Richard O´Brien´s „The Rocky Horror Show“

Richard O´Brien´s „The Rocky Horror Show“; Musik, Gesangstexte und Buch: Richard O´Brien; Inszenierung: Reinhardt Friese; Choreografie: Barbara Manegold; Steppchoreografie: Bernd Paffrath; Ausstattung: Annette Mahlendorf; Dramaturgie: Christian Scholze; Musikalische Leitung: Tankred Schleinschock. Darsteller: Guido Thurk (Erzähler), Daniel Printz (Brad Majors), Michèle Fichtner (Janet Weiss), Léon van Leeuwenberg (Frank´n´Furter), Chris Murray (Riff Raff), Sophie Schmidt (Magenta/Platzanweiserin), Julia Panzilius (Columbia), Stefan Reil (Rocky Horror), Steffen Weixler (Eddie/Dr. Everett Scott), Vesna Buljevic, Nils Daub, Julia Gutjahr, Milena Hölter, Marina Odehnal, Bülent Özdil und Nele Swanton (Phantome). Lippe-Saiten-Orchester: Tankred Schleinschock (Klavier), Jürgen Knauz (Bass), Rudi Marhold (Schlagzeug), Claus Michael Siodmok (Gitarre), Klaus Dapper (Saxophon). Uraufführung: 19. Juni 1973, The Royal Court Theatre Upstairs, London. Deutschsprachige Erstaufführung: 20. Januar 1980, Grillo-Theater, Essen. Premiere: 14. Juni 2013, Marktplatz Castrop-Rauxel.



Richard O´Brien´s „The Rocky Horror Show“


Außerirdische vom Planet Transsexual bringen die BergArena auf der Halde Haniel zum Brodeln


Schachtanlage Franz Haniel

„Totems“ vom baskischen Maler und Bildhauer Agustín Ibarrola

BergArena auf der Halde Haniel

Sechs Jahre nach „Hair“ (Uraufführung 17. Oktober 1967, Anspacher Theatre, New York) entstand in London die makaber-unkonventionelle Show „The Rocky Horror Show“ – eine irrwitzige Parodie auf Horror- und Science-Fiction-Filme, Transvestiten, kleinbürgerliches Spießbürgertum und Rock´n´Roll-Musik der 1950er und 1960er Jahre. Und obwohl diese stellenweise die Grenzen des guten Geschmacks überschritt, wurde sie nach der Premiere auf der Studiobühne des Royal Court Theatres in London und mehrfachem Theaterwechsel allein in England 2.960 Mal aufgeführt. Am Broadway (Premiere 10. März 1975, Belasco Theatre) geriet das Werk mit nur 45 Vorstellung zu einem veritablen Flop, obwohl es zuvor am Roxy Theatre in Los Angeles (Premiere 24. März 1974) neun Monate erfolgreich gezeigt wurde, entwickelte sich aber seit der Verfilmung als „The Rocky Horror Picture Show“ (1975) zu einem international erfolgreichen Kult-Musical, das Dank seiner unverholenen Botschaft und der exzessiv-voyeuristischen Präsentation eine vorwiegend jüngere Fangemeinde gefunden hat. Seine Faszination und Wirkung auf das Publikum sind unvergleichlich.

Den Wissenschaftler Dr. Frank N. Furter als exzentrisch zu bezeichnen, wäre noch untertrieben. Die Wirkung seiner hemmungslosen Gier nach seelischer und körperlicher Erfüllung erleben die frisch und vorerst glücklich verlobten Brad Majors und Janet Weiss nach einer schicksalhaften Reifenpanne an einem verregneten Herbstabend. In dem Schloss, in dem sie nach Hilfe suchen, erleben sie statt des erhofften Telefongesprächs die Nacht ihres Lebens. Kaum haben sie sich mit der verstörenden Tatsache arrangiert, von Außerirdischen des Planeten Transsexual aus der Galaxie Transylvania umgeben zu sein, müssen sie die Geburt des unwiderstehlichen Retortenwesens Rocky miterleben. Im Laufe der folgenden Feierlichkeiten erlebt das Paar Verführungen, die jede Vorstellung sprengen, die ihr Bewusstsein in ungeahnte Galaxien schicken, sie zu neuen Menschen machen. Als der an den Rollstuhl gefesselte Wissenschaftler Dr. Everett Scott auf der Suche nach seinem vermissten Neffen Eddie im Schloss auftaucht, wittert Frank ein Komplott gegen ihn, fesselt die drei Besucher elektronisch an den Boden und inszeniert ein groteskes Bühnen-Happening. Das makabere Geschehen kommt zu einem abrupten Ende, als Riff Raff als Oberhaupt der Außerirdischen und Magenta in Raumanzügen auftauchen und Frank wegen seiner übermäßigen Dekadenz töten. Während die Außerirdischen bereits ins galaktische Transylvanien abheben, können Brad und Janet soeben noch entkommen.

