„Der Postraub – Das Musical“

„Der Postraub“ – Musik, Liedtexte, Musikalische Leitung: Paul Graham Brown; Buch, Idee, Deutsche Übersetzung (Songtexte), Regie: Birgit Simmler; Choreografie: Tim Zimmermann; Bühnenbild: Markus Pol, Birgit Simmler; Kostüm Design: Anja Klaus; Lichtdesign: N. N.; Sounddesign: N. N.; Darsteller: Patrick Miller (Jacob Geiz), Karoline Blöcher (Margarethe), Markus Pol (Heinrich Geiz, Jacobs älterer Bruder), Yana Gercke (Klara, Heinrichs uneheliche Frau), Peter Hohenecker (Großbauer Klaus), Dr. Carsten Wenzel (Criminal-Inspektor Danz), Birgit Klinkert (Christine Geiz, Jacobs und Heinrichs Mutter), Wilhelm Wünnenberg (Hans-Jacob Geiz, Jacobs und Heinrichs Vater, genannt „der alte Geiz“), Sarah Strunk (Elisabeth Soldan, Jacobs und Heinrichs Schwester), Christoph Donhauser (Johannes Soldan, Elisabeths Mann u. a.), Jennifer Mevius (Witwe Febbel), Ephraim Espeter (David Briel), Joachim Lenz (Posthalter Stapp), Henning Wagner (Johannes Funk, Händler), Reinhard Schwender (Maskenhändler), Karl Walther (Klingelhöfer, Danz’ Assitent), Khaled Aldiab (Jost Wege von Kombach), Hamza Al Ahmed (Ludwig Acker), Alaa Hab Roman (Jost Wege von Mornhausen), Anna Meissner (Reparaturteil), Stefan Althaus (Soldat) u. a. Band: Paul Graham Brown (Piano), Sascha Christ (Schlagzeug), Dominik Reh (Bass, Gitarre), Silvia Salzbauer (Synthesizer), Thomas Salzbauer (Klarinette, Alt-, Sopran- und Tenorsaxophon). Uraufführung: 21. August 2015, Schlosshof Biedenkopf.



„Der Postraub – Das Musical“


Uraufführung im Schlosshof Biedenkopf


Dr. Carsten Wenzel (Criminal-Inspektor Danz)

Vom 21. August bis 6. September 2015 bringt der Eigenbetrieb „Freizeit, Erholung und Kultur“ der Stadt Biedenkopf „Der Postraub – Das Musical“ von Paul Graham Brown (Musik und Liedtexte) und Birgit Simmler (Buch und Übersetzung der Liedtexte) im Hof des Biedenkopfer Landgrafenschlosses mit insgesamt vierzehn Vorstellungen zur Uraufführung. Dem ein oder anderen dürfte bei dem Titel der spektakuläre Überfall auf den Postzug der britischen Royal Mail bei Ledburn am 8. August 1963 in den Sinn kommen, bei dem £ 2.631.684 erbeutet wurden. Doch darum geht es bei dem Musical „Der Postraub“ überhaupt nicht, das Stück basiert vielmehr auf der Geschichte des Postraubs in der Subach, einem Hohlweg in der Nähe von Mornshausen bei Gladenbach, durch acht arme Bauern und Tagelöhner aus dem Hessischen Hinterland. Erst beim siebten Versuch am Sonntag, 19. Mai 1822 glückte der Überfall, bei dem 10.466 Gulden erbeutet wurden. Die Beute entspräche heute etwa einer halben Million Euro.

