„Rent“ am Bayer Erholungshaus

„Rent“ – basierend auf Giacomo Puccinis Oper „La Bohème“. Musik, Libretto: Jonathan Larson; zusätzliche Liedtexte: Billy Aronson; Deutsche Bearbeitung: Wolfgang Adenberg; Inzenierung: Walter Sutcliffe; Choreografie: Mario Mariano; Ausstattung: Dorota Karolczak; Licht-Design; N. N.; Ton: N. N.; Musikalische Leitung: Roun Zieverink. Darsteller: Benjamin Beckmann (Mark Cohen), Ruud van Overdijk (Roger Davis), Marina La Torraca (Mimi Márquez), Denis Edelmann (Tom Collins), Manuel Dengler (Angel Dumott Schunard), Anna Christiana Hofbauer (Maureen Johnson), Nedime Ince (Joanne Jefferson), Martin Markert (Benjamin „Benny“ Coffin III/Cover Roger Davis), Gerrit Hericks, Michaela Khom, Vasilios Manis, Denise Obedekah. Band: Roun Zieverink (Keyboards), Leonard Kunstmann (Gitarre), Philipp Steen (Bass), Jérôme Lellouche (Drums). Uraufführung: 13. Februar 1996, New York Theatre Workshop, New York City. Broadway-Premiere: 29. April 1996, Nederlander Theatre, New York City. Deutsche Erstaufführung: 25. Februar 1999, Capitol Theater, Düsseldorf. Premiere der Deutschen Bearbeitung von Wolfgang Adenberg: 30. August 2007, Hessisches Staatstheater Wiesbaden. Premiere: 9./10. November 2017, Theater auf dem Hornwerk, Nienburg. Besuchte Vorstellung: 12. November 2017, Bayer Erholungshaus, Leverkusen.



„Rent“


Das legendäre Rock-Musical auf Tournee durch den deutschsprachigen Raum


Der amerikanische Komponist und Dramatiker Jonathan Larson (* 4. Februar 1960 in White Plains, New York, † 25. Januar 1996 in New York City, New York) konnte den Welterfolg seines Meisterwerkes leider nicht mehr erleben, er starb unerwartet am Tag vor der ersten Preview von „Rent“ beim New York Theatre Workshop. Doch dies konnte den Erfolg nicht aufhalten, nachdem die Show Off-Broadway fortwährend verlängert worden war, entschloss man sich zu einem Transfer zum Broadway an das Nederlander Theatre, wo „Rent“ am 29. April 1996 Premiere feierte und bis 7. September 2008 in 5.123 Vorstellungen gezeigt wurde. „Rent“ belegt damit augenblicklich Rang 11 der am längsten am Broadway gespielten Musicals. Platz 1 belegt unangefochten Andrew Lloyd Webbers „The Phantom of the Opera“ mit 12.390 Vorstellungen (Stand 5. November 2017) am Majestic Theatre, das dort aktuell noch immer gezeigt wird. Jonathan Larson wurde 1996 posthum mit drei Tony Awards (Best Musical, Best Book of a Musical, Best Original Score) und dem Pulitzer Prize for Drama geehrt. Am 5. November 1996 begann in Boston die nationale „Angel“-Tournee von „Rent“, die am 5. September 1999 in San Francisco endete. Am 25. Februar 1999 wurde „Rent“ in der deutschen Bearbeitung von Heinz Rudolf Kunze zum ersten Mal in Deutschland am Capitol Theater in Düsseldorf gezeigt, aber dort nur bis 9. Mai 1999 gespielt. Im Anschluss wurde die Produktion noch vom 4. September 1999 bis 4. Januar 2000 an der Freien Volksbühne Berlin gezeigt, wo es sogar Vorstellungen im englischen Original gegeben hat, die dem Stück daselbst letztendlich aber auch nicht zum Erfolg verhelfen konnten. Dass Drogensucht, Obdachlosigkeit und Aids in Deutschland nicht unbedingt als vordringlichste Probleme empfunden werden, hat womöglich mit dazu beigetragen, dass „Rent“ in Deutschland nie der große Erfolg beschieden war wie in den USA. Nach einigen Jahren hat Wolfgang Adenberg „Rent“ nochmals neu übersetzt, und diese Bearbeitung wird nunmehr auch bei der neuen Tourneeproduktion der 2017 gegründeten Hilbert Productions GmbH „zum 21. Jubiläum“ in Deutschland, Österreich und der Schweiz aufgeführt, wobei die Inszenierung vom 9. November bis 1. Dezember 2017 lediglich in 20 Vorstellungen u. a. in Wien und Berlin gezeigt wird. Am 11. und 12. November 2017 war die Produktion am Bayer Erholungshaus in Leverkusen zu sehen.