Im Rahmen von „Bühne raus…!“ des Westfälischen Landestheaters Castrop-Rauxel erlebte das erfolgreiche Musical aus der Feder von Richard O´Brien in der Inszenierung von Reinhardt Friese mit dem Lippe-Saiten-Orchester unter der Musikalischen Leitung von Tankred Schleinschock am 14. Juni 2013 auf dem Altstadt-Marktplatz in Castrop-Rauxel seine Premiere. Als Gäste verstärken Michèle Fichtner (Janet Weiss), Léon van Leeuwenberg (Frank´n´Furter), Chris Murray (Riff Raff), Stefan Reil (Rocky Horror) und die beiden Jazz und Modern Dance Tänzerinnen Milena Hölter und Marina Odenahl vom TSC Blau-Gold Castrop-Rauxel die beiden Ensembles (Kinder- und Jugendtheater und Abendtheater) des Westfälischen Landestheaters Castrop-Rauxel. Vom 26. bis 30. Juni 2013 gastiert das Westfälische Landestheater mit seiner Produktion in der BergArena auf der Halde Haniel in Bottrop.

BergArena auf der Halde Haniel

Die BergArena auf der Halde Haniel in Bottrop – eine Bergehalde der aktiven Steinkohlezeche Prosper-Haniel – wurde 1999 für rund 800 Zuschauer errichtet. Von der 184,9 Meter über NN hohen Halde reicht der Blick bei gutem Wetter über Bottrop, Oberhausen, das westliche Ruhrgebiet und sogar bis zu den Ausläufern des Münsterlandes. 2002 hat der baskische Maler und Bildhauer Agustín Ibarrola aus über einhundert bunt gestalteten Eisenbahnschwellen die Installation „Totems“ geschaffen. Veranstaltungen in der BergArena sind längst Kult, im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 fand hier eine Neuinszenierung von Giuseppe Verdis Oper „Aida“ unter der künstlerischen Leitung des Bottroper Regisseurs Thomas Grandoch statt. Die BergArena ist dieses Jahr ebenfalls Spielstätte der Ruhrtriennale, und auch die vom Kulturamt der Stadt Bottrop veranstalteten Aufführungen von Richard O´Brien´s „The Rocky Horror Show“ des Westfälischen Landestheaters waren bereits frühzeitig ausverkauft.

BergArena auf der Halde Haniel

Mit modernen Stadtlinienbus wurden die Besucher vom Parkplatz an der Schachtanlage Franz Haniel auf der Panorama-Straße zur BergArena auf der Halde gefahren. Maja Brüggemeier und Werner Bartelt-Brüggemeier vom Bottroper Figurentheater „Sonstwo“ verkürzten den Zuschauern mit ihren Walk Acts die Wartezeit bis zum Vorstellungsbeginn. Das Wetter konnte man am 26. Juni 2013 mit Temperaturen um die 14 °C eher als herbstlich bezeichnen, glücklicherweise blieb es während der gesamten Vorstellung trocken, wenn man von dem üblichen „Regen“ aus den Wasserpistolen absieht, der bei „The Rocky Horror Show“ einfach Kult und wie das Werfen von Reis und Klopapierrollen in den entsprechenden Szenen fester Bestandteil einer jeden Aufführung der unkonventionellen Show ist.

Ensemble

Regisseur Reinhardt Friese, seit der Spielzeit 2012/2013 Intendant des Städtebundtheaters Hof, hat „The Rocky Horror Show“ bereits am Hessischen Staatstheater Wiesbaden (Premiere 29. August 1999) inszeniert und orientiert sich an der Kinofassung „The Rocky Horror Picture Show“, dabei wird er von Bühnen- und Kostümbildnerin Annette Mahlendorf unterstützt, die das abstrakte Bühnenbild in Form eines Filmstreifens gestaltet hat, der die Spielfläche mit den Perforationsrändern quasi einrahmt. Die aufklappbare, weiße Rückwand kann auch als Projektionsfläche genutzt werden, wenn es dann dunkel wäre wie beispielsweise bei Indoor-Vorstellungen, der Band hat sie ihren Platz auf einem Podest oberhalb der Spielfläche zugedacht. In der BergArena wurde auf die Montage dieses Podestes verzichtet, um der Gefahr durch Windböen auf der zugigen Halde vorzubeugen. Stattdessen spielt die Band hier auf der Ladefläche eines seitlich hinter der Bühne abgestellten Lastkraftwagens. Größere Requisiten wie das Bücherregal des Erzählers werden jeweils von der Seite auf die Spielfläche geschoben. Auch ihre bizarr schrillen Kostüme mit Ausnahme von Magenta und Riff Raff als Aliens hat Annette Mahlendorf an den Film angelehnt, ohne jedoch eine bloße Kopie abzuliefern.

