Buchbesprechung: „Unter uns – Die Faszination des Steinkohlenbergbaus in Deutschland“

Eine Reise in eine verborgene Welt

Im Dezember 2018 ist endgültig „Schicht im Schacht“, dann endet mit der Schließung der letzten beiden aktiven Zechen Prosper-Haniel in Bottrop und Anthrazit Ibbenbüren das Zeitalter des Steinkohlenbergbaus in Deutschland – ein bedeutendes Kapitel Industriegeschichte geht zu Ende. Im Ruhrgebiet hat die Förderung von Kohle die Wirtschaft, die Arbeit und den Alltag der Menschen 200 Jahre lang bestimmt. Der Bergbau prägte die Industrie und die Infrastruktur des Ruhrgebiets, die gesellschaftlichen Verhältnisse und das soziale Zusammenleben. Die unermüdliche Arbeit der Kumpel (unter Bergleuten im Sinne von Arbeitskamerad, Mitarbeiter verwendet) hat nicht nur Milliarden Tonnen Kohle ans Tageslicht gebracht, sondern auch faszinierende Technologien und Maschinen hervorgebracht. Das Buch „Unter uns – Die Faszination des Steinkohlenbergbaus in Deutschland“ führt in die geheimnisvolle und abenteuerliche Welt eines modernen Steinkohlenbergwerks und stellt Meilensteine der Technik­geschichte vor. „Der deutsche Steinkohlenbergbau hat maßgeblich zu unserem heutigen Wohlstand beigetragen, in den Kohleregionen und weit darüber hinaus. Was bleibt, ist ein kraftvolles Erbe für kommende Generationen“, betonte Herausgeber Dr. Werner Müller, seit Dezember 2012 Vorsitzender des Vorstandes der RAG-Stiftung, die die sozialverträgliche Beendigung des subventionierten Steinkohlenbergbaus der RAG Aktiengesellschaft zum Ende des Jahres 2018 gewährleisten und die Finanzierung der Ewigkeitsaufgaben des Steinkohlenbergbaus der RAG ab 2019 übernehmen soll.

UNESCO-Welterbe Zollverein, Schacht XII bei Sonnenaufgang

In den sieben Kapiteln „Rein in den Berg“, „Schächte, Strecken, Strebe“, „Vor der Hacke ist es duster“, „Gefahr – Gebannt!“, „Raus aus dem Berg“, „Bergbaufolgen und Umweltschutz“ und „Exportschlager »Gewusst wie«“, denen das einführende Essay „Glanzlichter aus der Tiefe“ vorangestellt ist, machen renommierte Experten des Bergbaus das „Wissen und Können“ der Bergleute auch für Außen­stehende verständlich. Dabei geht es unter anderem um die Rolle der Bergbautechnologie als Innovationsmotor und Exportschlager der deutschen Wirtschaft. Aber auch die bemerkenswerten Erfolge der Ingenieure im Bestreben um maximale Sicherheit und Effizienz in 1000 Meter Tiefe werden deutlich – und nicht zuletzt die Bemühungen um Umweltschutz im „Nachbergbau“-Zeitalter. Der zeitlich geordnete Chronikteil „Meilensteine der Technikgeschichte“ zeigt die technologischen Highlights des Steinkohlenbergbaus in Deutschland in Wort und Bild auf, angefangen von der Entwicklung des Kohlenhobels als mechanisiertes Abbaugerät im Jahr 1937 bis zum Biomassepark Zeche Hugo in Gelsenkirchen-Buer als beispielhaftes Nachnutzungskonzept für ein ehemaliges Zechengelände im Jahr 2011. Hinzu kommen Zeitzeugenberichte, Wortmeldungen von Prominenten und eine Reihe ausgewählter, großformatiger Fotos der Studierenden Amy-Jade Chapman, Elizaveta Podgornaia und Ludwig Kuffer von der Folkwang Universität der Künste, die die Maschinen zur Kohleförderung beeindruckend ins Bild gesetzt haben.

