„Ganz oder gar nicht (The Full Monty)“

„Ganz oder gar nicht (The Full Monty)“ – nach dem gleichnamigen Film von Peter Cattaneo; Musik und Songtexte: David Jazbek; Buch: Terrence McNally; Deutsche Bearbeitung: Iris Schuhmacher/Frank Thannhäuser; Inszenierung und Choreografie Tim Zimmermann; Musikalische Leitung: Andreas Unsicker; Bühne und Kostüme: Esther Bätschmann. Darsteller: Jens Plewinski (Jerry Lukowski, arbeitsloser Werksarbeiter), David Hauschild/Christopher Schreiber (Nathan Lukowski, sein Sohn), Magdalene Orzol (Pam Lukowski, seine Ex-Frau), Mathias Förster (Dave Bukatinsky, arbeitsloser Werksarbeiter), Navina Heyne (Georgie Bukatinsky, seine Frau), Jens Krause (Harold Nichols, arbeitsloser Abteilungsleiter), Tanja Krauth (Vicky Nichols, seine Frau/Joanie Lish, Freundin von Georgie), Jonas Hein (Malcolm MacGregor, arbeitsloser Werksarbeiter), Michaela Linck (Molly MacGregor, seine Mutter/Susan Hershey, Freundin von Georgie), Sebastian Strehler (Ethan Girard, arbeitsloser Werksarbeiter), Frank Brunet (Noah „Hengst“ T. Simmons, arbeitsloser Werksarbeiter/Reg Willoughby, Gewerkschaftssprecher), Annika Dickel (Jeanette Burmeister, Pianistin), Tim Müller (Teddy Slaughter, Pams Freund/Buddy „Keno“ Walsh, Stripper/Inkasso-Mann/Polizist/Priester). Uraufführung: 1. Juni 2000, Old Globe Theatre, San Diego. Broadway-Premiere: 26. Oktober 2000, Eugene O´Neill Theatre, New York City. Deutschsprachige Erstaufführung: 21. Juli 2010, Johann-Pölz-Halle, Amstetten. Premiere: 12. April 2012, Theater für Niedersachsen, Großes Haus Hildesheim.



„Ganz oder gar nicht (The Full Monty)“


Die Musical-Adaption der britischen Filmkomödie am Theater für Niedersachsen


Jens Plewinski (Jerry Lukowski), Christopher Schreiber (Nathan Lukowski), Jens Krause (Harold Nichols), Sebastian Strehler (Ethan Girard)
Foto: Andreas Hartmann


1997 erschien der von Fox Searchlight Pictures in Großbritannien gedrehte Film „The Full Monty“, Regie führte Peter Cattaneo, das Drehbuch hatte Simon Beaufoy geschrieben. Für die Filmmusik erhielt Anne Dudley 1998 den Oscar in der Kategorie „Beste Filmmusik“. Der Low-Budget-Film spielt in Sheffield, England, wo nach dem Boom der Stahlindustrie das dort ansässige Stahlwerk vor einigen Monaten geschlossen wurde und die Arbeitslosigkeit dementsprechend hoch ist. Mit der Zeit verlieren die arbeitslosen Männer auch ihr Selbstvertrauen. Gary „Gaz“ ist drauf und dran, seinen Sohn zu verlieren, weil er die Alimente für den gemeinsamen Sohn an seine Ex-Frau nicht bezahlen kann. Seinen Freunden geht es auch nicht viel besser: Dave, der unter seinem Übergewicht leidet, ist bedrückt und davon überzeugt, dass seine Frau das Interesse an ihm verloren hat, Lomper muss sich um seine alte Mutter kümmern und trägt sich mit Selbstmordgedanken, und Gerald hat seine Frau sechs Monate lang über seine Arbeitslosigkeit im Unklaren gelassen. Da stolpern Gary und Dave über eine Stripshow der Chippendales und sehen, wie viele Frauen dafür Geld ausgeben. Sie wittern das große Geld und entscheiden sich, ebenfalls eine solche Show auf die Beine zu stellen. Sie können aber nicht tanzen und sind auch nicht unbedingt als Adonis zu bezeichnen, können aber immerhin vier weitere Freunde für ihre Idee begeistern. Um das Interesse beim Publikum zu steigern, versprechen sie – anders als die Chippendales – „the full monty“ zu zeigen, was bedeutet, sich ganz auszuziehen. Gemeinsam üben sie für ihren großen Auftritt, erleben dabei die Höhen und Tiefen der Probenarbeit, und führen einmalig ihre Stripshow auf – mit triumphalen Erfolg. Trotz des relativ bescheidenen Budgets wurde der Film zu einem Überraschungserfolg, und auch als Schauspiel von Stephen Sinclair und Anthony McCarten sorgte der Stoff unter dem Titel „Ladies Night“ für Furore.

