Buchbesprechung: „Architekturführer durch die Gartenstadt Margarethenhöhe“

Eine außergewöhnliche Siedlung in ihrer Baugeschichte bis zur Gegenwart

1906 rief Margarethe Krupp (* 15. März 1854 in Breslau, † 24. Februar 1931 in Essen) anlässlich der Hochzeit ihrer Tochter Bertha (* 29. März 1886 in Essen, † 21. September 1957 in Essen) die „Margarethe Krupp-Stiftung für Wohnungsfürsorge“ ins Leben, die mit einem Kapital von einer Million Mark und 50 Hektar Bauland ausgestattet wurde. Mit der Realisierung der Margarethenhöhe ab 1909 bis 1938 wurde der Architekt Georg Metzendorf (* 25. September 1874 in Heppenheim, † 3. August 1934 in Essen) beauftragt. Georg Metzendorfs zukunfts­weisendes Konzept eines „umfassend reformierten Kleinwohnhauses“, welches er 1908 auf der Hessischen Landesausstellung in Darmstadt vorstellte, trug maßgeblich zu seiner Beauftragung in Essen bei. Sein Grundrissentwurf basierte auf einem „variablen Typengrundriss“, der an die jeweiligen Raumbedürfnisse angepasst werden konnte. Zur hohen Lebensqualität der Siedlung trug der Wohnungs­standard auf der Margarethenhöhe bei, der zur damaligen Zeit höchsten Ansprüchen genügte. Alle Wohnungen waren mit modernsten Heiz- und Sanitäranlagen ausgestattet und bis 1918 verfügte jedes Haus über einen eigenen Garten. Seit dem 12. November 1987 steht der größte Teil der „Alten“ Margarethenhöhe – im Gegensatz zu der von 1962 bis 1980 nach Plänen des Wettbewerbgewinners Dr. Wilhelm Seidensticker realisierten „Neuen“ Margarethenhöhe – mit 586 Gebäuden und 1.157 Wohneinheiten unter Denkmalschutz. Die Margarethenhöhe wird als „Gesamtkunstwerk“ und „Denkmal von europäischem Rang“ bewertet. Das Zentrum der Margarethenhöhe bildet der „Kleine Markt“ mit dem „Gasthaus zur Margarethenhöhe“ (1911), dem Schatzgräberbrunnen (1912) von Bildhauer Joseph Enseling (* 28. November 1886 in Coesfeld, † 16. Juli 1957 in Düsseldorf) und der ehemaligen Kruppschen Konsumanstalt (1911/1912). Das Wohnangebot stand im Unterschied zum Kruppschen Werkswohnungsbau allen Essener Bürgern offen, der vergünstigte Einkauf in der am Marktplatz gelegenen Konsumanstalt war aber den Kruppschen Werksangehörigen vorbehalten.

„Gasthaus zur Margarethenhöhe“

Während der im Mai 2014 erschienene Band 2 der Kleinen Schriften des Ruhr Museums „Die Gartenstadt Margarethen­höhe. Architektur und Geschichte“ auf der Grundlage einer Vortragsreihe im „Kleinen Atelierhaus“ einen vollständigen Überblick über die Architektur, die Geschichte und das Leben auf der Margarethenhöhe bietet, der sich an die Bewohner der Margarethenhöhe, alle an der Garten­stadt­bewegung Interessierten und mit zahlreichen Abbildungen auch an die breite Öffentlichkeit richtet, soll der nun vorliegende, als Themenkatalog konzipierte „Architekturführer durch die Gartenstadt Margarethenhöhe“ die Orientierung und den individuellen Besuch der Margarethen­höhe erleichtern. Dass es dabei zu einigen Überschneidungen kommt, liegt in der Natur der Sache. Die beiden Autoren Dr.-Ing. Rainer Metzendorf (* 1941 in Hamburg), der Enkel des Architekten Georg Metzendorf, und Achim Mikuscheit (* 1954 in Essen), Leiter der Aussenstellen des Ruhr Museums, der auch bereits durch seine redaktionelle Tätigkeit für die Entstehung von Band 2 der Kleinen Schriften des Ruhr Museums verantwortlich zeichnet, sind erfahrene Fachleute, die sich seit Jahren mit der Margarethenhöhe auseinander­setzen. Auf Grundlage ihrer umfangreichen Sachkenntnis ist ein Architekturführer entstanden, der die Siedlung als „Gesamtkunstwerk und soziales Phänomen“ vorstellt. Georg Metzendorf hatte als ausführender Stadt­planer und Architekt in deutlicher Abkehr zur „steinernen Großstadt“ der Gründerzeit neue Wege beschritten, die ihre Grundlage in der Gartenstadtbewegung und im Werkbund hatten. Aufgrund eines Regierungserlasses von allen damals geltenden Bauvorschriften befreit konnte Georg Metzendorf nach rein fachlichen Gesichtspunkten entscheiden und unkonventionelle Planungskonzepte und Durch­führungs­methoden erproben. Als Resultat entstand „Die Margarethen­höhe – ein Denkmal von Weltrang“ (Prof. Dr.-Ing. Walter Buschmann in „Die Gartenstadt Margarethenhöhe. Architektur und Geschichte“).

