Opernhaus Dortmund: „Kiss me, Kate“

„Kiss me, Kate“ – in Anlehnung an William Shakespeares „The Taming of the Shrew“ („Der Widerspenstigen Zähmung“); Musik, Liedtexte: Cole Porter; Buch: Samuel und Bella Spewack; Regie: Martin Duncan; Choreografie: Nick Winston; Bühne, Kostüme: Francis O´Connor, Dramaturgie: Georg Holzer; Musikalische Leitung: Philipp Armbruster. Darsteller: Morgan Moody (Fred Graham/Petruchio), Emily Newton (Lilli Vanessi/Katharina Minola), Nedime Ince (Lois Lane/Bianca), Andreas Wolfram (Bill Calhoun/Lucentio), Josef Hofmann (Harry Trevor/Baptista Minola), Christian Pienaar (Ralph, Inspizient), Johanna Schoppa (Hattie, Garderobiere), Eric Rentmeister (Paul, Garderobier), Fritz Steinbacher (Erster Ganove), Karl Walter Sprungala (Zweiter Ganove), KS Hannes Brock (General Harrison Howell), Frank Wöhrmann (Gremio, erster Freier), Andreas Langsch (Hortensio, zweiter Freier), Mario Ahlborn (Bühnenpförtner), Yvonne Forster, Jessica Hoskins, Selina Mai, Niko Stank u. a. Uraufführung: 18. Dezember 1948, New Century Theatre, New York City. West End Premiere: 8. März 1951, Coliseum Theatre, London. Deutsche Erstaufführung: 19. November 1955, Städtische Bühnen, Frankfurt am Main. Premiere: 27. September 2015, Theater Dortmund.



„Kiss me, Kate“


Der Broadway-Klassiker am Opernhaus Dortmund


Die Musicals „Cabaret“, „Jesus Christ Superstar“, „Kiss me, Kate“ oder „My fair Lady“ werden an deutschen Stadttheatern häufig auf den Spielplan gesetzt, weil sie vom Publikum geschätzt werden und entsprechend volle Häuser garantieren. Das dürfte auch am Theater Dortmund nicht viel anders aussehen, wo man in der vergangenen Spielzeit mit „Jesus Christ Superstar“ der großen Nachfrage gar nicht gerecht werden konnte und daher in der Spielzeit 2015/16 nochmals sechs Vorstellungen disponiert hat. Nachdem „Kiss me, Kate“ von Cole Porter (Musik, Lyrics) und Samuel und Bella Spewack (Buch) am 30. Dezember 1948 am Broadway am New Century Theatre uraufgeführt wurde, wurde es bei der dritten Tony Awards Verleihungszeremonie im darauffolgenden Jahr – bei der erstmals Musicals ausgezeichnet wurden – mit fünf der begehrten Auszeichnungen geehrt: „Best Musical“, „Best Autor (Musical)“ an Samuel und Bella Spewack, „Best Original Score“ an Cole Porter, „Best Costume Design“ an Lemuel Ayers und „Best Producer of a Musical“ an Saint Subber und Lemuel Ayers. Es wurde im Juli 1950 an das Shubert Theatre transferiert, am 28. Juli 1951 fiel nach insgesamt 1.077 Aufführungen der letzte Vorhang. Musicals, deren Originalproduktion im En-suite-Spielbetrieb mehr als 1.000 Aufführungen erreicht haben, waren in den 1950er-Jahren noch recht überschaubar. Am 19. November 1955 wurde das Musical im Frankfurter Börsensaal erstmals in Deutschland aufgeführt, und innerhalb nur weniger Monate kamen mehrere, höchst unterschiedliche Produktionen auf die deutschsprachigen Bühnen. In der Wiener Volksoper bevorzugte man eine neue Bearbeitung von Marcel Prawy (Premiere 14. Februar 1956), die sich aber gegenüber der Übersetzung des Berliner Kabarettisten Günter Neumann nicht durchsetzte. Die aktuelle Dortmunder Inszenierung von Martin Duncan basiert auf dem Broadway-Revival aus dem Jahr 1999 (Martin Beck Theatre, Premiere 18. November 1999, neue Orchestrierung von Don Sebesky), mit den deutschen Texten von Günter Neumann in einer Neufassung von Peter Lund. Allerdings werden die Songs mit einer Ausnahme – dazu später mehr – in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln präsentiert, und lediglich die Dialoge auf Deutsch. Während bei „Jesus Christ Superstar“ explizit darauf hingewiesen wird, dass in englischer Sprache mit Übertiteln gespielt wird, fehlt bei „Kiss me, Kate“ jeglicher Hinweis auf diesen Umstand, und zwar sowohl im Spielzeitheft 2015/16 als auch im Monatsleporello August/September 2015. Wer sich also nicht vorab im Internet informieren konnte, wurde womöglich bei dem ersten Song „Another Op’nin’, Another Show“ davon überrascht.

