„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“

Sonderausstellung im Ruhr Museum auf der 12-Meter-Ebene der Kohlenwäsche

Großtransparent „Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Gestaltung: Uwe Loesch, Weißblech-Trinkflaschen, 1970 – 1981, Foto: R. Rothenberg, B. Kösling-Korth, © Ruhr Museum

Mit der Präsentation seiner industrie- und zeitgeschichtlichen Sammlung stellt das Ruhr Museum den Kern seiner Identität vor. Denn das Ruhr Museum auf dem Welterbe Zollverein wird natürlich vor allem mit der Industriekultur in Verbindung gebracht. Die industrie- und zeitgeschichtliche Sammlung existiert allerdings in der heutigen Form erst seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts und verdankt sich vor allem dem in dieser Zeit einsetzenden Strukturwandel mit dem massenhaften Anfall von funktionslos gewordenen Relikten des Industriezeitalters.

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Blick in die Ausstellung, im Vordergrund Abteufkübel, Deilmann-Haniel, Dortmund, 1950er-Jahre

Mit einer Auswahl der besten Stücke dieser Sammlung setzt das Ruhr Museum mit „Arbeit & Alltag“ die Reihe seiner Ausstellungen und Kataloge aus eigenen Beständen fort. Nach „Von A bis Z. Fotografie im Ruhr Museum“, „Ausgewählt. Vormoderne im Ruhr Museum“ und „Steinreich. Mineralogie im Ruhr Museum“ ist nun die vielleicht bedeutendste – die industrie- und zeitgeschichtliche Sammlung – an der Reihe. In den Folgejahren werden die Sammlungen zur Archäologie und Geologie vorgestellt.

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Blick in die Ausstellung, im Vordergrund Krangießpfanne, Senssenbrenner, Düsseldorf, Einsatz: Maschinenfabrik Deutschland, Dortmund, 1950er-Jahre

Zum ersten Mal findet eine Sammlungsausstellung des Museums im Sonderausstellungsbereich der 12-Meter-Ebene der Kohlenwäsche statt, weil nur hier die Möglichkeit gegeben ist, die Großobjekte der Sammlung zu zeigen: ein Abteufkübel, eine Gießpfanne, eine Krupp-Kanone, ein Waschkessel aus Beton, Möbel und große Haushaltsgeräte. Die Präsentation der Objekte aus der Abteilung Industrie- und Zeitgeschichte in einem Ausstellungsraum eines Industriebaus wie der Kohlenwäsche erzeugt eine besondere Aura, die die Sammlungsausstellung zu einem Ort werden lässt, die Geschichte erzählt, wo sie geschehen ist.

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Tresor des Bergwerks Ost (Auguste Victoria), Hamm, 1920er-Jahre

Im Zentrum der heutigen Sammlung stehen zum einen die montanindustrielle Vergangenheit des Ruhrgebiets und zum anderen die Lebenswelt und der Alltag der Menschen im Industriezeitalter. Die Sammlung umfasst über 100.000 Objekte und wächst ständig weiter, vor allem durch persönliche Schenkungen und Übernahmen von Inventaren privater und öffentlicher Einrichtungen. Dabei öffnet sich die Sammlungsentwicklung zunehmend auch den Zeiten nach der Industrie und des anhaltenden Strukturwandels.

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Werksuhr, Siemens & Halske, Berlin, Einsatz: Zeche Carl Funke, Essen-Heisingen, um 1900, Fahrrad „Wanderer-Vulkan“, Wanderer-Werke AG, Schönau-Chemnitz, 1936

Die Gliederung der Ausstellung wurde eng an die ab den 1980er-Jahren entworfene Sammlungskonzeption angelehnt. Die Arbeitsverhältnisse im Bergbau und in der Stahlindustrie waren zentrale Bestandteile der Überlegungen, weil diese Industrien das Ruhrgebiet maßgeblich geprägt und das Leben der Arbeiter und Arbeiterinnen, der Angestellten und auch der Unternehmer und ihrer Familien beeinflusst und bestimmt haben.

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Porträt Odilia Henrietta Helena Eller, geb. Huyssen (1775 – 1835), Egidius Mengelberg, Elberfeld, 1812

„Arbeit & Alltag“ werden nicht als Gegensätze begriffen, sondern als zwei Seiten einer Medaille, als Bereiche, die ineinander greifen und nicht voneinander zu trennen sind. Vor diesem Hintergrund präsentiert die Ausstellung rund 350 Objekte. Die Auswahl folgt dem Bestreben, einen repräsentativen Querschnitt aus den Beständen zu finden, soweit das bei einer Anzahl von über 100.000 Sammlungsobjekten möglich ist. Und sie berücksichtigt den gesamten Zeitraum, den die Sammlung umfasst, von etwa 1800 bis heute. In der Auswahl spiegeln sich exemplarisch die Lebenswelten der Region.

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Sommerkleid, 1950er-Jahre. Damit der Rock weit abstand und schwingen konnte, wurde das Kleid mit einem Petticoat getragen.

Strukturiert ist die Ausstellung in sechs Abteilungen. Ausgehend vom einzelnen Menschen im industriellen Ruhrgebiet beschreiben sie die Verhältnisse und Bedingungen, in denen das Individuum sich bewegt. Der erste Bereich umfasst die Dinge, die der Einzelne am Körper trägt: Kleidung und Accessoires ebenso wie Hygieneartikel. Individuell sind auch die Porträts von Menschen, darunter vor allem Ölgemälde von bekannten Persönlichkeiten des Ruhrgebiets.

