„Ich war noch niemals in New York“

„Ich war noch niemals in New York“ – mit den Songs von Udo Jürgens; Buch: Gabriel Barylli, Christian Struppeck; Regie: Carline Brouwer; Choreografie: Kim Duddy; Bühne: David Gallo; Kostüme: Yan Tax; Licht: Andy Voller, Richard G. Jones; Orchestrierung und Musical Supervisor: Michael Reed; Musikalische Leitung: Rebecca Lang. Darsteller: Sarah Schütz/Ann Mandrella (Lisa Wartberg), Karim Khawatmi/Tobias Licht (Axel Staudach), Giesela Kraft (Maria Wartberg), Gunter Sonneson (Otto Staudach), Uli Scherbel (Fred Hoffmann), Gianni Meurer (Costa Antonidis), Rosemarie Wohlbauer (Maria Wartberg alternierend), Peter-Uwe Witt (Otto Staudach alternierend), Daniel/Leif/Leon/Marlon/Nico/Tim (Florian), Udo Eickelmann (Kapitän), Gerben Grimmius (Steward), Karin Seyfried (Frau Menzel), Gloria Wind (Frau Dünnbügel), Saskia Asseler, Perry Beenen, Nicolas Boris Christahl, Aine Curran, Morton Daugaard, Katie Harland, Nic Ineson, Shane Landers, Carly Miles, Ahou Nikazar, Alison J. Norwell, Mike Sandomeno, Nico Schweers, Benny Tyas, Matteo Vigna, Gloria Wind. Uraufführung: 2. Dezember 2007, Operettenhaus Hamburg. Premiere: 25. März 2015, Theater des Westens, Berlin.



„Ich war noch niemals in New York“


Die Tournee-Version am Colosseum Theater Essen


Als „Ich war noch niemals in New York“ im Dezember 2007 in St. Pauli vom Stapel lief, sollte das Musical auf alle Fälle ein Erfolg werden, war es doch schließlich die erste Eigen­produktion der Stage Entertainment in Deutschland. Als das musicalische Traumschiff fünf Jahre später am 5. Dezember 2012 am Rhein-Herne-Kanal in Oberhausen festgemacht hat, wurde „Ich war noch niemals in New York“ letztmalig bis 24. Oktober 2013 open end am Metronom Theater gespielt. In der Folge entschied Stage Entertainment, das Musical als Tournee-Produktion zu zeigen, holte sich zusätzlich Semmel Concerts Entertainment als Tournee-Veranstalter ins Boot, und schickte die Produktion ab 25. März 2015 durch die deutschsprachigen Lande:

 • 25.03. – 27.09.2015 Theater des Westens, Berlin
 • 07.10.2015 – 03.01.2016 Deutsches Theater München
 • 24.01. – 10.04.2016 Theater des Westens, Berlin
 • 17.04. – 03.07.2016 Raimund Theater, Wien
 • 14.07. – 14.08.2016 Musiktheater am Volksgarten, Linz
 • 20.08. – 28.08.2016 Stadthalle Graz
 • 03.09. – 11.09.2016 Salzburgarena, Salzburg
 • 16.09. – 09.10.2016 Musical Theater, Bremen
 • 14.10. – 30.10.2016 Festspielhaus Bregenz
 • 04.11. – 11.12.2016 Colosseum Theater, Essen
 • 16.12.2016 – 07.01.2017 Alte Oper Frankfurt
 • 19.01. – 31.07.2017 Theater an der Elbe, Hamburg

2016 standen allein 10 verschiedene Spielstätten auf dem Spielplan. Mitunter liegen lediglich vier spielfreie Tage zwischen der letzten Vorstellung am alten Spielort und der ersten Vorstellung am neuen Spielort. Da darf man sich natürlich nicht wundern, dass nicht das Bühnenbild der Hamburger Uraufführung auf Reisen geschickt wird, das immerhin knapp drei Jahre an Ort und Stelle im Operettenhaus Hamburg zu sehen war: „Denn es reist sich besser mit leichtem Gepäck“. Im Bühnenbild von David Gallo wird sehr viel mit Hintergrundprojektionen gearbeitet (Video-Design Arjen Klerkx), von dem ehemals üppigen Promenadendeck des Kreuzfahrtschiffs, das bei den open end-Produktionen über die Bühne „fuhr“, ist bei der Tournee nicht mehr viel übrig geblieben: Die Bühnenwagen mit den großen Schiffsteilen, die man zuletzt in Oberhausen gesehen hat und die die Illusion eines großen Kreuzfahrtschiffes vermittelt haben, sind womöglich im Rhein-Herne-Kanal versunken… oder in Parchim eingelagert. Bei der Gelegenheit wurde auch das Ensemble auf 19 DarstellerInnen reduziert, bei der Produktion in Oberhausen standen noch 23 DarstellerInnen auf der Bühne des Metronom Theaters. Nach uns vorliegenden Informationen wird das Bühnenbild in der Tournee-Version auch im kommenden Jahr zum zehnjährigen Jubiläum des Musicals im Theater an der Elbe zum Einsatz kommen, dann zu Ticketpreisen ab 49,90 € in der Kategorie 4 unter der Woche bis 158,90 € in der Premium Kategorie am Samstagabend zzgl. Service & Versandkosten. Das zehnjährige Jubiläum wird das Stück dort allerdings nicht erleben, gespielt wird nämlich nur bis 31. Juli 2017, und nicht bis zum 2. Dezember 2017.