Während einer Aufführung einer musikalischen Version der Komödie über die Zähmung der widerspenstigen Katharina durch den Frauenhelden Petruccio in Baltimore fechten die Akteure um den Regisseur und Hauptdarsteller Fred Graham und dessen Ex-Frau Lilli Vanessi auch im privaten Leben ähnliche Zwistigkeiten hinter den Kulissen aus wie die Spielfiguren auf der Bühne. Es ist ein Spiel im Spiel, bei dem beide Handlungsstränge für den turbulenten Fortgang der Handlung sorgen. Während Fred Graham noch immer Gefühle für seine ehemalige Frau empfindet, flirtet er gleichzeitig mit Lois Lane, die die Rolle von Katherinas Schwester Bianca spielt. Deren Lebenspartner Bill Calhoun sorgt für einige Verwirrung, indem er beim Glücksspiel einen Schuldschein mit Fred Grahams Namen unterschreibt, woraufhin zwei Gangster die finanziellen Forderungen bei diesem einzutreiben versuchen. Fred wiederum hindert mithilfe der beiden Revolverhelden die eifersüchtige Lilli daran, die Show vorzeitig zu verlassen und dem Werben ihres Verlobten General Harrison Howell um ihre Gunst nachzugeben. Doch bevor sich Katherina auf der Bühne folgsam mit der weiblichen Gehorsamspflicht gegenüber dem Mann einverstanden erklärt, müssen erst etliche Missverständnisse und konfliktreiche Situationen geklärt werden.

Der Londoner Darsteller, Komponist und Regisseur Martin Duncan („Moses – Die 10 Gebote“, Theater St. Gallen, Uraufführung 23. Februar 2013, Regie Martin Duncan) hat „Kiss me, Kate“ in Dortmund zusammen mit dem englischen Choreografen Nick Winston und dem englischen Ausstatter Francis O’Connor eher klassisch konservativ inszeniert, die Rahmenhandlung ist im Jahr 1948 in Baltimore angesiedelt, wo im Ford’s Theatre die letzten Proben für die Musical-Adaption von William Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“ laufen. Martin Duncan vertraut auf den hohen Unterhaltungswert der Choreografien zu „Tom, Dick or Harry“, „Too Darn Hot“, „Where is the Life That Late I Led?“ oder „Bianca“ von Nick Winston, womit es die Inszenierung allerdings am Ende auf drei Stunden Aufführungsdauer bringt. Francis O’Connor hat die rückwärtige Fassade des Ford’s Theatre zeitgemäß als altes Backsteingebäude mit Feuertreppen gestaltet, die perspektivische Verzerrung soll womöglich seine besondere Größe suggerieren, bei lediglich vier Stockwerken etwas übertrieben. Das Mittelteil kann nach vorn herausgefahren werden und verwandelt sich durch Drehung um 180 Grad in die Künstlergarderoben von Fred Graham und Lilli Vanessi. Im Gegensatz dazu ist Padua, wo „Der Widerspenstigen Zähmung“ spielt, als Phantasiewelt mit Türmen, Burgzinnen und quietschbunt (im ersten Akt) bzw. schwarz-weiß (im zweiten Akt) karierten Mustern gestaltet. Einzig der Song „Schlag nach bei Shakespeare“, in dem die beiden Ganoven, die in Dortmund analog zum Original lediglich als Männer bezeichnet werden, Shakespeare Tribut zollen, wird von Fritz Steinbacher und Karl Walter Sprungala auf Deutsch/Wienerisch präsentiert und wird vom Publikum heftig akklamiert. Wer darin lediglich die Wertschätzung für die Leistung der beiden Darsteller sehen möchte, verkennt, dass der Song der einzige im ganzen Stück ist, der von jedem Zuschauer auch ohne Übertitel einwandfrei verstanden wird und allein schon aus diesem Grund mehr Beifall bekommt. Aber das ist natürlich nur meine ganz persönliche Meinung zu der Entscheidung, auf die pointierte Bearbeitung der Songtexte von Peter Lund zu verzichten. Zumindest bleiben auf die Art und Weise einige Pointen in Dortmund einfach auf der Strecke. Die Dortmunder Philharmoniker unter der Musikalischen Leitung von Philip Armbruster bringen Cole Porters womöglich erfolgreichste Partitur ansprechend zu Gehör. Wäre der Musikalische Leiter kein Mann, Emily Newton zerbräche bei „I Hate Men“ ganz sicher nicht dessen Taktstock.