„Rent“ ist von Giacomo Puccinis Oper „La Bohème“ inspiriert, die vom Lieben, Leiden und Leben gewöhnlicher Menschen handelt und auf dem Roman „Scènes de la vie de bohème“ von Henri Murger basiert. Viele Charaktere und Handlungselemente in „Rent“ stammen aus der berühmten Oper, die ihre Premiere 100 Jahre vor „Rent“ am 1. Februar 1896 am Teatro Regio in Turin feierte. Während in Puccinis Werk die Tuberkulose um 1830 eine schwere Last der Protagonisten in Paris ist, Mimì verstirbt im vierten Bild an Tuberkulose, ist es im Musical von Jonathan Larson in den späten 1980er-Jahren HIV/Aids im New Yorker East Village. Alle Protagonisten in „Rent“ reflektieren Charaktere aus „La Bohème“, ohne direkte Adaptionen zu sein. Musikalisch verbeugt sich Jonathan Larson vor dem Werk Giacomo Puccinis in Songs wie „Tango: Maureen“, „Light my Candle“, „Goodbye Love“ oder „Take Me or Leave Me“ („Quando Me’n Vo“ aus „La Bohème“). Die Geschichten der jungen „Rent“ Protagonisten aus dem New Yorker East Village haben von ihrer Aktualität bis heute nichts eingebüßt – sie erzählen von der Liebe, der Suche nach sich selbst und dem Leben im Hier und Jetzt. Heutige Themen wie Wohnungsnot, Drogenabhängigkeit, Rassismus und Aids finden sich in „Rent“ ebenso wie der zeitlose Glaube an die Liebe, die Kraft der Freundschaft und die Menschlichkeit.

„Rent“, Gerrit Herricks, Martin Markert (Benjamin „Benny“ Coffin III), Michaela Khom, Ruud van Overdijk (Roger Davis), Marina La Torraca (Mimi Márquez), Denis Edelmann (Tom Collins), Denise Obedekah, Manuel Dengler (Angel Dumott Schunard), Benjamin Beckmann (Mark Cohen), Anna Christiana Hofbauer (Maureen Johnson), Nedime Ince (Joanne Jefferson), Vasilios Manis. © Kohei Hirotsu Photography

„Rent“ scheint ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein, schließlich spielt die Handlung in den späten 1980er-Jahren und im Zeitraum von 2001 bis 2012 hat die Zahl der HIV-Neuinfektionen weltweit in 26 Ländern um 50 % oder mehr abgenommen, dennoch hat Regisseur Walter Sutcliffe (Künstlerischer Direktor der Northern Ireland Opera in Belfast, „Manon Lescaut“ von Giacomo Puccini, Theater Osnabrück, Premiere 14. Januar 2017) gut daran getan, das packenste zeitgenössische Musical der 1990er-Jahre nicht in die heutige Zeit übertragen zu wollen. Wie bereits aus den Produktionen am Nederlander Theatre und Capitol Theater sowie an der Freien Volksbühne Berlin bekannt setzt auch Walter Sutcliffe nicht auf theatralische Effekte, sondern vertraut auf die Ausstrahlung seines Ensembles. Das Einheitsbühnenbild von Produktionsdesignerin Dorota Karolczak ist zweckdienlich, schließlich muss dieses von einem Tag auf den nächsten nicht nur ab- und wieder aufgebaut werden, sondern auch noch Hunderte von Kilometern transportiert werden. Das Lichtdesign ist bedauerlichwerweise nicht vollständig ausgewogen, die LED-Lichtleisten in Form eines vierstelligen Displays an dem für „Rent“ beinahe obligatorischen Gerüst sind derartig hell, dass sie teilweise blenden und die Darsteller zeitweilig im Dunkeln stehen lassen. (Szenenfotos im aktuellen Bühnenbild scheinen nicht zu existieren.) Die vierköpfige Band ist hinter dem Gerüst auf der Bühne untergebracht und bringt unter der Musikalischen Leitung von Roun Zieverink Jonathan Larsons Partitur mit Rock- und Pop-Songs sowie einfühlsamen Balladen stimmig zu Gehör.

