Stadttheater Bielefeld: „Bonnie & Clyde“

„Bonnie & Clyde“ – nach der Biografie von Bonnie Parker und Clyde Barrow; Musik: Frank Wildhorn; Liedtexte: Don Black; Buch: Ivan Menchell; Deutsche Bearbeitung: Holger Hauer; Regie: Jens Göbel; Choreografie: Adonai Luna; Kampf-Choreografie: Benjamin Armbruster; Ausstattung: Julia Hattstein; Licht: Peter Lorenz; Video: Konrad Kästner; Sound: Thomas Noack, Falko Heidemann; Dramaturgie: Fedora Wesseler; Musikalische Leitung: William Ward Murta. Darsteller: Abla Alaoui (Bonnie Parker), Philipp Büttner/Benedikt Ivo (Clyde Chestnut Barrow), Navina Heyne (Blanche Barrow, Clydes Schwägerin), Udo Eickelmann (Marvin Ivan „Buck“ Barrow, Clydes Bruder), Maila Traczyk (Cumie Barrow, Clydes Mutter), Ulrich Wiedemann (Henry Barrow, Clydes Vater), Thomas Klotz (Deputy Sheriff Ted Hinton, Bonnies Jugendfreund), Mark Coles (Richter/Priester), Ulrich Allroggen (Sheriff Richard A. „Smoot“ Schmid), Tina Haas (junge Bonnie), Fabian Kaiser (junger Clyde/Archie/Reporter), Melanie Kreuter (Emma Parker, Bonnies Mutter), Michaela Duhme (Trish, Friseuse/Gouverneurin Miriam „Ma“ Fergusson), Jessica Krüger (Eleanore), Tina Haas/Evelina Quilichini (Stella), Bernard Niemeyer (Deputy Sheriff Bud Russel/Joe, Trishs Ehemann/Wärter/Reporter/Frank Hamer, Texas Ranger), Krzysztof Gornowicz (Wärter/Mr. McGuire/Deputy Sheriff Johnson), Lutz Laible (Kunde/Kassierer/Bob Alcorn, Scharfschütze), Stefan Mießeler (Ed Crowder) u. a. Uraufführung: 22. November 2009, La Jolla Playhouse, La Jolla, California. Broadway-Premiere: 1. Dezember 2011, Gerald Schoenfeld Theatre, New York City. Deutschsprachige Erstaufführung: 7. September 2014, Theater Bielefeld.



„Bonnie & Clyde“


Deutschsprachige Erstaufführung des Broadway-Musicals am Theater Bielefeld


„Bonnie & Clyde“ von Frank Wildhorn (Musik), Don Black (Liedtexte) und Ivan Menchell (Buch) wurde am Broadway nach gerade einmal 33 Previews und 36 regulären Vorstellungen am Gerald Schoenfeld Theatre am 30. Dezember 2011 abgesetzt, doch glücklicherweise erschien im Frühjahr des darauffolgenden Jahres die Original Broadway Cast Aufnahme, anhand derer nicht nur die Partitur von Frank Wildhorn mit einer wunderbaren Mischung amerikanischer Musikstile, sondern das Musical anhand der im Booklet abgedruckten Synopsis und der Songtexte als Ganzes nachvollziehbar ist. Nach Aufführungen in Tokio, Seoul und London präsentiert das Theater Bielefeld nun die deutschsprachige Erstaufführung der Geschichte des berühmt-berüchtigsten Gängsterpärchens Bonnie Elizabeth Parker (* 1. Oktober 1910 in Rowena, Texas; † 23. Mai 1934 in Bienville Parish, Louisiana) und Clyde Chestnut Barrow (* 24. März 1909 in Telico, Texas; † 23. Mai 1934 in Bienville Parish, Louisiana) in der Zeit der Weltwirtschaftskrise. Das Musical folgt den wichtigsten Stationen ihres Lebens und zeichnet mit jazzig-frivolen Melodien und bitterbösem Charme die Metamorphose der in ärmlichen Verhältnissen aufwachsenden Teenager zum glamourösen Verbrecherduo nach: von Bonnies Traum, als Filmstar berühmt zu werden, und Clydes Drang, sich aus dem Leben in den Slums von West Dallas zu befreien, über ihre Begegnung im Januar 1930, den ersten Mord und Bonnies Hilfe bei Clydes Ausbruch aus dem Gefängnis, bis hin zu ihrer Flucht kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten. Die Geschichte von zwei Menschen, die rücksichtslos gegen sich und andere ihren Hunger nach dem wahren Leben verfolgen.

