„Werdendes Ruhrgebiet. Spätantike und Frühmittelalter an Rhein und Ruhr“

Sonderausstellung im Ruhr Museum auf der 12-Meter-Ebene der Kohlenwäsche

Ausstellungsplakat „Werdendes Ruhrgebiet. Spätantike und Frühmittelalter an Rhein und Ruhr“, Gestaltung Uwe Loesch, © Ruhr Museum

Mit der Ausstellung „Werdendes Ruhrgebiet. Spätantike und Frühmittelalter an Rhein und Ruhr“ bringt das Ruhr Museum Licht in die vermeintlich „dunklen Jahrhunderte“ des Ruhrgebiets. Es beleuchtet die historischen Entwicklungen vom 3. bis zum 11. Jahrhundert der Grenzregion zwischen Römern, Germanen, Franken und Sachsen. In dieser fast schriftlosen Periode, deren Erforschung vor allem über archäologische Funde erfolgt, erscheint vieles bis heute unbekannt und rätselhaft. Und dennoch wurden bereits in der Antike und in der darauf folgenden Zeit der Christianisierung die Grundlagen für die Blüte des mittelalterlichen Ruhrgebiets gelegt – auch wenn dieser industriell geprägte Begriff erst Jahrhunderte später entstand.

„Werdendes Ruhrgebiet. Spätantike und Frühmittelalter an Rhein und Ruhr“, Blick in die Sonderausstellung

Gezeigt werden über 800 zum Teil noch nie ausgestellte kulturhistorische Schätze, archäologische Funde und kostbare Handschriften aus der Region von über 70 Leihgebern mit einem Versicherungswert von über 100 Millionen Euro. Höhepunkte sind die ältesten und wertvollsten Kleinodien aus den Kirchenschätzen und Bibliotheken von Werden und Essen. Neben diesen stets sorgsam gehüteten Kostbarkeiten illustrieren archäologische Exponate das Leben der Menschen vor über tausend Jahren im „werdenden Ruhrgebiet“: Kleidungsbestandteile, Schmuck, Gefäße aus Glas und Keramik, dazu aber auch Werkzeuge und Waffen.

Römische Mars-Statuette, Fundort Bochum-Stiepel, 2./3. Jahrhundert, Bronze

Hauptleihgeber sind neben den Schatzkammern in Essen und Werden die Domschatzkammer in Aachen, die Staatlichen Museen und die Staatsbibliothek zu Berlin, die Staatsbibliothek Bamberg und die Landesbibliothek Düsseldorf, die LWL-Archäologie für Westfalen und das Bistum Münster sowie die LVR-Museen in Bonn und Xanten.

„Werdendes Ruhrgebiet. Spätantike und Frühmittelalter an Rhein und Ruhr“, Blick in die Sonderausstellung

Einige Hauptwerke der ottonischen Kunst wie die Goldene Madonna, der Siebenarmige Leuchter und der Werdener Bronzekruzifixus befinden sich noch heute an ihren ursprünglichen Bestimmungsorten, dem Essener Münster und der Propsteikirche St. Ludgerus in Essen-Werden. „Werdendes Ruhrgebiet“ bezieht daher die Essener Dominsel sowie die Werdener Schatzkammer als weitere Ausstellungsorte mit ein.

Großes Vorratsgefäß, 3./4. Jahrhundert, Ton

Fünf große Kapitel gliedern die Ausstellung. Das Kapitel LEBEN vermittelt mit den archäologischen Fundstücken aus den verschiedenen Epochen einen Eindruck vom Alltag der Menschen und seinen Herausforderungen an Rhein und Ruhr. STREITEN richtet den Blick auf die Konflikte und kriegerischen Auseinandersetzungen in der Zeit vor über tausend Jahren. Gewalt war in der Spätantike und im Frühmittelalter Teil des menschlichen Daseins. Der Bereich GLAUBEN zeigt den Wandel von den unterschiedlichen antiken Religionen zum Christlichen in der Grenzregion. Für den Siegeszug des Christentums waren sowohl friedliche Versuche zahlreicher Missionare als auch die Zwangsmissionierung durch Karl den Großen verantwortlich. Das Kapitel WERDEN stellt sowohl räumlich als auch inhaltlich das Kloster Werden und das Stift Essen in das Zentrum der Ausstellung. Als Zentren der Religion, Bildung und Kunst spielten sie eine herausragende Rolle für die Region und weit darüber hinaus. Sie stehen für den Beginn des christlichen Mittelalters an Rhein und Ruhr. Im letzten Kapitel DEUTEN geht es um die unterschiedlichen Annäherungsversuche der Nachwelt an die Frühzeit.

