„Der Zauberer von Oz (The Wizard of Oz)“

„Der Zauberer von Oz (The Wizard of Oz)“ – nach der Erzählung „The Wonderful Wizard of Oz“ von Lyman Frank Baum. Musik: Harold Arlen; Hintergrundmusik: Herbert Stothart; Lyrics: Edgar Yipsel „Yip“ Harburg; Buch: John Kane für die Royal Shakespeare Company; Deutsche Bearbeitung: Klaus Eidam; Dialoge in deutscher, Songs in deutscher/englischer Sprache mit deutschen Übertiteln; Inszenierung: Sandra Wissmann; Choreografie: Seân Stephens; Bühne: Britta Tönne; Kostüm Design: Martina Feldmann; Licht: Patrick Fuchs; Sounddesign: Dirk Lansing; Dramaturgie: Stephan Steinmetz; Musikalische Leitung: Thomas Rimes. Darsteller: Dorin Rahardja (Dorothy Gale, ein Mädchen aus Kansas), Joachim Gabriel Maaß (Professor Marvel, ein Schausteller in Kansas/Oz, der Zauberer von Oz), Michael Dahmen (Hunk, Arbeiter auf der Farm/Vogelscheuche), E. Mark Murphy (Hickory, Arbeiter auf der Farm/Blechmann), Piotr Prochera (Zeke, Arbeiter auf der Farm/Löwe), William Saetre (Miss Almira Gulch, eine Landlady aus Kansas/Die böse Hexe des Westens), Anke Sieloff (Tante Em (Emily), Dorothys Tante/Glinda, die gute Hexe des Nordens), Lars-Oliver Rühl (Onkel Henry, Dorothys Onkel/Wächter in der Smaragdstadt), Nicole Luketić, Mandy-Marie Mahrenholz, Julia Schukowski, Franziska Vosseler (Tänzerinnen), Philipp Georgopoulos, Jan W. Schäfer, Nico Stank, Richard-Salvador Wolff (Tänzer), Jerome Groß/Nicolas Groß (Bürgermeister/Jitterbug), Öhrchen/Xiva (Toto) u. a. Uraufführung: 12. Dezember 1987, Barbican Theatre, London. Deutschsprachige Erstaufführung: 15. Oktober 1992, Metropol-Theater Berlin. Premiere: 12. April 2015, Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen.



„Der Zauberer von Oz (The Wizard of Oz)“


Der Musical-Klassiker am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen


Dorin Rahardja (Dorothy Gale); © Pedro Malinowski

1900 schrieb Lyman Frank Baum die Erzählung „The Wonderful Wizard of Oz“ nieder, die in Amerika genauso bekannt ist wie im deutschsprachigen Raum Grimms Märchen. Am 21. Januar 1903 kam die erste Musical-Fassung „The Wizard of Oz“ von Paul Tietjens, Charles Zimmerman, Gus Edwards, Leo Edwards u. a. an den Broadway, 1939 brachte Metro-Goldwyn-Mayer die erfolgreiche Verfilmung mit Judy Garland (Dorothy Gale) in die Kinos. Harold Arlen und Edgar Yipsel „Yip“ Harburg wurden mit dem Oscar für den besten Song („Over the rainbow“) ausgezeichnet, Judy Garland erhielt den damals noch vergebenen Juvenile Oscar für jugendliche Darsteller. Harold Arlen, Herbert Stothart (Musik), Edgar Yipsel „Yip“ Harburg (Lyrics) und John Kane (Buch) adaptierten den Film für die Royal Shakespeare Company für die Bühne, die das Musical am 12. Dezember 1987 am Barbican Theatre in London zur Aufführung brachte. Das Musical „Wicked – Die Hexen von Oz“, das im deutschsprachigen Raum durch die Aufführungen im Palladium Theater in Stuttgart (Premiere 15. November 2007) und im Metronom Theater in Oberhausen (Premiere 8. März 2010) bekannt wurde, schildert die Vorkommnisse im Land Oz, bevor Dorothy Gale, ein Mädchen aus Kansas, dort auftaucht. Sandra Wissmann (Regie) und Seân Stephens (Choreografie) arbeiten bei „Der Zauberer von Oz (The Wizard of Oz)“ nach „Cabaret“ am Musiktheater im Revier in der laufenden Spielzeit erneut zusammen­.