„Die Kutsche“, Ensemble

Ihr plötzlicher Reichtum wurde den Tätern jedoch zum Verhängnis, aufgrund ihrer Ausgaben wurden sieben der acht Täter ermittelt und gefasst. Lediglich der „Stifter des Complotts“, Strumpfhändler David Briel aus Dexbach, konnte sich durch Auswanderung nach Amerika den Ermittlungen entziehen. Fünf Täter wurden am 25. März 1824 in Gießen zum Tode durch das Schwert verurteilt und am 7. Oktober 1824 hingerichtet. Durch die schriftliche Schilderung des Criminalgerichts­sekretärs Carl Franz wurde der Fall publiziert. Der Postraub in der Subach diente als Grundlage für den Autorenfilm „Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach“ (1971, Regie Volker Schlöndorff). Die Massenemigration in die Vereinigten Staaten und der kalifornische Goldrausch Mitte des 19. Jahrhunderts, davon hat jeder schon gehört, aber der Postraub in der Subach? Ich muss gestehen, dass ich niemals zuvor davon gehört hatte. Das mag im Landkreis Marburg-Biedenkopf völlig anders aussehen…

Markus Pol (Heinrich Geiz)

Über die Hintergründe des Postraubs in der Subach ist aus den Schilderungen von Carl Franz nur wenig bekannt, lediglich von Heinrich Geiz weiß man, dass er während seiner Dienstzeit als Soldat die Bekanntschaft eines Dienstmädchen gemacht habe, mit der er zusammen ein uneheliches Kind hatte und in wilder Ehe zusammenlebte. Wilde Ehen waren nach den Gesetzen für das Großherzugtum Hessen untersagt, und Heinrich Geiz hatte mehrfach um die Erlaubnis zur Heirat seiner Geliebten gebeten, doch dafür hätte er eine Summe von 200 Gulden beibringen müssen, wozu er als Soldat allerdings nicht imstande war. Vor diesem Hintergrund schildert das Musical „Der Postraub“ die fiktive Familiengeschichte der armen Bauernfamilie Geiz aus Kombach, die trotz harter Arbeit kaum genug zum Leben hatte. Beliehen Heinrichs Eltern Haus und Hof, um Heinrich die Hochzeit zu ermöglichen, wäre für seinen jüngeren Bruder Jacob ein Leben in Armut unabwendbar. Jacobs Freundin Margarethe, die unglücklich mit Großbauer Klaus verheiratet ist, träumt davon, gemeinsam mit Jacob nach Amerika auszuwandern, um sich aus ihrer unglücklichen Ehe zu befreien.

Markus Pol (Heinrich Geiz) und Yana Gercke (Klara)

Auf der Suche nach ihrem kleinen, persönlichen Glück wagen Hans Jacob Geiz, seine beiden Söhne Heinrich und Jacob und sein Schwiegersohn Johannes Soldan gemeinsam mit wenigen weiteren Bauern und Tagelöhners den riskanten Überfall auf das Geldkärrnchen von Gladenbach nach Gießen, der erst beim siebten Versuch glückt. Sechs Fehlversuche, bewaffnete Gendarmen, frisch gefallener Schnee, der ihre Spuren verraten hätte, Nebel, durch den sie sich im Wald verfehlt haben, das Geldkärrnchen blieb über Nacht in Gladenbach, eine Horde Rekruten, die sich bei der Postkutsche befanden, auf der Postkutsche befand sich kein Geld, sind historisch verbürgt, erst der siebte Versuch am 19. Mai 1822 bringt schließlich den erhofften Geldsegen.

Peter Hohenecker (Großbauer Klaus), Patrick Miller (Jacob Geiz) und Karoline Blöcher (Margarethe)

Heinrich und Klara können endlich heiraten, was natürlich im großen Rahmen gefeiert wird. Da die Räuber zunächst unerkannt bleiben, beginnt Criminalrichter Danz in Gladenbach eine groß angelegte Rasterfahndung, die zwar vorerst an der Solidarität der Dorfgemeinschaft scheitert, aber auf seine Zusage, anonym zu bleiben, und indem eine Belohnung auf die Ergreifung der Täter ausgesetzt wird, kann das Schweigen der armen Bevölkerung gebrochen werden und Jacob Geiz und sein Vater werden als Erste verhaftet. Für Heinrich und Margarethe beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, wollen sie den Vater, Bruder und Geliebten retten, ohne selbst Aufmerksamkeit auf sich lenken.