Der österreichische Dramatiker Gabriel Barylli hat mit Koautor Christian Struppeck die auf einer Idee von Hera Lind basierende Geschichte weiterentwickelt und unter Einbeziehung von 20 der bekanntesten Songs von Udo Jürgens das Buch zu dem Jukebox-Musical „Ich war noch niemals in New York“ geschrieben. Der toughen Fernseh­moderatorin Lisa Wartberg geht nichts über ihre Karriere, ein nicht näher bezeichneter deutscher Fernsehpreis ist das Ziel ihrer Träume. Da bleibt natürlich keine Zeit für ihre Mutter Maria, die im Seniorenheim lebt und dort Otto Staudach kennengelernt hat. Beide möchten sich ihren Lebenstraum erfüllen und unter der Freiheitsstatue in New York heiraten. Kurzentschlossen machen sich die älteren Herrschaften auf den Weg und besteigen das Kreuzfahrtschiff „MS Atlantik“ nach Amerika. Natürlich fällt das Verschwinden im Seniorenheim auf, und so droht die Leiterin damit, die beiden Plätze anderweitig zu vergeben, sollten Maria und Otto nicht innerhalb von einer Woche wieder zurück sein. Gezwungener­maßen nehmen Lisa Wartberg, Ottos Sohn Axel und dessen Junior Florian mit dem Auto auf die Verfolgung auf, und anstatt auf direktem Wege nach Genua zu fahren, verlassen sie sich lieber auf ein Navigationssystem, dass sie prompt zunächst nach Linz und Wien führt, bevor es über Salzburg wieder Richtung Ligurien geht. (Offensichtlich hat man den Tournee-Stationen in Wien, Linz und Salzburg einen höheren Stellenwert beigemessen und die Route für die Aufführungen im Colosseum Theater in Essen nicht mehr angepasst.) In letzter Minute erreichen Lisa, Axel und Florian die „MS Atlantik“ in Triest, woraufhin es an Bord zu temperamentvollen Verwicklungen kommt, denn auch Lisa und Axel verlieben sich ineinander. Auch Lisa Wartbergs bester Freund, Vertrauter und Stylist Fred Hoffmann und dessen Lover und Aufnahmeleiter Costa Antonidis sind mit an Bord und sollen Lisa dort abholen. Maria und Otto schaffen es zunächst, in der Menge unter­zu­tauchen, doch Florian gelingt es schließlich, die beiden ausfindig zu machen. Nach langer Zeit sprechen sich Maria und ihre Tochter Lisa sowie Otto und sein Sohn Axel offen miteinander aus. Lisa scheint am Ziel ihrer Träume angekommen zu sein, als sie die Nachricht erhält, dass ihr der deutsche Fernsehpreis überreicht werden soll. Sie packt ihre Koffer und lässt Axel enttäuscht zurück. Doch als sich alle zur Fernsehübertragung der Preisverleihung zusammengefunden haben, taucht Lisa unvermutet persönlich auf. Sie hat auf die persönliche Entgegennahme des Preises verzichtet und schließlich erkannt, „was wichtig ist“.

Bei der Tournee kommt die überarbeitete Wiener Fassung in der Regie von Carline Brouwer zur Aufführung, in der die Südsee-Sequenz im Reisebüro aus der Uraufführung durch eine Traum-Sequenz in New York City ersetzt wurde. Die Handlung des Compilation-Musicals ist ziemlich vorhersehbar, und gerade im zweiten Akt reihen sich die Songs von Udo Jürgens nahezu nahtlos aneinander, lediglich von knappen Dialogen unterbrochen. Hier finden sich die großen Hits wieder, die in den Arrangements von Michael Reed einfach für gute Laune sorgen und die Handlung in den Hintergrund treten lassen. Da zu fast jedem Song auch noch das Tanzensemble auf der Bildfläche erscheint (Choreografie Kim Duddy), bekommt das Ganze eher Showcharakter, mitsamt Mitklatschorgie bei „Griechischer Wein“. Die Figuren sind allesamt klischeehaft gezeichnet, wenn nicht überzeichnet.

