Frankenfestspiele Röttingen: „Dracula“

„Dracula“ – nach dem gleichnamigen Roman von Bram Stoker; Musik: Frank Wildhorn; Gesangstexte und Buch: Don Black, Christopher Hampton; Deutsche Bearbeitung: Herwig Thelen; Inszenierung: Sascha Oliver Bauer; Choreografie: Kathleen Bauer; Bühne: Helmut Mühlbacher; Kostüme: Agnes Hamvas; Dramaturgie: Norbert Holoubek; Musikalische Leitung: Walter Lochmann. Darsteller: Rob Fowler (Dracula), Caroline Frank (Mina Murray), Kathleen Bauer (Lucy Westenra), Andreas Bieber (Jonathan Harker), Dennis Kozeluh (Professor Abraham van Helsing), Gernot Kranner/Daniel Ogris (Renfield), Daniel Ogris (Arthur Holmwood), Norbert Holoubek (Dr. Jack Seward), Anton Graner (Quincey Morris), Elena Dediu, Katharina Lochmann und Tina Schöltzke (Vampirinnen), Manuela Hauck, Anja Höfling, Friederike Knauth, Lea Melber, Nicole Reißmann-Balling, Brigitte Schmitt, Lea Umscheid, Ulrike Ziegler. Band: Christine Lochmann (Flöte, Saxophon), Haiko Heinz (Gitarre), Chriss Reiss (Bass-Gitarre), Alexander „Aggi“ Berger (Drums), Werner Goldbach (Keyboard), Walter Lochmann (Klavier, Keyboard). Uraufführung: 13. Oktober 2001, La Jolla Playhouse, San Diego. Broadway Premiere: 30. Juli 2004, Belasco Theatre, New York. Deutschsprachige Erstaufführung: 23. April 2005, Theater St. Gallen. Premiere: 27. Juni 2013, Frankenfestspiele Röttingen, Festspielbühne Burg Brattenstein. Besuchte Vorstellung: 29. Juni 2013.



„Dracula“


Vampire im Hof der Burg Brattenstein


Der irische Schriftsteller Abraham „Bram“ Stoker veröffentlichte am 18. Mai 1897 seinen Roman „Dracula“, der einer ganzen Reihe von Geschichten über Vampire folgt. Graf Dracula dürfte der wohl berühmteste Vampir der Literaturgeschichte sein. Das auf diesem Roman basierende Musical von Frank Wildhorn (Musik), Don Black und Christopher Hampton (Buch und Liedtexte) erlebte seine Uraufführung am 13. Oktober 2001 am La Jolla Playhouse in San Diego, wurde an den Broadway transferiert, wo es am 19. August 2004 am Belasco Theatre seine Premiere feierte und am 2. Januar 2005 nach 157 Vorstellungen geschlossen wurde. Matthias Davids inszenierte die deutschsprachige Erstaufführung am Theater St. Gallen in der deutschen Bearbeitung von Roman Hinze, am 23. April 2005 fand die Premiere statt. Andreas Gergen inszenierte auf der Kasemattenbühne auf dem Grazer Schlossberg eine überarbeitete Fassung in der deutschen Bearbeitung von Herwig Thelen, Koen Schoots hat hierfür die Orchestrierung geschrieben, Premiere war am 9. August 2007. Die Rechte sehen für diese Fassung eine Orchestergröße von mehr als 19 Musikern vor. Die Frankenfestspiele Röttingen führen im Jahr ihres 30. Jubiläums eine nochmals geänderte Version auf: Es wird die deutsche Fassung von Herwig Thelen gespielt, und Walter Lochmann, gemeinsam mit Sascha Oliver Bauer künstlerischer Leiter der Frankenfestspiele, hat die Arrangements an die Röttinger Verhältnisse adaptiert. Röttingen geht in diesem Jahr mit neuem Namen – früher Festspiele Röttingen – und unter neuer künstlerischer Leitung an den Start; mit dem erweiterten Namen möchte man einen regionalen Anspruch unterstreichen, aber der neue Führungsstab wird nach der vorzeitigen Ablösung der früheren künstlerischen Leiterin von der einheimischen Bevölkerung – zumindest von den Personen, mit denen ich darüber gesprochen habe – mit Skepsis betrachtet, was natürlich überhaupt nicht repräsentativ ist.