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Werbemuster „Odol“, Dresdner Chemisches Laboratorium Ligner, vor 1912

Die zweite Abteilung ist dem Haushalt gewidmet, der Welt der Familie. Gezeigt werden Haushaltsgeräte, Möbel und Interieur. Zudem finden sich Konsumartikel, die in den Geschäften für den privaten Verbrauch angeboten wurden. An die Welt des Haushalts schließen sich zwei Abteilungen an, die über die privaten und familiären Bereiche hinaus ein weiteres Feld des täglichen Lebens umschließen: die Freizeit und der Betrieb. Bei der Freizeit handelt es sich um den Bereich des selbstbestimmten Lebens, wie die Mitgliedschaft in Vereinen und die Teilnahme an Vergnügungen. Bewusst wird hier auch Spielzeug der Kinder gezeigt, um das kreative selbstbestimmte Moment zu betonen.

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Nähmaschine „Veritas“, Clemens Müller Nähmaschinenfabrik, Dresden, um 1910, Rührflügelwschmaschine BBN (Wassermotor), Vertrieb: Joh. Scheepers, Essen, um 1935

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Nähmaschine „Veritas“, Clemens Müller Nähmaschinenfabrik, Dresden, um 1910

In der Abteilung Betrieb wurden exemplarisch Exponate aus den für das Ruhrgebiet prägenden Branchen ausgewählt: Bergbau, Stahlindustrie und Verwaltung. Sowohl der Herstellungsprozess, die Produkte, als auch die Berufstätigen selber, die Bergleute, Stahlwerker und Angestellten, von denen sich die Berufskleidung und Werkzeuge erhalten haben, werden hier präsentiert.

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Kohleherd, F. Küppersbusch & Söhne AG, Gelsenkirchen, um 1925, Eisschrank, Mielewerke AG, Gütersloh, 1930er-Jahre

Die Verbindung zwischen den privaten und den beruflichen Bereichen und der Gesellschaft wird in der folgenden Abteilung thematisiert. Herrschaft, Schule, Kirche und Krieg sind Phänomene, die Menschen beeinflussen, erziehen, kontrollieren oder sogar bedrohen. Im Kapitel Herrschaft finden sich Objekte zu staatlichen, aber auch privatwirtschaftlichen Autoritäten, wie ein Stuhl aus dem NRW-Landtag und ein Prachtalbum für Wilhelm Girardet, dem bedeutenden Essener Verleger. Von diesem Thema wird die Ausnahmesituation des Krieges geschieden. Das älteste Exponat bezieht sich auf den Deutsch-Französischen Krieg (1870/71), das jüngste stammt aus dem Zweiten Weltkrieg.

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Kohleherd, F. Küppersbusch & Söhne AG, Gelsenkirchen, um 1925

Die letzte Abteilung hebt sich von den vorangegangenen ab. Die Objekte im Ausstellungsbereich Identitäten sollen die sich im Laufe der Zeit verändernde Selbst- und Fremdwahrnehmung des Ruhrgebiets sichtbar machen. Angefangen von Objekten wie einer Knappenuniform und Arbeiterstatuetten, die den »Mythos Schwerindustrie« einfangen, bis zu Plakaten, die eine sich wandelnde Identität im Ruhrgebiet des Strukturwandels zum Thema haben.

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Gaszähler, „E. H. Haas’scher Gasmesser“, Gasmesserfabrik Elster & Co., Mainz, 1912

Der Katalog zur Ausstellung „Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“ ist im Verlag der Buchhandlung Walther König erschienen. Er umfasst 304 Seiten mit ca. 200 Abbildungen und kostet im Museumsshop 19,80 €, sonst 29,80 €. Er zeigt die bedeutensten Stücke der Sammlung und gibt zugleich einen facettenreichen Überblick über die Arbeit und den Alltag der Menschen in der von der Schwerindustrie geprägten Region des Ruhrgebiets.

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Halogenmetalldampflampe aus der Flutlichtanlage des Georg_Melches-Stadions, Radium Lampenwerk, Wipperfürth, 1983

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Spielzeugauto „Freilaufrenner Patent 1250“, Schreyer & Co. (Schuco), Nürnberg, um 1950

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Grubenwagen, Essen-Steele, 1930er-Jahre

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Weißblech-Trinkflaschen, Gelsenkirchen, um 1970 – 1981

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Bergbau-Sauerstoffschutzgerät „BG 174“, Drägerwerk AG, Lübeck, um 1975

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Leichte Feldkanone mit Lafette „C/73“, Fried. Krupp, Essen, 1873 – 1875

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Dampfmaschine, Ulrich & Heinrichs Ratinger Maschinenfabrik, 1904

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, „Kronprinzen-Nadel“, Hojuwelier Ernst Goldschmidt, Köln, 1902

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Tisch aus dem Wohnzimmer von Berthold Beitz, Essen, 1960er-Jahre, Steinporträts vom Essener Rathaus (1878 – 1964), Heinrich Kröger, 1878 – 1887

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Hausschülerpult, A. Lickroth & Cie., Frankenthal, 1893

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Altar der Gnadenkirche Essen-Altstadt-Nord, Fritz Kreidt jun., Essen, 1958 – 1959

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“, Jubiläumsvasen der Stadt Essen, Keramische Werkstadt Margarethenhöhe, Essen, Entwurf: Johannes Leßmann, Essen, 1930er-Jahre

„Arbeit & Alltag. Industriekultur im Ruhr Museum“ ist vom 26. September 2015 bis 3. April 2016 täglich von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Der Eintritt kostet für Erwachsene 7 Euro, ermäßigt 4 Euro, Kinder und Jugendliche bis 14 Jahre sowie Schüler- und Studierendengruppen im Rahmen von gebuchten Führungen haben freien Eintritt. Parallel ist auch noch bis 9. Februar 2016 „Steinreich. Mineralogie im Ruhr Museum“ auf der Galerie des Ruhr Museums zu sehen.

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