Stadttheater Bielefeld: „Cyrano“

„Cyrano“ – basierend auf dem romantisch-komödiantischen Versdrama „Cyrano de Bergerac“ von Edmond Rostand; Musik: Ad van Dijk; Buch und Liedtexte: Koen van Dijk; Deutsche Fassung: Curt Werner; mit Dialogtexten aus dem Originalschauspiel in der deutschen Übersetzung von Ludwig Fulda. Inszenierung: Thomas Winter; Choreografie: Véronique Lafon; Fechtchoreographie: Jochen Schmidtke, Jean-Loup Fourure; Ausstattung: Ulv Jakobsen; Dramaturgie: Larissa Wieczorek; Arrangements, Musikalische Leitung: William Ward Murta. Darsteller: Veit Schäfermeier (Cyrano de Bergerac), Lucy Scherer (Roxane, seine Cousine), Fabio Diso/Merlin Fargel (Christian de Neuvillette), Ulrich Alroggen/Alexander Franzen (General de Guiche), Guido Wachter/John Wesley Zielmann (Le Bret, Cyranos bester Freund), Carlos Horacio Rivas (Ragueneau, ein Zuckerbäcker), Jean-Loup Fourure (Vicomte Valvert), Vladimir Lortkipanidze (Montfleury, ein Opernsänger), Christin Enke-Mollnar (Chaperonne, Roxanes Anstandsdame), Lutz Laible (Kapitän Carbon de Castel-Jaloux), Stefan Fietzek (1. Kadett), Marvin Meinold (2. Kadett/Page) u. a. Uraufführung: 17. September 1992, Stadsshouwburg, Amsterdam. Broadway-Premiere: 21. November 1993, Neil Simon Theatre, New York City. Deutsche Erstaufführung: 28. Juli 1999, Freilichtspiele Schwäbisch Hall, Großen Treppe vor Sankt Michael. Premiere: 6. September 2015, Stadttheater Bielefeld.



„Cyrano“


Edmond Rostands romantisches Versdrama als Musical am Stadttheater Bielefeld


Das romantisch-komödiantische Versdrama „Cyrano de Bergerac“ (1897) des französischen Theaterschriftstellers Edmond Rostand (* 1. April 1868 in Marseille, † 2. Dezember 1918 in Paris) war häufig Grundlage für Bühnen- und Film­bearbeitungen. Die Uraufführung fand am 28. Dezember 1897 am Pariser Théâtre de la Porte Saint-Martin statt. Eine Musical-Adaption der tragisch-romantischen Dreiecks­geschichte von Michael J. Lewis (Musik) und Anthony Burgess (Buch und Liedtexte), die am Broadway am 13. Mai 1973 im Palace Theatre Premiere feierte, musste nach nur 49 Aufführungen am 23. Juni 1973 bereits wieder schließen. 1975 brachte der niederländische Theaterproduzent Joop van den Ende Rostands „Cyrano de Bergerac“ auf die Bühne und erzielte später große Erfolge mit den Musicals Les Misérables (Premiere 28. Februar 1991, Koninklijk Theater Carré, Amsterdam) und „Het Spook van de Opera“ (Premiere 15. August 1993, Circus Theater, Scheveningen). 1988 begannen Ad van Dijk (Musik) und Koen van Dijk (Buch und Liedtexte) an einer Musical-Adaption von „Cyrano de Bergerac“ zu arbeiten. Joop van den Ende plante, „Cyrano - de musical“ als seine erste groß angelegte Musical-Eigenproduktion heraus­zu­bringen, und nachdem ihm Ad van Dijk und Koen van Dijk im August 1992 ihre Entwürfe präsentiert hatten, feierte das Musical bereits am 17. Dezember 1992 mit Bill van Dijk (Cyrano de Bergerac), Ryan van den Akker (Roxane) und Danny de Munk (Christian de Neuvillette) an der Stadsschouwburg in Amsterdam in der Inszenierung von Eddy Habbema seine Uraufführung. Der Erfolg in den Niederlanden ließ Joop van den Ende auf eine Wiederholung am Broadway hoffen, dafür wurde sogar – man höre und staune – die Orchesterbesetzung vergrößert, um die Musik an die Hörgewohnheiten am Broadway anzupassen. Dort feierte „Cyrano – The Musical“ am 21. November 1993 mit Bill van Dijk (Cyrano de Bergerac), Anne Runolfsson (Roxane) und Paul Anthony Stewart (Christian de Neuvillette) am Neil Simon Theatre Broadway-Premiere und war 1994 in den Kategorien „Best Musical“, „Best Book of a Musical“, „Best Original Score“ und Yan Tax für „Best Costume Design“ nominiert, musste jedoch nach 137 Aufführungen am 20. März 1994 wieder schließen und ging bei der Vergabe der Tony Awards leer aus. Am 28. Juli 1999 feierte „Cyrano – Das Musical“ bei den Freilichtspielen Schwäbisch Hall auf der Großen Treppe vor Sankt Michael in der Deutschen Fassung von Curt Werner mit Reinhard Brussmann als Cyrano de Bergerac, Sona McDonald als Roxane, Martin Berger als Christian de Neuvillette, Alfred Pfeiffer als General de Guiche, Jesse Webb als Maitre Ragueneau, Necati Seren als Le Bret, Alexander Franzen als Capitain de Castel-Jaloux, Axel Herrig als Vicomte Valvert, Karsten Wöllm als Montfleury und Tracey Plester als Chaperonne Deutschsprachige Erstaufführung, Helmut Schorlemmer führte Regie. Dort wurde es auch im Sommer 2000 für 14 Vorstellungen wiederaufgenommen. Weiterhin haben sich Marc Schubring (Musik) und Wolfgang Adenberg (Buch und Liedtexte) mit ihrem Musical „Cyrano de Bergerac“ (Uraufführung 22.10.1995, Saarländisches Staatstheater, Saarbrücken) sowie Frank Wildhorn (Musik) und Leslie Bricusse (Buch und Liedtexte) mit „Cyrano de Bergerac – The Musical“ (Uraufführung 5. Mai 2009, Nissay Theatre, Tokyo) des Versdramas von Edmond Rostand angenommen. In der Spielzeit 2015/2016 hat das Theater Bielefeld das selten gespielte Musical von Ad und Koen van Dijk wieder ausgegraben, dort feierte es am 6. September als erste Musik­theater­produktion der neuen Saison Premiere. Für die neue Bielefelder Inszenierung wurde das Musical in Absprache mit den Autoren von Regisseur Thomas Winter und Musical-Kapellmeister William Ward Murta überarbeitet. Sie fügten einige Dialoge aus dem Originalschauspiel von Edmond Rostand ein und die Autoren schufen mit „Vergehen die Tage“ eine neue Solonummer für General de Guiche.