Anke Sieloff (Tante Em), Dorin Rahardja (Dorothy Gale), Lars-Oliver Rühl (Onkel Henry) und William Saetre (Miss Almira Gulch); © Pedro Malinowski

„Somewhere over the Rainbow“ – irgendwo hinter dem Regenbogen, da ist bestimmt alles viel besser als auf der tristen Farm in Kansas, wo Dorothy zu Hause ist. Als ihr auch noch der geliebte Hund Toto weggenommen werden soll, beschließt sie, fortzulaufen. Unterwegs treffen Dorothy und Toto Professor Marvel vor seinem Zigeunerwagen und würden am liebsten mit ihm ziehen, aber er schickt die beiden wieder nach Hause. Doch dann trägt ein Wirbelsturm Dorothy ins zauberhafte Land Oz. Ein Paar roter Schuhe wird zum Talisman auf der gefährlichen Reise zur Smaragdstadt zum Zauberer von Oz, der als einziger den Weg zurück nach Kansas kennt. Unterwegs trifft Dorothy auf neue Freunde: Eine Vogelscheuche mit nichts als Stroh im Kopf, ein Blechmann mit hohler Brust und ein ängstlicher Löwe, der sich mehr Courage wünscht, erweisen sich als treue und unentbehrliche Begleiter auf der gefahrvollen Reise, denn die böse Hexe des Westens will Dorothys rote Schuhe mit allen Mitteln an sich bringen.

Michael Dahmen (Vogelscheuche), Dorin Rahardja (Dorothy Gale), E. Mark Murphy (Blechmann) und Piotr Prochera (Löwe); © Pedro Malinowski

Gemeinsam schaffen die vier Freunde das nahezu Unmögliche: vor den großen und allmächtigen Zauberer von Oz zu treten. Aber da beginnen die wirklichen Bewährungsproben erst, denn der Zauberer verlangt als Gegenleistung für die Erfüllung ihrer Wünsche den Besen der bösen Hexe des Westens. Die vier Freunde machen sich auf den Weg zum Schloss der bösen Hexe, und auf dem Weg wird Dorothy von den geflügelten Affen gefangengenommen und im Hexenschloss eingesperrt. Der Versuch von Vogelscheuche, Blechmann und Löwe, Dorothy zu befreien, schlägt fehl, und alle vier Freunde sind schließlich Gefangene der bösen Hexe. Mit einem Eimer Wasser bringt Dorothy sie zum Schmelzen, und gemeinsam machen sich die Freunde mit dem Besen der Hexe auf den Rückweg zum großen Zauberer von Oz, der sich zwar als Scharlatan entpuppt, aber ein guter Mensch ist. Er verleiht der Vogelscheuche ein Diplom als Zeichen für ihren Verstand, dem Blechmann eine tickende Uhr als Zeichen der Wertschätzung und Zuneigung und dem Löwen eine Tapferkeitsmedaille als Zeichen für seinen Mut. Nur sein Fesselballon, mit dem er das Mädchen nach Kansas zurückbringen möchte, fährt ohne Dorothy los. Was nun? Glinda kennt die Lösung…

Dorin Rahardja (Dorothy Gale), Michael Dahmen (Vogelscheuche), Piotr Prochera (Löwe) und E. Mark Murphy (Blechmann); © Pedro Malinowski

Wenngleich Regisseurin Sandra Wissmann mit ihrer Inszenierung keine Bühnenfassung des MGM-Films vorlegen möchte, so bleiben Vergleiche mit der Filmvorlage doch nicht aus, und so verwundert es nicht, dass zu Beginn der MGM-Löwe in der Videoprojektion auf dem schwarzen Vorhang zur Ouvertüre brüllt, wobei hier natürlich Piotr Prochera anstelle von Leo zu sehen ist. Während Richard Thorpe, George Cukor, Victor Fleming und King Vidor die Geschichte von Dorothys wundersamer Reise aus Kansas in ein Land irgendwo hinter dem Regenbogen in der Filmvorlage in 98 Minuten erzählen, erreicht die Aufführung im Musiktheater im Revier am Premierenabend stolze 190 Minuten Spielzeit einschließlich Pause und Schlussapplaus, was nicht nur an der aus dem Film geschnittenen Tanzszene „The Jitterbug“ liegt, zumal die Tänzerinnen und Tänzer gerade in dem damaligen Modetanz eine heiße Sohle aufs Parkett legen können und nicht nur Fernsehballett im Stil der 1980er-Jahre zeigen dürfen (Choreografie Seân Stephens). Bei der Aufführungsdauer wäre jedoch (sagen wir eine halbe Stunde) weniger womöglich mehr gewesen, zumal es sich bei „Der Zauberer von Oz (The Wizard of Oz)“ um ein Familienmusical handelt. Britta Tönne (Bühne) und Martina Feldmann (Kostüme) machen die Aufführung zu einem Augenschmaus und farbenprächtigen Spektakel, da fliegt Miss Almira Gulch auf ihrem Fahrrad beim Wirbelsturm durch die Lüfte und auch der Zauberer von Oz fliegt mit seinem Fesselballon schließlich davon, ebenfalls ansprechend gelöst das Schloss der bösen Hexe, das aus der Unterbühne mit einem Hubpodium nach oben auf die Bühne verfahren wird, lediglich Patrick Fuchs (Lichtdesign) hätte die Szenerie noch schlagartig in dem Augenblick in grünes Licht tauchen können, als die vier Freunde auf dem Weg zum Zauberer von Oz die grünen Brillen aufsetzen, die sie vom Wächter der Smaragdstadt bekommen haben. Doch das ist lediglich eine vorstellbare Kleinigkeit in dem ansonsten tadellosen optischen Eindruck. Die Neue Philharmonie Westfalen unter der Musikalischen Leitung von Thomas Rimes, dem 2. Kapellmeister am Musiktheater im Revier, bringt die Partitur fulminant zu Gehör und kann sowohl in ruhigeren Momenten als auch in schnelleren Passagen wie dem bereits erwähnten „Jitterbug“ glänzen.