Jens Krause (Harold Nichols), Jonas Hein (Malcolm MacGregor), Sebastian Strehler (Ethan Girard), Jens Plewinski (Jerry Lukowski), Frank Brunet (Noah „Hengst“ T. Simmons), Mathias Förster (Dave
Bukatinsky
)
Foto: Andreas Hartmann


Das Musical von David Yazbeck (Musik und Gesangstexte) basiert lose auf dem Film, Terrence McNally verlegt die Geschichte in seinem Buch nach Buffalo, einer Stadt im US-Bundesstaat New York, die wie Sheffield von wirtschaftlicher Depression und hoher Arbeitslosigkeit geprägt ist, und änderte die Namen der Hauptdarsteller. Im Gegensatz zum Film mit nur 91 Minuten Spiellänge hat Terrence McNally jeden einzelnen der Männer auf der Bühne ausführlicher charakterisiert und ihnen völlig plausible Beweggründe mitgegeben. Auch die Beziehungen der Hauptfiguren zu ihren Frauen wurde stärker ausgebaut. Nun werden Sie sich natürlich fragen, ob auf der Bühne tatsächlich alles gezeigt wird. Seien Sie versichert, es wird. Aber erwarten Sie bitte nicht, auch alles mit eigenen Augen sehen zu können. Selbst im prüden Amerika durfte das Musical „The Full Monty“ aufgeführt werden, und es gibt wirklich keine Szene, der konservative Zeitgenossen ihre Zustimmung verweigern könnten, auch nicht bei der Premiere in Hildesheim am 12. April 2012. Die Uraufführung fand am 1. Juni 2000 am Old Globe Theatre in San Diego statt, am 26. Oktober 2000 folgte am Eugene O´Neill Theatre die Broadway-Premiere. Dort lief das Stück mit 35 Previews und 770 Vorstellungen bis zum 1. September 2002 sehr erfolgreich. Seitdem wird „Ganz oder gar nicht (The Full Monty)“ weltweit mit großem Erfolg gespielt, seit der Deutschsprachigen Erstaufführung am 21. Juli 2010 in der Johann-Pölz-Halle in Amstetten in der Übersetzung von Ruth Deny und Johannes Glück auch auf Deutsch. Die auch am Theater für Niedersachsen gespielte Deutsche Fassung von Iris Schumacher und Frank Thannhäuser wurde erstmals an der Oper Chemnitz gezeigt, Premiere war am 9. April 2011.

Jens Plewinski (Jerry Lukowski), Christopher Schreiber (Nathan Lukowski), Annika Dickel (Jeanette Burmeister)
Foto: Andreas Hartmann


In seiner Inszenierung für das TfN – Theater für Niedersachsen setzt Regisseur Tim Zimmermann auf Tempo, auch in den längeren Sprechpassagen. Er stellt dabei aber nicht nur die komödiantische Seite heraus, sondern betont auch die sozialkritischen Aspekte. Das Publikum erlebt die Geschichte der Männer, die ihre Arbeit verloren haben, von Anfang bis Ende und kann sich so in die Tragik der Figuren hineinversetzen. Selbst aus der Tragik der Figuren entstehen komische Momente, und so gibt es in jedem Fall viel zu lachen.