Das Musical beginnt mit der verhängnisvollen letzten Autofahrt des Verbrecherpärchens Bonnie und Clyde, bei der das gestohlene Fluchtfahrzeug von unzähligen Geschossen durchsiebt und die „Karriere“ der beiden ein jähes Ende findet. In der Rückblende erscheinen die zehnjährige Bonnie, die vom Ruhm als Filmstar träumt, und der junge Clyde auf der Bildfläche, der von einem Leben als Outlaw fantasiert. Armut und Schicksal zwingen beide Familien, nach „Cement City“ in West Dallas zu ziehen, wo Bonnie mit zwanzig Jahren als Kellnerin in einem Café arbeitet und Clyde mit seinem Bruder Buck im Bezirksgefängnis landet. Zur Stammkundschaft des Cafés gehört auch Deputy Sheriff Ted Hinton, der für Bonnie schwärmt, aber faktisch zu der Zeit Postangestellter war und erst am 1. Januar 1933 von Sheriff Richard A. „Smoot“ Schmid zu einem seiner Deputy Sheriffs ernannt wurde. („Ambush: The Real Story of Bonnie and Clyde“ by Ted Hinton as told to Larry Grove, Shoal Creek Publishers, 1979. „The strange history of Bonnie and Clyde“ von John E. Treherne, Stein and Day, New York, 1985.) Als Bonnie auf dem Heimweg eine Autopanne hat, begegnet ihr Clyde, der gerade aus dem Gefängnis ausgebrochen ist, und erzählt ihr von seinen großen Plänen. Es ist Liebe auf den ersten Blick, und so schließt sich Bonnie ihm an. Unterdessen versucht Buck, im Friseursalon seiner Frau Blanche unterzutauchen (eigentlich seine Freundin Blanche Caldwell, die beiden haben am 3. Juli 1931 in Oklahoma geheiratet), die ihn zwar gegenüber Sheriff Schmid deckt, ihn aber schließlich überredet, sich zu stellen und seine Strafe abzusitzen. (Erst zwei Tage nach Weihnachten 1931 brachten ihn Cumie und Blanche Barrow zum Texas State Penitentiary at Huntsville.) Während Clyde seinen Bruder das erste Mal nach ihrem Ausbruch aus dem Gefängnis wiedertrifft, erfährt er völlig fassungslos von dessen Absichten. Als Bonnie obendrein Blanches Rat befürwortet, kommt es zum ersten Streit zwischen Bonnie und Clyde. Derweil sich Buck nach seiner feierlichen Taufe den Behörden stellt, begeht Clyde mehrere Überfälle und wird erneut von Sheriff Schmid und seinem Deputy Ted Hinton verhaftet. Ted ist es ein Dorn im Auge, dass Bonnie Clyde im Gefängnis besucht, er malt sich aus, wie schön das Leben wäre wenn sie sich für ihn entschiede. In einer Auseinandersetzung mit ihrer Mutter verteidigt Bonnie ihre Entscheidung für Clyde, und auch Blanche steht bedingungslos zu ihrer Liebe zu Buck. Vor Gericht wird Buck begnadigt (22. März 1933), Clyde dagegen für eine Reihe von Raubüberfällen und seinen Ausbruch aus dem Gefängnis zur Höchststrafe von 16 Jahren Zwangsarbeit in der Gefängnisfarm Eastham verurteilt (April 1930). Bei einem Besuch im Gefängnis erfährt Bonnie, wie brutal Clyde dort behandelt wird, und hilft ihm, auszubrechen, indem sie ihm heimlich eine Waffe beschafft. (Clyde wurde im Februar 1932 auf Bewährung entlassen.) Als Clyde bei einem Überfall auf ein Lebensmittelgeschäft einen Deputy erschießt, will Bonnie ihn zunächst verlassen, doch Clyde versichert ihr, dass es dafür bereits viel zu spät ist, und so folgt Bonnie ihrem Herzen und weicht Clyde nicht mehr von der Seite. Auch Blanche kann Buck mit ihrer Vorstellung von einem rechtschaffenen Leben nicht davon abhalten, sich den beiden anzuschließen, und folgt ihm. In ihrem Versteck in Joplin, Missouri, ist sich Bonnie vollkommen darüber im Klaren, dass sie und Clyde eines Tages mit dem Leben für ihre Verbrechen bezahlen müssen. Das Apartment der vierköpfigen Barrow-Bande (William Daniel „W. D.“ Jones war als Beteiligter der Barrow-Bande an der Schießerei in Joplin, Missouri, ebenfalls beteiligt.) wird von der Polizei umstellt (13. April 1933), bei der folgenden Schießerei werden Bonnie und Buck verwundet. Bonnie und Clyde können entkommen, doch Buck stirbt an seinen Schussverletzungen und Blanche wird verhaftet. (Marvin und Blanche Barrow wurden bei einer Schießerei im Dexfield Park am 24. Juli 1933 verhaftet. Marvin Barrow starb am 29. Juli 1933 im Krankenhaus von Perry, Iowa.) Da Bonnie und Clyde in regelmäßigen Abständen ihre Eltern in Dallas besuchen, beschließt die Polizei, die beiden bei der nächsten Gelegenheit aus einem Hinterhalt anzugreifen, es ist nur eine Frage der Zeit…