Patrick Miller (Jacob Geiz)

Margarethe, die Jacob anonym ein Alibi verschaffen möchte, bringt sich dabei selbst in Schwierigkeiten, so dass Jacob ihr zuliebe den Überfall gesteht. Doch er kann ihr unbemerkt das Geldversteck auf einem Acker verraten, und als Großbauer Klaus Criminalrichter Danz zu dem Acker führt, finden sie dort nur noch ein leeres Loch vor. Margarethe und Klara, die ihrem Geliebten und Ehegatten nun nicht mehr helfen können, möchten die Gelegenheit nutzen nach Amerika auszuwandern, und als Criminalrichter Danz in Kombach auftaucht, verzichtet er auf eine Durchsuchung, da die beiden nicht verdächtigt werden, an dem Überfall beteiligt gewesen zu sein. Nachdem die Schuld der fünf gefassten Räuber erwiesen ist, werden diese zum Tode verurteilt und hingerichtet. Margarethe und Klara mit ihren Kindern verlassen ihre Heimat und suchen ihr Glück in Amerika.

Karoline Blöcher (Margarethe) und Patrick Miller (Jacob Geiz)

„Der Postraub – Das Musical“ ist nach „Eingefädelt – Das Musical“ (Uraufführung 23. August 2013, Schlosshof Biedenkopf) die zweite Musical-Produktion der Schlossfestspiele Biedenkopf, bei dem ein lokalhistorisches Thema gemeinsam mit professionellen Musical-Darstellern und regionalen Talenten zur Uraufführung gebracht wird. Musik und Inszenierung der abenteuerlichen Familien- und Liebesgeschichte wurden in der semiprofessionellen Produktion eigens für den Schlosshof des Landgrafenschlosses Biedenkopf konzipiert. Birgit Simmler, die auch für die Inszenierung verantwortlich zeichnet, erzählt vor dem Hintergrund des historisch belegten Postraubs in der Subach schlüssig und plausibel die Geschichte der armen Bauernfamilie Geiz, die versucht, ihre finanziellen Schwierigkeiten zu überwinden. Trotz des ernsten Sujets kommt auch der Humor nicht zu kurz, beispielsweise in dem Disput zwischen Hans Jacob Geiz, für den der Raub in dreister Robin-Hood-Marnier lediglich eine Umverteilung des Vermögens darstellt, und seiner Frau Christine, die sich sicher ist, dass für den Raub alle auf dem Schafott enden werden, oder die szenische Umsetzung der sechs Fehlversuche.

Karoline Blöcher (Margarethe) und Patrick Miller (Jacob Geiz)

Musical-Komponist und -Autor Paul Graham Brown („Bonnie und Clyde“, Uraufführung 13. Juli 2001, Theater Heilbronn, Regie Madeleine Lienhardt, „King Kong“, Uraufführung 28. August 2009, Kleines Theater am Südwestkorso, Berlin, Regie James Edward Lyons, „Superhero“, Uraufführung 16. Oktober 2014, Hessisches Staatstheater Wiesbaden, Regie Iris Limbarth, „Der große Houdini“, Uraufführung 24. Oktober 2014, Theater Hof, Regie James Edward Lyons) hat für „Der Postraub“ eingängige Musik geschrieben, die von einer fünfköpfigen Band unter seiner Musikalischen Leitung auf der Bühne live gespielt wird, ein ausgesprochener Ohrwurm ist mir allerdings nicht im Gedächtnis haften geblieben. Bedauerlicherweise wurde die siebenköpfige Band aus „Eingefädelt – Das Musical“ noch reduziert. Da fällt einem sofort ein Interview mit Paul Graham Brown ein, in dem er gesagt hat, dass ein Musical auch nur mit Klavier funktionieren müsse. Ich persönlich halte es eher mit großem Orchester. Die kleine Bühne kommt mit relativ wenigen Requisiten aus (Bühnenbild Markus Pol und Birgit Simmler), lässt den Zuschauer aber zu keiner Zeit über den jeweiligen Handlungsort im Unklaren. Holzrahmen in unterschiedlichen Größen versinnbildlichen Häuser, Gefängnismauern oder das Schiff der Auswanderer, zehn Darsteller symbolisieren mit alten Holzspeichenrädern und runden Holzreifen die Postkutsche. Für die Hochzeitsszene hat Choreograf Tim Zimmermann schwungvolle Tänze mit dem Ensemble einstudiert, und auch das Musical Staging der Kutschfahrten überzeugt vollends.

