Musiktheater im Revier: „Heute Abend: Lola Blau“

„Heute Abend: Lola Blau“ – Musical für eine Sängerin oder Schauspielerin von Georg Kreisler; Inszenierung: Sandra Wissmann; Bühne: Britta Tönne; Kostüme: Mark Pearson; Choreografie: Daniela Günther; Musikalische Leitung: Thomas Rimes. Darsteller: Christa Platzer (Lola Blau), Thomas Rimes (Pianist). Toneinspielungen: Franziska Hackel, Mark Pearson, Philipp Werner. Uraufführung: 17. Oktober 1971, Kleines Theater in der Josefstadt, Wien. Premiere: 13. Februar 2015, Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, Kleines Haus.



„Heute Abend: Lola Blau“


Die Geschichte einer Ohnmacht am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen


Christa Platzer (Lola Blau), Foto Pedro Malinowski

Georg Kreisler (* 18. Juli 1922 in Wien, † 22. November 2011 in Salzburg) hat in „Heute Abend: Lola Blau“ sein eigenes Leben und Emigrationsschicksale jüdischer Künstler verarbeitet, schon in der Schulzeit wurde er selbst mit antisemitischen Beschimpfungen und antisemitischer Gewalt konfrontiert und emigrierte 1938 nach dem „Anschluss“ Österreichs mit seinen Eltern in die USA. Dort war sein Erfolg jedoch nur mäßig, und so kehrte er 1955 nach Wien zurück, wo er die Erfahrung machen musste, dass er sich in dieser Stadt künstlerisch nicht frei entfalten kann, seine Lieder beim Publikum nicht nur auf Begeisterung stießen und im Österreichischen Rundfunk nicht gesendet werden durften. Das außergewöhnliche Stück „Heute Abend: Lola Blau“ für eine einzelne Sängerin oder Schauspielerin erzählt von der Karriere der fiktiven Bühnenkünstlerin Lola Blau, die bei der Uraufführung am 17. Oktober 1971 im Kleinen Theater in der Josefstadt in Wien von seiner dritten Ehefrau Topsy Küppers (* 17. August 1931 in Aachen) gespielt wurde. Georg Kreisler und Topsy Küppers trennten sich 1975, und später bezeichnete sich Topsy Küppers in Programmheften wiederholt als die eigentliche Autorin von „Heute Abend: Lola Blau“. Es kam zu einem 14 Jahre währenden Rechtsstreit zwischen den beiden Parteien, den der Oberste Gerichtshof in Wien am 9. Dezember 1997 schließlich in letzter Instanz zugunsten des Klägers Georg Kreisler entschied. Zwanzig Kabarettsongs in „Heute Abend: Lola Blau“ zeigen Georg Kreislers Spannweite von virtuoser Komödie bis zur berührenden Tragödie. Das Musiktheater im Revier Gelsenkirchen hatte das Stück vor 26 Jahren in der Spielzeit 1988/89 bereits auf dem Spielplan, 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz und 50 Jahre nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland möchte Generalintendant Michael Schulz mit „Heute Abend: Lola Blau“ und der Ballettoper „Charlotte Salomon: Der Tod und die Malerin“ an die tragischen Ereignisse in der Vergangenheit erinnern. Letztere kann ich bedauerlicherweise an dieser Stelle nicht besprechen – auch nicht an anderer Stelle in diesem Weblog.