Jens Plewinski (Jerry Lukowski) und Mathias Förster (Dave Bukatinsky) begleiten das Publikum als Hauptfiguren durch die Show. Jens Plewinski tut als liebender Vater Dave alles für seinen Sohn Nathan, für den er verzweifelt versucht, das Unterhaltsgeld aufzutreiben, das er seiner Ex-Frau Pam schuldet. Seinen besten Freund Dave spielt Mathias Förster als sympathischen, übergewichtigen Normalbürger, der beinahe zu spät bemerkt, dass ihn seine Frau Georgie noch immer liebt, auch mit seinen Fehlern. Ihre teilweise in einer Audition ausgewählten Mitstreiter Jens Krause als Harold Nichols, Jonas Hein als Malcolm MacGregor, Sebastian Strehler als Ethan Girard und Frank Brunet als Noah „Hengst“ T. Simmons sind ebenfalls zu allem bereit, so lange nur das Geld stimmt. Herausragend sind die Audition von Noah „Hengst“ T. Simmons, bei der Frank Brunet passend zu Noahs fortgeschrittener Arthritis eine absolut sehenswerte Tanzperformance auf die Bühne bringt („Großer Mann“), sowie die Liebeserklärung von Jonas Hein und Sebastian Strehler als Malcolm MacGregor und Ethan Girard („Du stehst bei mir“). Sebastian Strehlers verzweifelte Versuche, Wände hochzulaufen, verfehlen ihre komödiantische Wirkung nicht. Auch Jens Krause kann als Choreograf für das Männer-Sextett – Bühnenname „Hot Metal“ – überzeugen. In den vom Buch etwas weniger ausgearbeiteten Frauenrollen können besonders Navina Heyne als Daves Frau Georgie, Tanja Krauth als Harolds Frau Vicky sowie Magdalene Orzol als Jerrys Ex-Frau Pam auf sich aufmerksam machen. Bei seiner Probenarbeit wird das Männer-Sextett von Annika Dickel als Pianistin Jeanette Burmeister angespornt, die immer einen ironischen Kommentar auf den Lippen hat und sich so jede Szene, in der sie auftritt, zu eigen macht. Ihr Spagat vor der Pause bringt ihr zusätzlich verdienten Szenenapplaus ein.

Frank Brunet (Noah „Hengst“ T. Simmons), Jonas Hein (Malcolm MacGregor), Jens Plewinski (Jerry Lukowski), Jens Krause (Harold Nichols), Mathias Förster (Dave Bukatinsky)
Foto: Andreas Hartmann


Tim Zimmermann zeichnet nicht nur für die Inszenierung verantwortlich, sondern hat auch die Choreografie erarbeitet, wobei nicht nur die Stripshow-Choreografie für die sechs arbeitslosen Männer als Highlight besonderer Erwähnung bedarf, sondern u. a. auch die Basketball-Choreografie in „Michael Jordans Ball“. Andreas Unsicker leitet seine kleine Band souverän durch David Yazbeks Kompositionen, die man wohl am besten als zeitgemäßen Pop beschreiben kann, mit einer Prise Jazz garniert, wobei einige Songs durchaus Erinnerungswert besitzen, beispielsweise „Frauenwelt“, „Du bist die Welt“, „Fühl dich frei“, oder die Ballade „Manchmal spür ich die Brise“. Mit einfachen Mitteln visualisiert Esther Bätschmann die unterschiedlichen Handlungsorte, und auch ihre Kostüme charakterisieren die Figuren treffsicher. Zusammenfassend ist „Ganz oder gar nicht (The Full Monty)“ auch am Theater für Niedersachsen eine unterhaltsame und vergnügliche Show, die die Lachmuskeln mächtig strapaziert.

Sebastian Strehler (Ethan Girard), Jens Plewinski (Jerry Lukowski), Jonas Hein (Malcolm MacGregor), Frank Brunet (Noah „Hengst“ T. Simmons), Mathias Förster (Dave Bukatinsky)
Foto: Andreas Hartmann


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