Der Titelheld Cyrano de Bergerac ist nicht nur Mitglied in einem Garderegiment, das hauptsächlich aus gascognischen Kadetten besteht, und ein hervorragender Fechter, sondern auch ein grandioser Dichter. Er leidet jedoch wegen seiner großen Nase unter Komplexen und so mancher Spötter stirbt im Duell. Aus Sorge, er könne wegen dieses Makels abgewiesen werden, verheimlicht er seine wahren Gefühle für die schöne Roxane. Diese gesteht ihm, sich in den jungen, gut aussehenden Christian de Neuvillette verliebt zu haben, der im gleichen Regiment wie Cyrano dient. Weil Christian sich nicht dazu in der Lage sieht, poetische Liebesschwüre von sich zu geben, bittet er Cyrano nichts ahnend um Hilfe. So leiht der Poet dem Nebenbuhler sein dichterisches Talent und schreibt an dessen Stelle Liebesgedichte für die Angebetete. General de Guiche, der Roxane selbst zu seiner Geliebten machen will, schickt die Gascogner Kadetten samt Cyrano und Christian an die Front zur Belagerung der spanisch besetzten Stadt Arras, um seine Konkurrenten aus dem Weg zu räumen. Im Feldlager drohen die Gascogner Kadetten zu verhungern, dennoch gelingt es Cyrano, im Namen von Christian täglich zwei Briefe an Roxane durch die feindlichen Linien zu schmuggeln. Mit Roxanes plötzlichem Auftauchen im Feldlager – kurz vor der alles entscheidenden Schlacht – gerät auch die ungewöhnliche Dreiecksbeziehung ins Wanken, als sie Christian gesteht, dass sie ihn vor allem wegen seiner tiefgründigen Liebesbriefe liebt. Christian von Neuvillette ist entsetzt, da er weiß, dass er Roxane gegenüber nicht ehrlich war. Noch bevor der Schwindel auffliegt, wird Christian in der Schlacht tödlich verwundet und Roxane fällt der Abschieds­brief in die Hände, den Cyrano in Vorahnung des sicheren Todes in Christians Namen verfasst hat. Cyrano schweigt, um der trauernden Roxane das Andenken an Christian zu erhalten. Erst 15 Jahre später entdeckt Roxane, die nach Christians Tod in ein Kloster eingetreten ist, die Wahrheit. Cyrano, der sie regelmäßig besucht, ist durch einen herabstürzenden Holzbalken am Kopf schwer verletzt worden und stirbt bei seinem letzten Besuch in ihren Armen.