„Kleines Atelierhaus“ an der Sommerburgstraße

Die „Margarethe-Krupp-Stiftung für Wohnungsfürsorge“ stellte auch Räumlichkeiten für freie Künstler zur Verfügung, so dass sich die Margarethenhöhe ab 1917 zu einer Künstlerkolonie von überregionaler Bedeutung entwickelte. Mit dem Bau des „Kleinen Atelierhauses“ (1919) in der Sommerburgstraße 18 für den Grafiker Hermann Kätelhön (* 22. September 1884 in Hofgeismar, † 24. November 1940 in München), des „Werkhauses“ (1927) Im Stillen Winkel 1 sowie des „Großen Atelierhauses“ (1929) Im Stillen Winkel 42-48 als bis heute einzigartiges Kunstförderungsmodell in Essen bereicherte eine Künstler- und Kunsthandwerkergemeinschaft den Alltag sowohl in der Gartenstadt als auch im gesamten Industriegebiet. Zum Kreis der auf der Margarethenhöhe tätigen Künstler zählten neben Hermann Kätelhön u. a. der Bildhauer Will Lammert (* 5. Januar 1892 in Hagen, Westfalen, † 30. Oktober 1957 in Berlin), die Goldschmiedin Elisabeth Treskow (* 20. August 1898 in Bochum, † 6. Oktober 1992 in Brühl (Rheinland)), die Buchbinderin Frida Schoy (* 23. November 1889 in Duisburg, † 31. August 1963 in Essen) und der Fotograf Albert Renger-Patzsch (* 22. Juni 1897 in Würzburg, † 27. September 1966 in Wamel). Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurden die KünsterInnen vertrieben und damit der Künstlergemeinschaft ein Ende gesetzt. Von dem Künstlerviertel der 1920er- und 1930er-Jahre blieben nur das „Kleine Atelierhaus“ an der Sommerburgstrasse und die Goldschmiedewerkstatt Im Stillen Winkel erhalten. Aber auch die Kunstwerke, die für die Margarethen­höhe bestimmt waren, sind erhalten geblieben: Arbeiten von Joseph Enseling, Lisa Merkel (1916 – 2002) und Otto Lang (* 5. September 1855 in Oberammergau, † 26. Dezember 1928 in München).

„Bronzeknabe“ von Lisa Merkel, 1956

Im aktuellen Bestandsplan der Margarethenhöhe auf Seite 119 sind Vorschläge für einen 45-minütigen Hauptrundweg sowie für einen kurzen (15 Minuten) und erweiterten Rundweg inklusive der Standorte der im Text beschriebenen Gebäude eingezeichnet. Mir ist nicht bekannt, ob es dafür auch eine App für Leute gibt, die sich lieber mit dem Smartphone auf den Weg machen, es wäre in jedem Fall kontraproduktiv, denn vielfach begegnen einem solche Leute mit gesenkten Kopf in ihr Smartphone vertieft, so dass die Umgebung gar nicht mehr wahrgenommen wird. Und die Margarethenhöhe sollte man sich in jedem Fall in der Realität anschauen. Die folgenden Fotografien mögen dazu anregen, die Margarethenhöhe anhand des „Architekturführers durch die Gartenstadt Margarethenhöhe“ eigenständig zu erkunden.