Nachdem der amerikanische Gangsterfilm „Bonnie und Clyde“ (1967) mit Faye Dunaway (Bonnie Parker) und Warren Beatty (Clyde Barrow) beträchtlich zum glamourösen Image des kriminellen Pärchens beigetragen hat, wollte Autor Ivan Menchell ein Stück über die wahren Menschen Bonnie und Clyde schreiben, und nicht über die Legende, zu der sie im Laufe der Zeit geworden sind. Dies gelingt jedoch nur ansatzweise. Wie ein Road-Movie, das sich nicht akribisch an die Fakten hält, ziehen die einzelnen Szenen vorüber, bei der Fülle an Material erfährt der Zuschauer leider nur wenig über die Liebesgefühle von Bonnie und Clyde oder Blanche und Buck. Eigentlich sind es Kriminelle, die aber bereits zu Lebzeiten aufgrund der äußeren Begleitumstände (der folgenreichste Börsencrash am 24. Oktober 1929 sowie die daraus resultierende Great Depression) von vielen Zeitgenossen als Volkshelden wahrgenommen wurden. Während im Musical „Elisabeth“ die Darstellerin der Kaiserin von Österreich im Laufe der Handlung um 45 Jahre altert, traut es Ivan Menchell seinen Protagonisten womöglich nicht einmal zu, eine Zeitspanne von 14 Jahren glaubhaft darstellen, so dass er beiden Figuren ein junges Alter Ego an die Seite gestellt hat, die tatsächlich mitunter gleichzeitig auf der Bühne agieren. Regisseur Jens Göbel weckt in seiner Inszenierung ebenfalls unwillkürlich Sympathie für die Protagonisten, indem er diese mitunter als Opfer von Misshandlungen oder sexuellen Übergriffen durch die Gefängniswärter darstellt. Frank Wildhorn hat für „Bonnie & Clyde“ einen Score mit eingängigen Songs und einer Kombination von Jazz über Rockabilly, Blues und Country bis hin zum Gospel komponiert, der – wie bereits bei „Wonderland“ – überhaupt nicht nach Frank Wildhorn klingt und von der Band unter der Musikalischen Leitung von Musical-Kapellmeister William Ward Murta am Flügel eindrucksvoll mit teilweise im Musical nicht alltäglichen Saiteninstrumenten und Country-Flair zu Gehör gebracht wird. Dieser Score steckt voller Highlights und macht einfach Spaß. Da ist die Frage von Operndirektorin Helen Malkowsky bei der anschließenden Premierenfeier, was sie nur ohne Musical-Kapellmeister William Ward Murta machen würde, mehr als berechtigt. Hauptbestandteile des einfachen, aber wirkungsvollen Bühnenbildes von Julia Hattstein sind ein portalhohes Viadukt mit drei Bögen, durch dessen äußere Bögen die einzelnen Szenenbilder mit wenigen Versatzstücken auf der Drehbühne in das Blickfeld der Zuschauer gebracht werden. Auf der linken Seite wird eine schwarze Limousine mit weißen Ledersitzen bei Bedarf an die Rampe bewegt, das Fluchtfahrzeug von Bonnie und Clyde, auf der rechten Seite vermittelt ein Holzgerüst den Eindruck einer unvollendeten Baustelle. Auf den mittleren, verkleideten Brückenbogen werden teilweise Fotos der damaligen Ereignisse projiziert (Video Konrad Kästner), die die Authentizität der Szenen unterstreichen. Julia Hattstein zeichnet ebenfalls für die Kostüme verantwortlich, die sehr schön die Mode der 1930er Jahre widerspiegeln. Generell könnte die Tonabstimmung (Sound Thomas Noack, Falko Heidemann) noch ein wenig Feintuning vertragen, nicht alle Darsteller sind auch in allen Situationen einwandfrei zu verstehen, doch dies scheint ein grundsätzliches Problem bei Premieren zu sein, womöglich auch abhängig von der Position im Auditorium, wie sich schon häufig beim Besuch von Folgevorstellung herausgestellt hat.