Sarah Schütz als prominente Fernsehmoderatorin Lisa Wartberg und Karim Khawatmi als charmanter Wild­tier­fotograf Axel Staudach harmonieren gesanglich gut miteinander. Sarah Schütz verleiht der knallharten, unnahbaren Karrierefrau, die mehr Ihrem Verstand als Ihrem Instinkt vertraut, den entsprechenden Biss, was ihr auch glaubwürdig gelingt. Allerdings erscheint mir Lisas 180-Grad-Kehrtwende im zweiten Akt bei ihr wenig glaubwürdig und plausibel, rational verfolgt sie nun lediglich ein anderes Ziel. Ich vermisse an dieser Stelle deutlich mehr Herzenswärme. Karim Khawatmi genießt als alleinerziehender Sympathieträger Axel nach einer gescheiterten Ehe ein abwechslungsreiches Singledasein, möchte aber dennoch eine neue Bindung eingehen und beweist im verbalen Schlagabtausch mit Lisa viel Sinn für Humor und Selbstironie. Karim Khawatmi ist bei „Ich war noch niemals in New York“ bereits Routinier, er spielt die Rolle des Axel Staudach bereits seit 2010 bei der Produktion im Apollo Theater in Stuttgart. Mit Gisela Kraft als Lisas Mutter und rüstige Seniorin Maria Wartberg steht bei der Tournee eine Schauspielerin auf der Bühne, gemeinsam mit Gunter Sonneson als Axels Vater Otto Staudach verleihen die beiden dem verliebten Seniorenpärchen humorvoll Gestalt. Auch wenn Gisela Krafts gesanglichen Leistungen denen der Musical-Darsteller nicht ebenbürtig sind, so macht sie diese leichte Schwäche durch die glaubhaft gespielte Liebesbeziehung zu Otto Staudach wieder wett. Uli Scherbel als Lisas bester Freund und Stylist Fred Hoffmann und Gianni Meurer als Lisas Aufnahmeleiter und Freds Lover Costa Antonidis räumen als schwules Paar mit ihren beiden Songs „Ein ehrenwertes Haus“ und „Griechischer Wein“ mächtig ab. Uli Scherbel spielt die Rolle des Fred Hoffmann bereits seit der Produktion im Operettenhaus Hammburg im Jahr 2008, lt. seiner Homepage wird er auch im kommenden Jahr noch im Theater an der Elbe in dieser Rolle zu sehen sein. Ohne die Leistungen der übrigen DarstellerInnen hearbmindern zu wollen, hat Uli Scherbel an diesem Abend für mein Empfinden sowohl gesanglich als auch schauspielerisch und tänzerisch die rundherum überzeugendste Performance auf der Bühne geboten, Chapeau! Auch Gianni Meurer kann in der Rolle des Costa Antonidis, die er erstmals 2010 bei der Produktion im Raimund Theater als Erstbesetzung übernommen hat, bereits große Routine vorweisen.

Die Besetzung der Rolle von Axel Staudachs Sohn Florian gestaltet sich bei einer Tournee, bei der alle fünf Wochen an einem anderen Ort gespielt wird, naturgemäß noch schwieriger als bei einer en suite Produktion an einem einzelnen Ort. Für die gut fünfwöchige Aufführungsserie in Essen wurden insgesamt sechs Jungen im Alter von 9 bis 14 Jahren ausgewählt, die mit einer entsprechenden Ausnahmegenehmigung auch noch nach 22 Uhr auf der Bühne stehen dürfen. In der besuchten Vorstellung durfte Marlon als Axel Staudachs schlagfertiger, cooler Sohn Florian den Song „Mit 66 Jahren“ performen, was ihm auch sichtlich Spaß bereitet. Leichte Schwächen im Gesang werden vom Ensemble und vom insgesamt zu laut abgemischten Orchester gnädig überdeckt. Apropos Orchester: Entgegen der weit verbreiteten Tendenz, Orchester bei kommerziellen Produktionen zu reduzieren oder gänzlich einzusparen, sitzen bei der Tournee von „Ich war noch niemals in New York“ 10 MusikerInnen leibhaftig im Orchestergraben. Allerdings ist die Tonabmischung im vorderen Parkettbereich ausgesprochen unglücklich, dort überdeckt das Orchestern nämlich den Gesang der Darsteller auf der Bühne.

Ungeachtet dessen scheinen die Songs von Udo Jürgens auch im Jukebox-Musical „Ich war noch niemals in New York“ die Generation 50+ anzusprechen, wenn man sich im Auditorium umschaut. Inzwischen dürfte wohl niemand mehr Udo Jürgens (* 30. September 1934 in Klagenfurt, Österreich, † 21. Dezember 2014 in Münsterlingen, Schweiz) persönlich auf der Bühne erwarten, aber wer weiß…

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