Zwei menschliche Schädel mit abgeheilten Hiebverletzungen, Müden (Mosel), Gräberfeld, 6. bis 8. Jahrhundert, Knochen

Mit dem Thema und dem Titel der Ausstellung knüpft das Ruhr Museum an die erste überregionale Großausstellung der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahre 1956 auf der Villa Hügel an. Anders als in der Ausstellung „Werdendes Abendland an Rhein und Ruhr“ stammen heute allerdings fast alle Exponate aus der Region. Das ergibt sich aus den archäologischen Grabungen und den Forschungserkenntnissen der letzten 50 Jahre.

Menschlicher Schädel mit „Ohreisen“ und Haarerhaltung, Fundort Haan, Alter Kirchplatz, 16./17. Jahrhundert, Knochen, Buntmetall, Menschenhaar

Als „Kathedrale der Industriekultur“ zeigt das Ruhr Museum die Geschichte der Region in ihren unterschiedlichen Aspekten, vor allem in seiner 2010 eröffneten Dauerausstellung, aber auch in seinen vielfältigen Sonderausstellungen. „Werdendes Ruhrgebiet“ präsentiert nun nach der großen Mittelalterausstellung „Gold vor Schwarz“ im Jahre 2008/09 in den fensterlosen Bunkern der 12-Meter-Ebene die davorliegende Zeit der Spätantike und des Frühmittelalters.

Olifant, so genanntes Jagdhorn Karls des Großen, Unteritalien, um 1000, oder Orient, 11. Jahrhundert, Elfenbein, Metallbeschläge vergoldet, Edelsteine

Gestaltet wurde die Ausstellung von dem Architekten Bernhard Denkinger aus Wien, der zahlreiche Ausstellungen für das Ruhr Museum realisiert hat, zuletzt im September 2010 „Alles wieder anders. Fotografien aus der Zeit des Strukturwandels“.

So genanntes Brustkreuz Karls des Großen, mit Reliquienkapsel, Kapsel: Lüttich (?), um 1165, Kruzifix: evtl. 9. Jahrhundert; Reliquienkreuz: Aachen, Mitte 14. Jahrhundert und älter, Kapsel: Silber, graviert und vergoldet, Reliquienkreuz: Silber vergoldet, 3 Edelsteine, Perlen

Die Patina der rauchgeschwärzten, fensterlosen Betonwände des Wechselausstellungsraums steht für das Industriezeitalter, das den starken Kontrast zu den Exponaten aus der geheimnisvollen Frühzeit liefert.

So genannte Reiterstatuette Karls des Großen (Nachbildung), Metz (?), um 870, Vergoldung und Schwert frühneuzeitlich, Bronzeguss, Spuren von Vergoldung

Ein Geflecht aus Lichtpunkten aus den Vitrinen und Ausstellungsmöbeln zieht sich dabei durch die gesamte Ausstellung und verleiht den Exponaten eine magische Aura. Stück für Stück, Objekt für Objekt wird Licht in die „dunklen Jahrhunderte“ an Rhein und Ruhr gebracht.

Kaiserkrone Ottos I., so genannte Reichskrone (Nachbildung), 2. Hälfte 10. Jahrhundert/962 ? (Original), Goldschmiedeatelier Abeler, Wuppertal, 1966 bis 1979 (Kopie), Original: Gold, Email-Zellenschmelz, Edelstein, Perlen, Niello, Kopie: Silber vergoldet, Kunstperlen und Glassteine

Drei Rampen bilden den Auftakt zur Ausstellung, auf denen archäologische Exponate aus der sagenumwobenen Frühzeit empor steigen und das räumliche und inhaltliche Zentrum umrahmen, in dem die kostbaren Schätze des Klosters Werden und des Stifts Essen zum Strahlen gebracht werden.

