Vorstellungen im Grillo-Theater sowie im TicketCenter der Theater und Philharmonie Essen GmbH erhältlich.

Tom Gerber (Gott) und Jan Pröhl (Charles Darwin); Foto Birgit Hupfeld

„Die Erschaffung der Welt – Das Musical“ steht bis 5. Juli 2013 auf dem Spielplan, die Silvester­vor­stellung ist bereits ausverkauft. Karten für die weiteren Vorstellungen am 21. Dezember 2012, 6., 16., 20., 24. Januar, 9., 22. Februar, 6., 16. März, 10., 26. April, 2., 19. Mai, 7., 13., 22. Juni und 5. Juli 2013 sind zum Preis von 11 bis 26 Euro im TicketCenter der Theater und Philharmonie Essen GmbH, an den Kassen des Aalto-Theaters und der Philharmonie Essen sowie in der Touristikzentrale der EMG – Essen Marketing GmbH erhältlich.

Kommentare

Anonym hat gesagt…
Kann man die CD noch irgendwo bestellen?
Detlef hat gesagt…
Danach sollten Sie beim Schauspiel Essen oder im einschlägigen Fachhandel fragen.