Während die deutschsprachige Erstaufführung mit wenigen Ausnahmen wie beispielsweise Alex Melcher (Mark Cohen) oder Irina Alex (Maureen Johnson) mit englischsprachigen Darstellern besetzt war und die Textverständlichkeit dementsprechend kritisiert wurde, ist die aktuelle Tourneeproduktion mit wenigen Ausnahmen mit deutschen Muttersprachlern besetzt. Wenn die Beziehungen der handelnden Personen untereinander und die Handlung über den Text vermittelt werden, ist es notwendig, jedes gesprochene und gesungene Wort zu verstehen. Dass dies nicht zu 100 % der Fall war, kann bei der aktuellen Produktion m. E. nicht den Darstellern angelastet werden, sondern geht hier auf das Konto der Tontechnik.

Benjamin Beckmann (Joop van den Ende Academy, Hamburg (2010); diverse Engagements am Landestheater Dinkelsbühl und am Ohnsorg Theater Hamburg) führt als Dokumentarfilmemacher Mark Cohen durch die Handlung, in deren Verlauf er von Heiligabend an für ein Jahr das Leben seiner Freunde ohne Drehbuch filmen möchte. Trotz der peinlichen ersten Begegnung mit Joanne Jefferson, für die ihn seine ehemalige Freundin Maureen Johnson verlassen hat, entwickelt sich eine lose Freundschaft zwischen beiden, während er auch die Freundschaft zu Maureen aufrechtzuerhalten scheint. Ruud van Overdijk (Fontys Conservatorium, Tilburg (2010); Roger Davis in „Rent“, M-Lab, Amsterdam, Regie Daniël Cohen, DeLaMar Producties) kämpft als HIV-positiver Musiker Roger Davis mit seinen Gefühlen für Mimi Márquez, da er nicht noch einmal den mit dem Verlust eines geliebten Menschen verbundenen Schmerz erleben möchte, nachdem sich seine Freundin April angesichts ihrer HIV-Diagnose das Leben genommen hat. Auf der Suche nach dem einen perfekten Song greift er stets zu seiner Fender-Gitarre, um schließlich „Dein Blick“/„Your Eyes“ für Mimi zu singen, als sie vermeintlich im Sterben liegt. Die gebürtige Brasilianerin Marina La Torraca (Circle in the Square Theater School New York (2007); Ensemblemitglied bei DS Entertainment) fühlt sich als drogenabhängige, HIV-positive Tänzerin Mimi Márquez im Cat Scratch Club vom ersten Kennenlernen zu Roger Davis hingezogen und verliebt sich in ihn, auch wenn sie anfänglich von ihm abgewiesen wird. Sie kämpft entschlossen für ihre Liebe, obwohl Roger zunächst nicht auf ihre Flirtversuche und eindeutigen Avancen eingeht. Denis Edelmann (Universität der Künste, Berlin (2015); Ralph in „Kiss me, Kate“, Konzertdirektion Landgraf; „Der Medicus“, Schlosstheater Fulda) wirkt als homosexueller, aidskranker Philosophieprofessor und Anarchist Tom Collins ruhiger als seine ehemaligen Mitbewohner Mark und Roger und ist nach dem Tod seines Geliebten Angel Dumott Schunard tief betroffen. Während Wilson Jermaine Heredia für seine Darstellung der HIV-positiven Drag Queen am Broadway mit dem Tony Award als Bester Nebendarsteller ausgezeichnet wurde, macht Manuel Dengler (Bayerische Theaterakademie August Everding, München (2014); Angel Dummot Shunard in „Rent“, Stadttheater Trier, Regie Malte C. Lachmann) als Angel Dumott Schunard auch ohne Auszeichnung eine gute Figur und gibt die Lebensfreude des Transvestiten trotz dessen Erkrankung überzeugend zu erkennen. Die ehemalige „Bachelorette“ Anna Christiana Hofbauer (Joop van den Ende Academy, Hamburg (2010); Evita in „Evita“, Staatstheater Oldenburg; Constanze Weber in „Mozart!