Taufstein aus der Propsteikirche St. Getrud von Brabant, Wattenscheid (Abguss, Ruhrregion, Ende 11./Anfang 12. Jahrhundert (Abguss 2014), Ruhrsandstein, Abguss: Epoxydharz

Kultgefäß mit Barbotineauflagen und Darstellungen des Sol-Mithras, Fundort Köln, Zeughausstraße, 2./3. Jahrhundert, Ton (ergänzt)

Pyxis mit der Geburt Christi und der Verkündung an die Hirten, Östliches Mittelmeergebiet, 5./6. Jahrhundert, Elfenbein, vergoldete Nieten, Silberklammer

Werdener Relequienkasten, so genannter Tragealtar des heiligen Liudger, Süditalien (?), 8. Jahrhundert (Beinplatten) und 13. Jahrhundert (Eichenholzkasten), Eichenholz, Knochen, Papier, bemalte Seidenfragmente, Eisenscharniere

Werdener Relequienkasten, so genannter Tragealtar des heiligen Liudger, Süditalien (?), 8. Jahrhundert (Beinplatten) und 13. Jahrhundert (Eichenholzkasten), Eichenholz, Knochen, Papier, bemalte Seidenfragmente, Eisenscharniere

So genannter „Kelch des hl. Liudger“, Werden (?), um 1000 (?), Kupfer gegossen, getrieben, vergoldet, graviert, Übersetzung der Inschriften: „Dies ist der Kelch des Blutes unseres Herrn Jesus Christus“, „Mit diesem Kelch wird der höchste Triumph vollzogen“

Drei disputierende Frauen, Steinrelief, Werden, um 1060, Sandstein. Das Steinrelief war bis 1891 als Fragment in der Westwand der Liudgeridenkrypta der Ludgerus-Basilika eingemauert.

Essener Schwert, Schwert: Mittel- oder Westeuropa, Mitte bis 3. Viertel 10. Jahrhundert, Griff und Scheidenbeschläge : Essen (?), um 1000, Ortstück und Mundblech: 15. Jahrhundert, Schwert: Eisen, Stahl, Schwertscheide: Goldblech über Holz, Verkleidung: Gold, Filigran, Email, Edelsteine, Ortstück und Mundblech: Silberblech, vergoldet, graviert, Übersetzung der Inschrift (15. Jahrhundert): „Schwert, mit dem unsere Patrone enthauptet wurden“

Essener Schwert, Schwert: Mittel- oder Westeuropa, Mitte bis 3. Viertel 10. Jahrhundert, Griff und Scheidenbeschläge : Essen (?), um 1000, Ortstück und Mundblech: 15. Jahrhundert, Schwert: Eisen, Stahl, Schwertscheide: Goldblech über Holz, Verkleidung: Gold, Filigran, Email, Edelsteine, Ortstück und Mundblech: Silberblech, vergoldet, graviert, Übersetzung der Inschrift (15. Jahrhundert): „Schwert, mit dem unsere Patrone enthauptet wurden“

Essener Schwert, Schwert: Mittel- oder Westeuropa, Mitte bis 3. Viertel 10. Jahrhundert, Griff und Scheidenbeschläge : Essen (?), um 1000, Ortstück und Mundblech: 15. Jahrhundert, Schwert: Eisen, Stahl, Schwertscheide: Goldblech über Holz, Verkleidung: Gold, Filigran, Email, Edelsteine, Ortstück und Mundblech: Silberblech, vergoldet, graviert, Übersetzung der Inschrift (15. Jahrhundert): „Schwert, mit dem unsere Patrone enthauptet wurden“

Bucheinband des Theophanu-Evangeliars, Essen (?), 1039/1058, Elfenbein Köln 2. Viertel 11. Jahrhundert, Eichenholz, Goldblech getrieben, Edelsteine, Filigran

Großes Karolingisches Evangeliar, Nordostfrankreich oder Nordwestdeutschland, um 800, Pergamenthandschrift mit farbigen Zierseiten und Initialen, Holzdeckel, mit Leder bezogen