Die beiden Hauptrollen Lilli Vanessi/Katherina Minola und Fred Graham/Petruchio sind in Dortmund mit der amerikanischen Sopranistin Emily Newton und dem amerikanischen Bass-Bariton Morgan Moody aus dem Opern-Ensemble besetzt. Die beiden Darsteller harmonieren gesanglich sehr gut miteinander, das klingt nicht nur im gleichnamigen Duett der beiden wunderbar, eine Reminiszenz an den Wiener Walzer. Auch darstellerisch lässt Emily Newton in ihren kratzbürstigsten Ausbrüchen eine gewisse Anmut durchblicken, in ihrem Song „I Hate Men“ macht sie dagegen unmissverständlich deutlich, was aus ihrer Sicht von der Spezies Mann zu halten ist. Morgan Moody weiß als gewitzter, schlagfertiger Fred Graham/Petruchio mit nahezu grenzenlosem Selbstbewusstsein zu überzeugen, sei es, dass er auf offener Szene gegenüber seiner Bühnenpartnerin handgreiflich wird oder dass er sich auch noch die Anwesenheit der beiden Ganoven zunutze macht, um Lilli zum Bleiben zu zwingen. Viele weitere Rollen sind mit Musical-DarstellerInnen als Gäste stimmig besetzt: Nedime Ince als Freds neuer Schwarm Lois Lane/Katherinas Schwester Bianca, die besonders mit ihrem Song „Always True to You in My Fashion“ in zweiten Akt gefällt, aber auch im Musical-Ensemble eine gute Figur macht, Andreas Wolfram in der nahezu bedeutungslosen Rolle des Glücksspielers Bill Calhoun/Edelmanns Lucentio, der aber im zweiten Akt mit seinem Song „Bianca“ und der dazugehörigen Choreografie sowohl gesanglich als auch tänzerisch auf sich aufmerksam machen kann, Eric Rentmeister als Ankleider Paul, Frank Wöhrmann und Andreas Langsch als Biancas Freier Gremio und Hortensio, letztere verstärken auch das spielfreudige Musical-Ensemble (Yvonne Forster, Jessica Hoskins, Selina Mai, Nico Stank), das für den hohen Unterhaltungswert der choreografierten Szenen mitverantwortlich ist und den jazzig swingenden, von Eric Rentmeister angeführten Song „Too Darn Hot“ zum eindeutigen Highlight der Aufführung gestaltet. Fritz Steinbacher und Karl Walter Sprungala machen als Gangsterduo mit Wiener Schmäh als Running Gag beharrlich auf sich aufmerksam. Was zwei Wiener Gangster in Baltimore zu suchen haben, will sich mir zwar nicht erschließen, ungeachtet dessen räumen die beiden mit „Schlag nach bei Shakespeare“ mächtig ab. Die beiden Dortmunder Publikumslieblinge Johanna Schoppa und KS Hannes Brock agieren als Freds Assistentin Hattie und General Harrison Howell rollendeckend. Angesichts der Aussicht als zukünftige Präsidentengattin an der Seite von Harrison Howell ist Lillis Entscheidung gegen eine Heirat mit ihm nur zu verständlich.

Am Ende der dreistündigen Aufführung gab es vom Premierenpublikum langanhaltenden Applaus für Darsteller und Leading Team, ausgesprochen zögerlich schließlich auch Stehapplaus. „Kiss me, Kate“ steht mit insgesamt 20 Vorstellungen bis 26. März 2016 auf dem Spielplan des Theaters Dortmund. Ob diese Rechnung aufgeht, wird sich erst noch zeigen, „Kiss me, Kate“ mit englischen Songtexten ist nicht „Jesus Christ Superstar“ mit Alexander Klaws.

Bedauerlicherweise stellt das Theater Dortmund keine Produktionsfotos zur Verfügung, mit denen kostenfrei für die Aufführung geworben werden kann – nichts anderes stellt eine im Netz frei verfügbare Besprechung schließlich dar.

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