Patrick Miller (Jacob Geiz) und Yana Gercke (Klara)

Das etwa 50-köpfige Ensemble wird von Tenor Patrick Miller (Absolvent der Abraxas Musical Akademie in München) als Jacob Geiz, der jüngste Sohn der Familie Geiz, und Markus Pol (Kaiser Franz Joseph in „Elisabeth“, Stefan in der Wiederaufnahme von „Eingefädelt – Das Musical“) als Heinrich Geiz angeführt, der ältere Bruder von Jacob, der gern seine Freundin Klara heiraten und seine Kinder legitimieren möchte. Die beiden Musical-Darsteller halten sich angenehm zurück, um nicht gänzlich aus dem übrigen Ensemble herauszustechen. Mit Karoline Blöcher als Margarethe und Yana Gercke (Medizin-Studentin an der Ludwig-Maximilians-Universität München, „Unser Star für Baku“, Katha in „Eingefädelt – Das Musical“) als Klara haben sie Darstellerinnen mit Bühnenerfahrung an ihrer Seite, mit denen sie auch gesanglich gut harmonieren. Karoline Blöcher weiß solistisch mit ihrem Song „Amerika“ für sich einzunehmen, in dem Margarethe von einem besseren Leben in Amerika träumt. Dr. Carsten Wenzel (niedergelassener Zahnarzt in Gladenbach, Zeugmeister Rommel in „Eingefädelt – Das Musical“) ist in der neuerlichen Produktion als besonnener, strenger Criminal-Inspektor Danz aus Gießen zu sehen, der jeder Spur penibel nachgeht, den Räubern – wenngleich er sie gesetzestreu zum Tode verurteilt – durchaus Achtung entgegenbringt, und auch bei der Befragung von Margarethe und Klara menschliche Züge durchblicken lässt. Peter Hohenecker ist in der Rolle des Großbauern Klaus ganz und gar Antagonist zur Familie Geiz, für ihn kommt Geld immer an erster Stelle. Seine Frau Margarethe straft er mit Missachtung, die Eheschließung dürfte für ihn wohl nur wenig mit Liebe zu tun gehabt haben. Daneben sind Birgit Klinkert als Christine Geiz und Wilhelm Wünnenberg als Hans Jacob Geiz zu erwähnen, die zwar nicht immer einer Meinung sind, aber stets auf das Wohlergehen der Familie bedacht sind. In vielen weiteren kleinen Rollen sind Laiendarsteller aus der Region zu sehen, auch fünf aktuell in Biedenkopf lebende Flüchtlinge aus Syrien sind involviert. Sicherlich aufgrund der Sprachbarriere kein ganz einfaches Unterfangen, aber ein gelungenes Beispiel für gelebte Inklusion.

Landgrafenschloss Biedenkopf, Bergfried

Nach knapp zweieinhalbstündiger Uraufführung waren lauter zufriedene Gesichter im Schlosshof des Landgrafenschlosses Biedenkopf zu sehen, und es gab Stehapplaus für alle Beteiligten. „Der Postraub – Das Musical“ steht noch bis 6. September 2015 auf dem Spielplan, für einige wenige Vorstellungen sind noch Tickets erhältlich. Weitere Informationen unter www.schlossfestspiele-biedenkopf.de


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