Nun sind weder der Erfolg in den Niederlanden noch der Misserfolg am Broadway ein sicheres Indiz für die Akzeptanz eines Stückes beim deutschen Publikum. Da sollte es einem eher zu denken geben, dass in Deutschland 15 Jahre lang niemand das Musical aufgeführt hat. Die Ursache hierfür ist meines Erachtens im Stück selbst zu suchen, und der Besuch der Aufführung in Bielefeld hat meinen Verdacht ein Stück weit bestätigt. Zumindest muss man den Mut bewundern, „Cyrano“ auf den Spielplan zu setzen. Zu sehen gibt es in Bielefeld eine ganze Menge: Die Inszenierung von Thomas Winter beginnt vor dem geschlossenen Vorhang in einem Barocktheater, das der Bielefelder Opernchor in den opulenten, zeitgemäßen Kostümen von Ulv Jakobsen durch den Zuschauerraum betritt. Auf der Bühne gibt der eingebildete Opernsänger Montfleury einen derartig grotesken Beweis seines Könnens, dass einem Cyrano de Bergerac beinahe aus der Seele spricht, wenn er diesem Auftrittsverbot erteilen möchte. Als der ebenfalls anwesende Graf de Guiche es wagt, Cyrano de Bergerac auf seine große Nase anzusprechen, bekommt er in bester Mantel- und Degenmanier seine Klinge zu spüren, die Fechtchoreografien von Jochen Schmidtke und Jean-Loup Fourure sind beeindruckend. Im weiteren Verlauf des Abend ist die meiste Zeit eine halbrunde, von beiden Seiten ansteigende Treppe auf der Drehbühne zu sehen (Bühne Ulv Jakobsen), deren Mittelteil herausgenommen werden kann und sich mit einfachen Mitteln in Ragueneaus Zuckerbäckerei, das Lager der gascognischen Kadetten vor Arras oder in ein Kloster verwandeln lässt. Die Entwicklung der Dreiecksgeschichte zwischen Roxane, Christian de Neuvillette und Cyrano de Bergerac wird durch die humorvollen Songs des Zuckerbäckers eher ausgebremst, wenngleich die damit verbundenen Tanzeinlagen (Choreografie Véronique Lafon) durchaus ansehnlich ausgefallen sind. Musical-Kapellmeister William Ward Murta hat Ad van Dijks Partitur für das unter seiner Musikalischen Leitung spielende Musicalorchester „Hector Savinien“ – das Vorbild zu Cyrano de Bergerac hieß eigentlich Hector Savinien de Cyrano (* 6. März 1619 in Paris, † 28. Juli 1655 in Sannois, Val d’Oise) – in Kammerorchesterstärke (10 Musiker) neu arrangiert, doch wer den opulenten Klang der Bielefelder Philharmoniker noch aus „Sunset Boulevard“ in Erinnerung hat, wird genau diesen bei „Cyrano“ ein Stück weit vermissen. Die Bielefelder Philharmoniker sind in der Spielzeit 2015/16 bei der Wiederaufnahme von „Sunset Boulevard“ (ab 27. September 2015) und ab Frühjahr 2016 bei „A Little Night Music (Das Lächeln einer Sommernacht)“ eingebunden, daher war das Kammerorchester die einzige Möglichkeit, „Cyrano“ in dieser Spielzeit überhaupt aufzuführen.

„Cyrano“ ist mit einer stattlichen Anzahl namhafter Gäste im Ensemble besetzt, die man beinahe schon als zum Haus gehörig betrachten kann, bezogen auf die Musicalinszenierungen in Bielefeld, in denen sie bereits auf der Bühne standen. Veit Schäfermeier, der als Cyrano de Bergerac sowohl mit Worten als auch mit dem Degen schlagfertig für sich einzunehmen vermag, erweckt den vielschichtigen Titelhelden mit beeindruckend differenziertem Schauspiel zum Leben. Lucy Scherer gibt in der Rolle der Roxane ihr Debüt am Theater Bielefeld. Mit verführerischer Ausstrahlung lässt sie sich leichtgläubig über den Urheber der Liebesbriefe täuschen, bis sie schließlich am Ende erkennen muss, dass es Cyrano de Bergerac gewesen ist, der sie so lange in dem Glauben ließ, Christian de Neuvillette sei der geliebte Verfasser all der Briefe gewesen. Newcomer Fabio Diso macht in der Rolle des jugendlichen Liebhabers einen ansehnlichen Eindruck, kein Wunder, dass sich Roxane auf den ersten Blick in Christian verliebt. Alexander Franzen schafft als intriganter Graf de Guiche von Beginn an klare Fronten und schickt seine Konkurrenten zur Belagerung der spanisch besetzten Stadt Arras an die Feuerlinie, um sie aus dem Weg zu räumen. In seinem neuen Song „Vergehen die Tage“ bringt Alexander Franzen anrührend gegenüber Roxane im Kloster Graf de Guiches Schuldgefühle und Reue zum Ausdruck. John Wesley Zielmann als Cyranos bester Freund Le Bret und Carlos Horacio Rivas als Zuckerbäcker Ragueneau sollen an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben.

Am Ende der zweidreiviertelstündigen Aufführung gab es vom Premierenpublikum an die zehn Minuten Stehapplaus für Darsteller und Leading Team. „Cyrano“ steht mit insgesamt 13 Vorstellungen bis 23. März 2016 auf dem Spielplan des Theaters Bielefeld, und womöglich wird es danach wieder in der Versenkung verschwinden.

Fabio Diso

Lucy Scherer

Veit Schäfermeier und Sabine Schweitzer

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