Die Handlung des Musicals hält sich im ersten Teil eng an die Romanvorlage, um im zweiter Teil stärker auf die Liebesbeziehung zwischen Graf Dracula und Mina Murray zu fokussieren. Doch der Reihe nach: Der junge Anwalt Jonathan Harker reist in die Karpaten, um mit Graf Dracula die Verträge für den Verkauf einer Immobilie in London abzuschließen. Als Dracula zufällig ein Bild von Jonathan Harkers Verlobter Mina Murray erblickt, die seiner verstorbenen Frau täuschend ähnlich sieht, reagiert er seltsam auf den Anblick und verliebt sich auf der Stelle in Mina. Nachdem er von Graf Dracula zunächst freundlich willkommen geheißen wurde, muss Jonathan Harker jedoch bald feststellen, dass er ein Gefangener in dessen Schloss geworden ist. Sein restlicher Aufenthalt gerät zusehends zu einem Albtraum, und noch bevor ihm die Flucht gelingt, wird er von Dracula gebissen. In einem Krankenhaus in Budapest erholt sich Jonathan Harker von den Strapazen und heiratet Mina Murray, die ihm aus Sorge nachgereist ist. Unterdessen heiratet in London ihre beste Freundin Lucy Westenra ihren Verlobten Arthur Holmwood. Inzwischen hat auch Dracula London erreicht und nimmt dort Kontakt zu Renfield, einem Patienten im Sanatorium unter der Leitung von Psychiater Dr. Jack Seward, auf, der Fliegen, Spinnen und Sperlinge verspeist, um deren Lebenskraft aufzunehmen. Lucy Westenra wird als erstes Opfer von Dracula heimgesucht, und auch der von Dr. Jack Seward zu Rate gezogene Vampirforscher Professor Abraham van Helsing kann ihr nicht mehr helfen, verschweigt aber zunächst seine Vermutung über die Ursache von Lucys Erkrankung. Nachdem Lucy ein weiteres Mal von Dracula gebissen wurde, stirbt sie, und ihr verwitweter Ehemann sowie ihre beiden früheren Verehrer Quincey Morris und Dr. Jack Seward schließen sich Professor Abraham van Helsing an, um den Vampir zu jagen. Zunächst muss die Gruppe Lucy daran hindern, als Vampir weiterhin ihr nächtliches Unwesen zu treiben, weshalb Arthur Holmwood ihr einen Holzpflock ins Herz rammt. Inzwischen hat Dracula Kontakt zu Mina aufgenommen, die sich von ihm magisch angezogen fühlt. Hin- und hergerissen zwischen ihrer Liebe zu Jonathan und ihrer Faszination von Dracula lädt sie ihn schließlich zu sich ein, um ihm in die Dunkelheit der Nacht zu folgen. Vor der Gruppe der Vampirjäger muss der Graf jedoch aus London in seine Heimat fliehen. Mit Minas Hilfe, die mit Dracula in eine telepathische Verbindung treten kann und unter Hypnose seinen Aufenthaltsort offenbart, gelingt ihnen die Verfolgung bis in die Karpaten. Im Schloss kommt es schließlich zur Konfrontation, in deren Verlauf Dracula Mina bittet, ihn von seinem Fluch zu befreien…