Christa Platzer (Lola Blau), Foto Pedro Malinowski

Zum Inhalt:
Im März 1938 kurz nach dem Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich packt die jüdische Schauspielerin Lola Blau in der Wiener Pension „Aida“ ihre Koffer, sie freut sich auf ihr erstes Engagement am Landestheater Linz. Sie interessiert sich nicht für Politik, versteht nicht, dass der Anschluss Österreichs irgendeine Bedeutung für sie haben könnte („Der Hitler kann vertragsbrüchig werden, Lola Blau nicht.“) und ignoriert die ersten Anzeichen der herannahenden Katastrophe. Erst als sie die Pensionswirtin Knall auf Fall auf die Straße setzt und ihr vom Landestheater Linz in einem knappen Telegramm das Engagement aufgekündigt wird, bleibt ihr nichts anderes übrig, als das Land zu verlassen. Sie flieht nach Basel, wartet dort am Bahnhof vergebens auf ihren Geliebten Leo Glücksmann, und tritt als Nachtclubsängerin auf. Doch auch in Basel kann sie nicht bleiben, die Schweiz versteckte sich hinter ihrer Neutralität, was im Zweiten Weltkrieg vielen Juden das Leben gekostet hat. So besteigt sie schließlich ein Schiff nach Amerika, auf dem sie auf dem oberen Deck die feine Gesellschaft mit ihren Auftritten unterhält und auf dem Unterdeck von den armen Passagiere bewundert wird. In Amerika wird Lola Blau zum frivolen, von der vergnügungssüchtigen Gesellschaft gefeierten Star, doch der Ruhm kann ihr die Heimat nicht ersetzen. Als sie nach Kriegsende von ihrem ehemaligen Geliebten Leo Glücksmann, der während des Krieges in verschiedenen Konzentrationslagern interniert war, angerufen wird, überkommt sie das Heimweh und sie beschließt, nach Wien zurückzukehren. Doch nach ihrer Rückkehr in die Heimat muss sie feststellen, dass sich in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg in Bezug auf den Antisemitismus wenig geändert hat. Sie erfährt vom Inspizienten des Kabaretts, dass Leo Glücksmann nicht zu ihrer Vorstellung kommen konnte, da er in der Öffentlichkeit als „Saujude“ beschimpft wurde, sich dagegen zur Wehr gesetzt hat und sich dafür vor der Polizei verantworten muss: „Regen Sie sich nicht auf, es ist eh alles in Ordnung.“

Christa Platzer (Lola Blau), Foto Pedro Malinowski

Sandra Wissmann, die mit Georg Kreislers Ein-Mann-Musical „Adam Schaf hat Angst“ (Uraufführung 4. Dezember 2002, Berliner Ensemble, Regie Werner Schroeter) ihre erste eigene Regiearbeit am Musiktheater im Revier (Premiere 22. Oktober 2010) vorgelegt hat, bringt die Geschichte um Lola Blau geradlinig und ohne störendes Beiwerk auf die Bühne im Kleinen Haus, die Britta Tönne mit wenigen Requisiten wie einem Flügel auf der linken Seite, einem beleuchteten Spiegel in der Mitte und einem Klavier auf der rechten Seite in verschiedene Schauplätze wie Lolas Pensionszimmer, ihre Künstlergarderobe oder Kabarett-Bühnen verwandelt, auf denen sich Georg Kreislers Kritik an Ausgrenzung, Hass und Vertreibung entfaltet. Ein Teil der Handlung spielt sich lediglich im Kopf der Zuschauer ab, denn wie bei „Heute Abend: Lola Blau“ üblich werden die Stimmen von Lolas Pensionswirtin, dem Passagier auf dem Unterdeck oder dem Inspizienten aus dem Off eingespielt.

Thomas Rimes und Christa Platzer (Lola Blau), Foto Pedro Malinowski

Christa Platzer, die in ihrem Soloabend „Edith Piaf – Non, je ne regrette rien“ bereits das Schicksal der französischen Chansonette Edith Piaf auf die Bühne brachte, trägt nunmehr als Lola Blau die etwa zweieinviertelstündige Aufführung. Glaubhaft lässt sie die Entwicklung von der jungen Schauspielerin, die sich auf ihr erstes Engagement freut („Im Theater ist was los“), zur resignierten, ihrer Heimat beraubten Künstlerin nachvollziehen. Zu den Höhepunkten kann man sicherlich die Songs „Sie ist ein herrliches Weib“ (das nicht lesen, schreiben, denken und kochen kann,) und „Im Theater ist nichts los“ zählen, in dem sie nach ihrer Rückkehr nach Wien dem imaginären Theaterdirektor verschiedene Rollen vorsingt, um ein Engagement zu bekommen, wobei sich Christa Platzer gesanglich im zweiten Teil des Abends noch steigern konnte. Einzig ihre Darstellung des „frivolen Stars“ ließ für mein Empfinden ein wenig das Anrüchige, Laszive vermissen, was an dieser Stelle auch durch die ansonsten adäquate Kostümauswahl von Mark Pearson nicht vermittelt wurde. Offensichtlich war eine Femme fatale auf der Bühne nicht gefragt. Der zweite Kapellmeister Thomas Rimes schlüpft als Musikalischer Leiter der Produktion in die Rolle von Lola Blaus Begleitung am Flügel/Piano und unterstützt Christa Platzer mit seinem Spiel ausgezeichnet.

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