Häuserzeile Kleiner Markt

„Schatzgräberbrunnen“, nach Entwürfen von Georg Metzendorf wurde die Brunnenanlage von Joseph Enseling ausgeführt und am 20. Juli 1912 auf dem Kleiner Markt eingeweiht

„Die Säerin“, Skulptur von Joseph Enseling zur Erinnerung an Margarethe Krupp, am 31. Mai 1936 auf dem Hauxplatz eingeweiht

„Landwirtschaft, Chemie, Industrie“, Schardt, Metzendorfstraße 107

ehemaliges „Kleines Kaufhaus“, Steile Straße 19

Waldlehne

Waldlehne

„Gasthaus zur Margarethenhöhe“ am Kleinen Markt


Sitzungszimmer des Aufsichtsrates der „Margarethe Krupp-Stiftung für Wohnungsfürsorge“

Sitzungszimmer der „Margarethe Krupp-Stiftung für Wohnungsfürsorge“

Als kleines „Schmankerl“ an dieser Stelle noch einige Informationen zum Sitzungszimmer des Aufsichtsrates der „Margarethe Krupp-Stiftung für Wohnungsfürsorge“: Georg Metzendorf hat das von Margarethe Krupp in Auftrag gegebene und finanzierte Sitzungszimmer bis in die kleinsten Details entworfen. Es wurde zunächst auf der Deutschen Werkbund-Ausstellung 1914 in Köln gezeigt, der ersten Leistungsschau des 1907 gegründeten Deutschen Werk­bundes, bevor es im Anschluss komplett in das „Gasthaus zur Margarethenhöhe“ am Kleinen Markt eingebaut und am 4. Januar 1915 als Sitzungszimmer des Aufsichtsrates der Stiftung eingeweiht wurde.

Sitzungszimmer der „Margarethe Krupp-Stiftung für Wohnungsfürsorge“

Ursprünglich befand sich über dem Marmorkamin auf der einen Stirnwand das Ölgemälde „Frühling“ von Adolf Beyer (* 19. August 1869 in Darmstadt, † 19. Juli 1953 in Darmstadt), welches zum 75. Geburtstag von Margarethe Krupp durch das von Hofmaler Otto Heinrich Propheter (* 29. Juni 1875 Mannheim, † 1. Dezember 1927 in Karlsruhe) geschaffenen Gemälde der Stifterin ersetzt wurde. Auf der gegenüber­liegenden Stirnseite steht ein halbhoher Prunk­schrank mit den beiden Bronzefiguren „Adam“ und „Eva“ von Joseph Enseling. Die ursprünglich ebenfalls von Georg Metzendorf entworfene Deckenleuchte sowie die vom Berliner Kunstmaler Harold Tronson Bengen (* 6. Januar 1879 in Hannover, † 21. März 1962 in Hamburg) geschaffenen Bunt­ver­glasungen für die Fensterfront sind bedauerlicherweise verloren gegangen. Das Sitzungszimmer steht seit 1987 unter Denkmalschutz und wurde 2003 umfassend restauriert. Es kann seither als „Margarethe Krupp Zimmer“ für private oder geschäftliche Feste, kleinere Bankette und Meetings in Mintrops Stadt Hotel Margarethenhöhe genutzt werden.

Sitzungszimmer der „Margarethe Krupp-Stiftung für Wohnungsfürsorge“, Stirnwand mit Marmorkamin und dem von Otto Propheter geschaffenen Gemälde von Margarethe Krupp

Sitzungszimmer der „Margarethe Krupp-Stiftung für Wohnungsfürsorge“, halbhoher Prunkschrank mit den beiden Bronzefiguren „Adam“ und „Eva“ von Joseph Enseling auf der zweiten Stirnseite


Cover „Architekturführer durch die Gartenstadt Margarethenhöhe“, © Klartext Verlag. Umschlaggestaltung: Uwe Lösch, Umschlagbild: Frank Vinken

„Architekturführer durch die Gartenstadt Margarethenhöhe“
1. Auflage November 2016
Kleine Schriften des Ruhr Museums, Band 4
Herausgeber Heinrich Theodor Grütter, Ruhr Museum
Text und Redaktion Rainer Metzendorf und Achim Mikuscheit
120 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen und Pläne
Erschienen im Klartext Verlag, Essen
ISBN 978-3-8375-1142-0
12,95 €

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