Kleines Karolingisches Evangeliar, Westdeutschland (vermutlich Corvey), 1. Hälfte 10. Jahrhundert, Pergamenthandschrift mit farbigen Zierseiten und Initialen, neuer Einband, barocker Silberbeschlag wieder aufgesetzt

Figurine eines römischen Legionärs, Mainz, Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Anfang 20. Jahrhundert, Gips

Zur Ausstellung erscheint im Klartext Verlag Essen ein umfangreicher, 400 Seiten starker Katalog mit mehr als 400 farbigen Abbildungen, ISBN 978-3-8375-1394-3, 29,95 €, der die fünf großen Kapitel der Ausstellung näher beleuchtet und von Karsten Moll grafisch gestaltet wurde.

Medaille „1000 Jahre Goldene Madonna“, Bistum Essen, EuroMint Bochum, 1989, 999er Silber mit Feingoldapplikation

„Werdendes Ruhrgebiet. Spätantike und Frühmittelalter an Rhein und Ruhr“ wird vom 27. März bis 23. August 2015 täglich von 10 bis 18 Uhr zu sehen sein. Der Eintritt kostet für Erwachsene 7 Euro, ermäßigt 4 Euro, Kinder und Jugendliche bis 14 Jahre sowie Schüler- und Studierendengruppen im Rahmen von gebuchten Führungen haben freien Eintritt. Bei Vorlage eines Tickets der Schatzkammer St. Ludgerus Essen-Werden oder der Domschatzkammer Essen erhalten die Besucher den ermäßigten Eintritt in die Sonderausstellung „Werdendes Ruhrgebiet. Spätantike und Frühmittelalter an Rhein und Ruhr“ und umgekehrt.

„St. Liudger predigt den die Ufer der Ems bewohnenden Christen das Christentum“, Albert Baur, 1901, Ölgemälde auf Leinwand, vergoldeter Stuckrahmen; Gymnasium Dionysianum, Rheine

Zur Eröffnung der Ausstellung „Werdendes Ruhrgebiet. Spätantike und Frühmittelalter an Rhein und Ruhr“ laden das Ruhr Museum und die Propsteipfarrei St. Ludgerus in Essen-Werden für Donnerstag, 26. März, dem Todestag des heilige Liudger, um 18 Uhr zu einer öffentlichen Vesper in die Werdener Basilika, Brückstraße 52, ein. Die Predigt hält Weihbischof Wilhelm Zimmermann. Die Leiterin der Domschatzkammer Essen und der Schatzkammer St. Ludgerus, Essen-Werden, Dr. Birgitta Falk, spricht zum Thema „Die Kirchenschätze von Essen und Werden“. Die offizielle Eröffnung der Ausstellung findet für geladene Gäste im Anschluss auf der Zeche Zollverein statt.


Donnerstag, 26. März 2015

Eröffnung der Ausstellung auf dem UNESCO-Welterbe Zollverein

So wie man plant und denkt,
so kommt es nie!
   Dr. Michael Kunze, 1992

Im Anschluss an die Vesper am Fest des heiligen Ludgerus in der Propsteikirche St. Ludgerus in Essen-Werden, die dem Vernehmen nach gegen 19.20 Uhr beendet wurde, war um 19.30 Uhr die Eröffnung der Ausstellung auf dem UNESCO-Welterbe Zollverein in Essen-Stoppenberg geplant. Dafür wäre aber womöglich die Hilfe von Montgomery „Scotty“ Scott („Scotty, beam me up!“) nötig gewesen, die gecharterten Shuttle-Busse konnten den Weg unmöglich in so kurzer Zeit bewältigen. Ungeachtet dessen harrten viele hundert Besucher, die offensichtlich die vorherige Vesper nicht besucht hatten, in der Halle 12 der Dinge, die da kommen sollten, bis Prof. Heinrich Theodor Grütter, Direktor des Ruhr Museums, schließlich eintraf und bekanntgab, dass man noch auf die Besucher aus Werden warte. Gegen 20.10 Uhr eröffnete Herrmann Marth, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Zollverein, die Veranstaltung mit einer Schweigeminute für die Opfer des verunglückten Germanwings-Fluges 4U9525.

Thomas Kutschaty, Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen

Prof. Heinrich Theodor Grütter, Direktor des Ruhr Museums

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