Michèle Fichtner (Janet Weiss), Julia Panzilius (Columbia), Léon van Leeuwenberg (Frank´n´Furter), Chris Murray (Riff Raff) und Sophie Schmidt (Magenta)

Das gesamte Ensemble lieferte trotz herbstlicher Temperaturen und teilweise spärlicher Bekleidung eine grandiose Performance und konnte das Publikum bereits mit der Ouvertüre für sich gewinnen. Man könnte auch ohne Übertreibung von einem Happening sprechen, das in der BergArena zelebriert wurde. Ohne damit die Leistung der übrigen Darsteller schmälern zu wollen, seien an dieser Stelle Chris Murray als buckliger Butler Riff Raff, Léon van Leeuwenberg als dekadenter Transvestit Frank´n´Furter, Daniel Printz und Michèle Fichtner als Brad Majors und Janet Weiss, Stefan Reil als Rocky Horror, Steffen Weixler in der Doppelrolle Eddie/Dr. Everett Scott) sowie Sophie Schmidt als Magenta/Platzanweiserin und Julia Panzilius als Columbia genannt. Léon van Leeuwenberg kennt man eher in Rollen wie Kaiser Franz Joseph in „Elisabeth“, Amos Hart in „Chicago“ oder Bap in „We Will Rock You“, hier beweist er als Frank´n´Furter Wandlungsfähigkeit, wobei er die Figur weniger schrill anlegt als beispielsweise Tim Curry und ihr so seine persönliche Note verleiht. Chris Murray mag zwar die kleinere Rolle und weniger zu singen haben, aber darstellerisch stellt er seinen „Meister“ mit der Interpretation des Butlers beinahe in den Schatten. Michèle Fichtner vollführt glaubhaft die Wandlung vom schüchternen Mauerblümchen zum sexbesessenen Vamp, und auch Daniel Printz lässt die Wandlung vom Spießer zum Lüstling nachvollziehen, wenn beide schließlich lustvoll bei Franks inszeniertem Bühnen-Happening in High-Heels und Strapsen mittanzen. Stefan Reil sieht nicht nur gut aus, sondern kann – anders als Peter Hinwood, der Darsteller des Rocky in der „Rocky Horror Picture Show“, dessen Part vom australischen Sänger Trevor White synchronisiert wurde – auch gesanglich in seiner Rolle überzeugen. Barbara Manegold hat in Anlehnung an die Kinofassung „The Rocky Horror Picture Show“ ebenfalls Rock´n´Roll-Sequenzen mit Hebungen und eben jene Stepptanz-Nummer (Steppchoreografie Bernd Paffrath) im „Time Warp“ in ihre Choreografie aufgenommen, in der Columbia solistisch im Vordergrund steht. Schauspielerin Julia Panzilius meistert diesen Part mit Bravour, obwohl sie erst wenige Wochen vor Probenbeginn begonnen hat, zu steppen. Respekt!

BergArena auf der Halde Haniel

Zum Schluss hielt es wirklich niemanden mehr auf seinem Platz, und bei den beiden Zugaben „Hot Patootie – Bless My Soul“ und „The Time Warp“ wurde noch einmal richtig Stimmung gemacht. Eigentlich schade, dass die ersten Zuschauer schon währenddessen die BergArena verlassen haben, um auch ja den ersten Shuttlebus zurück zum Parkplatz an der Schachtanlage Franz Haniel zu erwischen. Das Westfälische Landestheater Castrop-Rauxel zeigt Richard O´Brien´s „The Rocky Horror Show“ in der Spielzeit 2013/2014 noch etliche Male an unterschiedlichen Stellen, bisher sind Vorstellungen bis Ende Mai 2014 disponiert.

BergArena auf der Halde Haniel nach der Vorstellung

Schachtanlage Franz Haniel

Szenenfotos zu der Aufführung kann man sich hier anschauen.