Bergwerk Prosper-Haniel, Schachtanlage Franz Haniel

Fast könnte beim Lesen der Aufsätze Wehmut aufkommen, jedoch sollte man bedenken, dass der deutsche Steinkohlenbergbau seit vielen Jahren wegen der ungünstigen geologischen Bedingungen international nicht wettbewerbsfähig war und daher durch öffentliche Hilfen gefördert wurde. Im Februar 2007 haben sich der Bund, das Land Nordrhein-Westfalen und das Saarland darauf verständigt, die subventionierte Steinkohlenförderung bis zum Ende des Jahres 2018 sozialverträglich zu beenden. Würden die letzten beiden aktiven Zechen Prosper-Haniel in Bottrop und Anthrazit Ibbenbüren nicht aus Kostengründen geschlossen, so müsste man sie wegen der CO2-Emission bei der Verbrennung der Steinkohle schließen. Um eine erhebliche Erderwärmung zu vermeiden, muss der Einsatz kohlenstoffhaltiger Energieträger so weit wie möglich verringert werden. Diese Problematik ist natürlich nicht Thema von „Unter uns – Die Faszination des Steinkohlenbergbaus in Deutschland“, hier wird anhand der Wasserbewirtschaftung als zentraler Teil des „Nachbergbaus“ und Bergschäden über die Bergbaufolgen und den Umwelt­schutz berichtet und fast schon ein wenig stolz darauf verwiesen, dass von etwa 35.000 registrierten Bergschäden jährlich weniger als 20 Fälle vor ordentlichen Gerichten landen.

Schachtanlage Prosper II, Malakoffturm mit eingezogenem Koepe-Strebengerüst

In der Reihe „Unter uns – Die Faszination des Stein­kohlen­berg­baus in Deutschland“ sind auch Band II: Kultur und Leben (ISBN 978-3-406-69879-8) und Band III: Politik und Positionen (ISBN 978-3-406-71468-9) erschienen. Die Buchreihe ist im Rahmen der Initiative „Glückauf Zukunft!“ erschienen, mit der die RAG-Stiftung, die RAG Aktien­gesell­schaft und die Evonik Industries AG zusammen mit dem Sozialpartner IG BCE die Errungenschaften und Leistungen des deutschen Steinkohlenbergbaus würdigen möchten. Kritische Untertöne sind da nicht zu erwarten und auch nicht zu finden. Ob alle ehemaligen Beschäftigten im Stein­kohlen­berg­bau dieser optimistischen Darstellung vorbehaltlos zustimmen werden, ich habe da so meine Zweifel. Die Buchreihe wurde vom Rat für Formgebung mit dem German Design Award für „hervorragendes Kommunikations­design“ in der Kategorie „Bücher und Kalender“ ausge­zeichnet und bietet dementsprechend hohe gestalterische Qualität.

Deutsches Bergbau-Museum Bochum

Natürlich kann die Lektüre eines Buches nicht den persönlichen Eindruck ersetzen, doch Grubenfahrten sind für normalsterbliche Besucher heute nahezu unmöglich. Wer dennoch einen Eindruck von der Welt unter Tage gewinnen möchte, könnte beispielsweise nach der Lektüre und mit dementsprechendem Vorwissen das Anschauungsbergwerk des Deutschen Bergbau-Museums Bochum in 20 Meter Tiefe besuchen, dort kann man die imposanten Maschinen wie Kohlenhobel, Tunnelfräser oder Doppelwalzenlader bei einem Rundgang in Augenschein nehmen. Das Anschauungsbergwerk bleibt für die Dauer des gesamten Umbaus des Deutschen Bergbau-Museums Bochum geöffnet, die Dauerausstellung und das Fördergerüst sind zur Zeit geschlossen.

Cover „Unter uns – Die Faszination des Steinkohlenbergbaus in Deutschland“, Band I: Wissen und Können. © Verlag C. H. Beck oHG, München 2015; Foto Dietmar Klingenburg

„Unter uns – Die Faszination des Steinkohlenbergbaus in Deutschland“
Band I: Wissen und Können
Herausgeber: Werner Müller
Autoren: Bernd Tönjes, Per Nicolai Martens, Karl-Heinz Stenmans, Harald Jurecka, Lothar Scheidat, Christoph Dauber, Karl Friedrich Jakob, Heribert Bertling, Peter Fischer, Martin Junker, Paul Rheinländer
168 Seiten mit zahlreichen farbigen Abbildungen, Hardcover
Erschienen im Verlag C. H. Beck, München
1. Auflage, Oktober 2015
ISBN 978-3-406-68427-2
19,95 € (D)

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