Für die beiden Titelrollen konnte das Theater Bielefeld drei Newcomer aus der deutschen Musicalszene gewinnen: Bei der Premiere waren Abla Alaoui als Bonnie Parker und Philipp Büttner als Clyde Barrow zu sehen, Benedikt Ivo wird diese Rolle in den Folgevorstellungen alternierend spielen. Abla Alaoui hat 2014 ihre Ausbildung zur Musical-Darstellerin als Stipendiatin an der Joop van den Ende Academy in Hamburg abgeschlossen, Philipp Büttner hat in diesem Jahr sein Musical-Studium an der Bayerischen Theaterakademie August Everding beendet. Mit leidenschaftlichem Schauspiel und Gesang können beide als junges, lebenshungriges Pärchen überzeugen und harmonieren auf der Bühne sehr gut miteinander – auch wenn sie bisweilen unterschiedlicher Meinung sind und streiten. Thomas Klotz ist als Bonnies Jugendfreund Ted Hinton zu sehen, der für sie schwärmt und damit den Gegenpart zu Clyde Barrow in der Dreiecksgeschichte bildet, eindrucksvoll im Duett mit Philipp Büttner zum Ausdruck gebracht, in dem sich beide Männer für die bessere Partie halten („Du hast was Bess’res verdient“/„You can do better than him“). Navina Heyne verkörpert Clydes Schwägerin Blanche Barrow, die mit ihrer Vorstellung von einem rechtschaffenen Leben ihren Mann lieber ändern möchte als ihn – wie Bonnie – zu akzeptieren, wie er ist, großartig bekräftigt mit ihrem Song „So was nenn’ ich einen Traum“/„That’s what you call a dream“, ihm aber dennoch folgt und dafür letztendlich selbst ins Gefängnis wandert. Udo Eickelmann lässt sich als Buck Barrow zwar noch von seiner Frau überreden, sich zu stellen und seine Strafe abzusitzen, doch nach seiner Begnadigung kann und will er sein wahres Naturell nicht länger verleugnen und schließt sich der Barrow-Bande an. Trotz des ernsthaftes Sujets ist die Szene in Blanches Friseursalon eher amüsant, in der Blanche mit Unterstützung von Kollegin Trish und Kundin Eleanore Buck überredet, „Du gehst wieder in den Bau“/„You’re going back to jail“, wobei Michaela Duhme (Trish) und Jessica Krüger (Eleanore) mit einem Augenzwinkern versichern, ihren ebenfalls inhaftierten Männern wirklich treu zu sein – wer’s glaubt – und damit ihr komödiantisches Talent unter Beweis stellen. Als Richter/Priester ist Mark Coles aus dem Bielefelder Opernchor zu erwähnen, auch das übrige Ensemble weiß mit ansprechenden Leistungen zu überzeugen.

Das Publikum würdigte am Premierenabend sowohl Darsteller als auch Kreativteam mit begeistertem Stehapplaus und bejubelte Abla Alaoui und Philipp Büttner euphorisch, lang lebe die Legende „Bonnie & Clyde“. Das Musical „Bonnie & Clyde“ steht noch bis 16. Januar 2015 auf dem Spielplan des Theaters Bielefeld.

Philipp Büttner und Abla Alaoui

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