“, Theater am Marientor Duisburg, Shanghai Culture Square Theatre) tritt als bisexuelle, unberechenbare Performancekünstlerin Maureen Johnson, die Mark kürzlich für Joanne sitzenlassen hat, in Idina Menzels Fußstapfen, die in „Rent“ ihr Broadway-Debüt gegeben hat und für einen Tony Award als Beste Nebendarstellerin nominiert war. Anna Christina Hofbauer bringt zwar „die Kuh zum Fliegen“, aber man konnte sich bei ihrer Protest-Performance des Eindrucks nicht erwehren, dass sie sich in ihrem Protest-Outfit unwohl fühlt. Obendrein wird die Szene ziemlich abrupt beendet, noch bevor sie das Publikum zum „Muhen“ animieren kann. Denise Obedekah (Performers College, Corringham, Essex (2002); Harlem-Ensemble in „Ragtime – Das Musical“, Staatstheater Braunschweig und Kassel, Oper Graz; „Der Medicus“, Schlosstheater Fulda), die in der besuchten Vorstellung für die erkrankte Nedime Ince (Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“, Leipzig (2014); Lois Lane/Bianca in „Kiss me, Kate“, Theater Dortmund; Rosalia in „West Side Story“, DomplatzOpenAir Magdeburg) die Rolle der lesbischen, eigenwilligen Anwältin Joanne Jefferson übernommen hat, weiß durchweg zu überzeugen und bestreitet den Abend auch in ihren Ensemble-Tracks souverän. Martin Markert (Joop van den Ende Academy, Hamburg (2004); Baron Hübner/Todesengel in „Elisabeth“, Shanghai (2015/16)) versucht als Hauseigentümer Benjamin „Benny“ Coffin III, die längst überfällige Miete einzutreiben. Er war früher Mitbewohner von Mark und Roger, ist allerdings mittlerweile mit Alison Grey verheiratet und hat seine persönlichen Moralvorstellungen gegen Macht und Reichtum eingetauscht, zeigt aber auf der anderen Seite auch Herz, als es um die Bezahlung von Angels Beerdigung geht. Gerrit Hericks (Hamburg School of Entertainment (2014); Brad Majors in Richard O´Brian´s „The Rocky Horror Show“, Schlossfestspiele Ettlingen), Michaela Khom (Vienna Konservatorium (2012); „Die Duetten“, Heli in „Ein Sommernachtstraum“, Sommertheater in der Meierei Gaaden) und Vasilios Manis (Hochschule für Musik und Tanz, Köln (2014); „Das Phantom der Oper“, Metronom Theater Oberhausen; „Mozart!“, Theater am Marientor Duisburg, Shanghai Culture Square Theatre) vervollständigen das ambitionierte Ensemble.

Nach der Pause blieb der ein oder andere Sitzplatz im Auditorium leer, die Besucher hatten im ersten Akt offensichtlich schon genug gesehen, und nach etwa 160-minütiger, mitreißender Gefühlsachterbahn gab es nur zögerlich Stehapplaus für die Darsteller und Musiker auf der Bühne. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die aktuelle Tournee von „Rent“ ist durchaus sehenswert, Tontechnik-Probleme sollten sich noch ausmerzen lassen, und auch die Blendwirkung der LED-Lichtleisten ließe sich m. E. herabsetzen.

p. s. Szenenfotos wurden uns vom Tourneeveranstalter nicht zur Verfügung gestellt.

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