Rob Fowler, einigen Zuschauern womöglich aus „The Voice of Germany“ bekannt, überzeugt mit kräftiger, rockiger Stimme in der Titelrolle des von Gier getriebenen Grafen mit seiner verwundbaren Seite, seinen Gefühlen für Mina. Er agiert im ersten Teil häufig mit dem Rücken zum Publikum, was möglicherweise Spannung erzeugen soll, doch könnte dies meines Erachtens auch dem Publikum zugewandt mit Gestik und Mimik erreicht werden. Andreas Bieber verleiht dem jungen Anwalt Jonathan Harker Gestalt und seine unverwechselbare Stimme, mit der er zusammen mit Caroline Frank das Duett „Whitby Bay“ zu einem ersten Höhepunkt werden lässt. Überdies kommt in dieser Szene das Ambiente der Burg zum Tragen, denn Caroline Frank singt ihren Part in einem der Fenster des Burggebäudes. Die Tragik der von Andreas Bieber verkörperten Figur wird besonders in seinem Song „Frost an einem Sommertag“ deutlich, in dem er schwört, Mina zu töten, bevor sie Dracula gänzlich anheim fällt. Caroline Frank erfährt mit ihrer Figur der zunächst treusorgenden Gattin Mina Murray im Laufe der Handlung die stärkste Veränderung zur emanzipierten Frau, die den Verführungskünsten Draculas erliegt, um im Schlussbild, nachdem sie ihn von seinem Fluch befreit hat, möglicherweise sogar seine Nachfolge anzutreten. Kathleen Bauer weiß als Lucy Westenra in der zweiten weibliche Hauptrolle zu überzeugen, in der sie Dracula willenlos anheim fällt und so zu einem Geschöpf der Nacht mutiert. Ihre drei Verehrer werden von Norbert Holoubek als Psychiater Dr. Jack Seward, Leiter des Sanatoriums, Anton Granner als junger Texaner Quincey Morris und Daniel Ogris als wortkarger Arthur Holmwood gespielt, die in Ensembleszenen solistisch auf sich aufmerksam machen können. Dennis Kozeluh scheint als Professor Abraham van Helsing den „Flachmann“ von Frau Capulet aus der letztjährigen Inszenierung von „Romeo & Julia“ „geerbt“ zu haben, jedenfalls erträgt er den Verlust seiner geliebten Frau Roseanne nur mit selbigem, die von Dracula getötet wurde, weshalb er den Grafen hasst und Jagd auf ihn macht. Daniel Ogris verkörperte in der besuchten Vorstellung auch die Figur des Irrsinnigen Renfield und interpretierte diesen – womöglich in möglichst starker Abgrenzung zur Rolle des Arthur Holmwood – auch bei dem Song „Das Lied vom Meister“ wie ein krächzender Raabe. Elena Dediu, Katharina Lochmann und Tina Schöltzke treten als Vampirinnen in Erscheinung, wobei Katharina Lochmann auch als Roseanne in einer Ballettsequenz zu sehen ist, in der sich Professor Abraham van Helsing an seine Jugend und seine von Dracula getötete Frau erinnert.