Dorin Rahardja (Dorothy Gale), Nico Stank (Nikko, Anführer der geflügelten Affen) und William Saetre (Die böse Hexe des Westens); © Pedro Malinowski

Unter der Prämisse, alle Rollen mit Ausnahme der Tänzerinnen und Tänzer aus dem Opernensemble am Musiktheater im Revier besetzen zu müssen, fiel die „Wahl“ für die Rolle des einfachen Mädchens aus Kansas auf Dorin Rahardja (* 1985), die 2012 ihre Ausbildung an der Folkwang Universität der Künste in Essen abgeschlossen hat und mit Abstand die jüngste Sopranistin im Opernensemble ist. Wir erinnern uns: Bei der MGM-Verfilmung fiel die Wahl bei der Suche nach einer Kinderdarstellerin, nachdem der 10-jährige Kinderstar Shirley Temple von der Twentieth Century-Fox Film Corporation nicht freigestellt wurde, auf die 16-jährige Judy Garland, das andere Nachwuchstalent, das bereits seit drei Jahren für MGM arbeitete, aber schon sehr weibliche Formen entwickelt hatte. Dorin Rahardja geht ruhigen Gewissens nicht mehr als „Kinderdarstellerin“ durch, jedoch erfordert die Hauptrolle auch eine Menge Stehvermögen und Bühnenpräsenz. Mit ihrem sicher geführten Sopran bringt sie den Ohrwurm „Over the rainbow“ wohlklingend zu Gehör, auch noch beim Totalausfall der Tontechnik bei der Reprise im zweiten Akt. Nur Öhrchen lenkt als Leckerli-verliebter Toto weniger Dorin Rahardja als vielmehr das Publikum von ihrem Schauspiel in den Szenen in Kansas ab. Da dürfte die Entscheidung, den Hund nicht in das Land hinter dem Regenbogen mitzunehmen, goldrichtig gewesen sein. Von Dorothys Freunden Michael Dahmen (Hunk, Arbeiter auf der Farm/Vogelscheuche), E. Mark Murphy (Hickory, Arbeiter auf der Farm/Blechmann) und Piotr Prochera (Zeke, Arbeiter auf der Farm/Löwe) fallen insbesondere E. Mark Murphy mit seinem Stepptanz als Blechmann und Piotr Prochera mit seinen Anspielungen an den King of Rock ’n’ Roll als Löwe auf, wobei die Tontechnik dem Stepptanz auch akustisch mehr Gehör verschaffen sollte, zumindest auf der rechten Seite im Auditorium. (Dem Vernehmen nach war der rhythmische Klang der Metallplatten auf der linken Seite im Auditorium ausreichend zu hören.) William Saetre weiß als geschlechtskonträre böse Hexe des Westens durchaus Angst und Schrecken zu verbreiten, schade nur, dass es sowohl in der Bühnenfassung wie auch in der Filmvorlage keinen Hinweis darauf gibt, dass Wasser für die böse Hexe tödlich ist, so dass ihr Ende für den der Buchvorlage unkundigen Zuschauer vollkommen unvorhergesehen kommt.

Joachim Gabriel Maaß (Oz, der Zauberer von Oz), Ensemble; © Pedro Malinowski

Am Ende wurden sowohl die Darsteller als auch das Kreativteam vom Premierenpublikum mit begeistertem, langanhaltenden Stehapplaus gefeiert. „Der Zauberer von Oz (The Wizard of Oz)“ steht in der laufenden Spielzeit bis 27. Juni 2015 auf dem Spielplan des Musiktheater im Revier und wird in der Spielzeit 2015/16 am 25. Oktober 2015 mit Bele Kumberger als Dorothy Gale wieder­auf­genommen.

Große Torte ohne viele Worte: Sandra Wissmann