Bühnenbildner Helmut Mühlbacher, der seit 1994 für die Festspiele Röttingen tätig ist, hat für „Dracula“ ein schwarz-weiß gehaltenes Bühnenbild mit zwei großen, seitlich verschiebbaren Zahnrädern, die an ein überdimensionales Uhrwerk erinnern, und einer Dämonen-Hand (?) auf dem festen Bühnenhintergrund geschaffen, ein absenkbares Hubpodium in der Bühne erlaubt szenische Wechsel. Im hinteren Bereich überspannt eine begehbare Brücke die Bühne, ein Steg ragt weit in den Zuschauerraum. Unter diesem hindurch können die Akteure quasi mitten im Publikum durch eine Klappe auf- und auch abtreten, erschreckend ist dabei weniger das plötzliche Auftreten von Vampiren, sondern der laute Knall, wenn die Klappe mit Schwung auf den Steg kracht. Die aus Ungarn stammende Designerin Agnes Hamvas zeichnet für die zum Bühnenbild passenden, zum größten Teil schwarz-weiß gehaltenen Kostüme verantwortlich, wobei Lucys Erscheinungsbild vor ihrer Mutation zum Vampir mit Hose und Haargel nicht so recht in die spätviktorianische Epoche passt, in der die Handlung ursprünglich angesiedelt ist. Alle Darsteller sind im Gesicht ausnahmslos leichenblass geschminkt (Maske Tina Brochwitz), nach einem tieferen Sinn oder einer Bedeutung habe ich vergeblich gesucht. Clowns im Zirkus sind regelmäßig weiß geschminkt, aber sind Jonathan Harker, Jack Seward, Quincey Morris, Arthur Holmwood oder Abraham van Helsing allesamt nur Clowns in Draculas dämonischem Spiel? Durch den Einsatz von LED Scheinwerfern (Licht Roger Vanoni, Wolfgang Bauer) werden insbesondere im zweiten Teil bei zunehmender Dunkelheit atmosphärische Stimmungsbilder kreiert. Die Zugreise im Orient Express wird durch 3 Scheinwerfer hinter schwarzer Gaze lediglich angedeutet, in der Ensembleszene „Eh du verloren bist“, in der sich Abraham van Helsing, Jack Seward, Arthur Holmwood und Quincey Morris auf der Jagd nach Dracula gegenseitig Mut zusprechen, tragen die Darsteller Pechfackeln, und das Ensemble kommt passend zum Songtext mit Kerzen auf die Bühne, wodurch der stimmungsvollste Eindruck der gesamten Inszenierung von Sascha Oliver Bauer geschaffen wird. Kathleen Bauer zeichnet für die Choreografie verantwortlich, gleich in der Eröffnungsszene sind die Vampirinnen mit dem Extra-Ensemble (Amateure aus der Großregion um Röttingen, die die professionellen Darsteller in den Ensemble-Szenen unterstützen: Manuela Hauck, Anja Höfling, Friederike Knauth, Lea Melber, Nicole Reißmann-Balling, Brigitte Schmitt, Lea Umscheid (die Tochter von Röttingens Bürgermeister) und Ulrike Ziegler) in einer Regenschirm-Choreografie auf der Bühne zu sehen. Glücklicherweise ist es während der besuchten Vorstellung trocken geblieben.

In einem seitlich vom Burghof angeordneten Orchesterraum bringt die sechsköpfige Band (Alexander „Aggi“ Berger (Drums), Werner Goldbach (Keyboard), Haiko Heinz (Gitarre), Christine Lochmann (Flöte, Saxophon), Walter Lochmann (Klavier, Keyboard), Chris Reiss (Bass-Gitarre)) unter der musikalischen Leitung von Walter Lochmann Frank Wildhorns Partitur zu Gehör, wobei Walter Lochmann die Arrangements an die vorliegenden Verhältnisse angepasst hat. Jeder dürfte leicht nachvollziehen können, dass eine sechsköpfige Band unmöglich den fulminanten Sound eines 25-köpfigen Orchesters erreicht, das 2007 unter der Leitung von Koen Schoots auf der Kasemattenbühne für eine beeindruckende Umsetzung gesorgt hat. Vielmehr hört man in den rockigeren Songs die zusätzliche Mitarbeit von Werner Stranka und Martin Gellner („beat4feet“) im Bereich des Sound-Designs heraus, und die reichlich vorhandenen Balladen gehen manches Mal stark in Richtung Chorgesang, für den sich Walter Lochmann einen Namen gemacht hat. Ob einem das bei Frank Wildhorn zusagt, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Bei der auf die Premiere folgenden besuchten Samstagsvorstellung waren ganze Tischreihen frei geblieben, daraus möge jeder seine eigenen Schlüsse ziehen. Es zeigt aber meines Erachtens, dass auf dem Land völlig andere Regeln gelten als in Wien, und dass ein in Musicalfankreisen bekanntes Stück und angesehene Darsteller hier noch lange kein Garant für ein ausverkauftes „Haus“ sind.

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