„LUTHER! Rebell wider Willen“

„LUTHER! Rebell wider Willen“ – Auftragswerk des Landestheaters Eisenach zur Lutherdekade; Musik: Erich Adalbert Radke; Libretto, Inszenierung: Tatjana Rese; Mitarbeit Libretto: Matthias Eckoldt; Choreografie: Ricardo Fernando; Bühne: Christian Rinke; Kostüme: Pia Wessels; Video-Design: Thomas Wolter; Dramaturgie: Carsten Kochan; Musikalische Leitung: Carlos Chamorro Moreno/Mariano Domingo. Darsteller: Matthias Jahrmärker (Martin Luther), Stefan Poslovski (Der Teufel als Bergmönch, Tetzel, Polizeihäscher, Bürger in Worms, Nonne), Tomasz Dziecielski (Schriftgießer Stephan), Jannike Schubert (Heilige Anna, Schutzpatronin der Bergleute/Nonne Theresa/Katharina von Bora, die Ehefrau des Reformators), Alexander di Capri (Lucas Cranach), Michael Brieske (Hans Luder, Martins Vater/Reitender Bote/Bürger in Worms), Maciej Salamon (Generalvikar Johann von Staupitz, Luthers Beichtvater/Bürger Markt/Drucker/Graf Ludwig), Maximilian Nowka (Jahnn Zacke)/Mönch im Augustinerorden/Päpstlicher Nuntius), Jens-Uwe Richter (Mönch im Augustinerorden/Scherge/Sohn in Stephans Theatertruppe/Lorenzo Cambeggi), Gero Wendorff (Mönch im Augustinerorden/Scherge/Stadtpfarrer Bugenhagen/Sohn in Stephans Theatertruppe/Kardinal Adrian von Utrecht), Roman Weltzien (Bettelmönch/Drucker/Sohn in Stephans Theatertruppe/Kaiser Karl V.), Janina Moser (Drucker/Nonne/Mutter Eva in Stephans Theatertruppe/Rat des Herzogs von Bayern), Monika Dehler (Nonne/Sohn in Stephans Theatertruppe/Bischof von Köln), Gregor Nöllen (Cranachs Meisterschüler), Susanne Müller (Bürgerin in Worms), Tänzerinnen und Tänzer des Balletts des Landestheaters Eisenach u. a. Uraufführung: 15. Juni 2013, Landestheater Eisenach.



„LUTHER! Rebell wider Willen“


Musical-Uraufführung zur Lutherdekade am Landestheater Eisenach


Alexander di Capri (Lucas Cranach) und Matthias Jahrmärker (Martin Luther); © Christian Brachwitz

Am 31. Oktober 1517 soll Martin Luther (* 10. November 1483 in Eisleben, † 18. Februar 1546 in Eisleben) seine 95 Thesen gegen den Missbrauch des Ablasses am Hauptportal der Schlosskirche in Wittenberg angeschlagen haben. Am 31. Oktober 2017 jährt sich der Thesenanschlag zum 500. Mal. Aus dem Grund wird von 2008 bis 2017 die Lutherdekade „Luther2017 – 500 Jahre Reformation“ begangen. Das Landestheater Eisenach hat zur Lutherdekade das Musical „LUTHER! Rebell wider Willen“ in Auftrag gegeben, das vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert und ausschließlich in und für Eisenach produziert wird. Die Komposition stammt von Erich Adalbert Radke, das Libretto hat Tatjana Rese geschrieben, die auch Regie führt. Fünf Jahre nach „Martin L.“ von Gisle Kverndokk (Musik) und Øystein Wiik (Libretto) mit Yngve Gasoy-Romdal in der Titelrolle (Uraufführung 5. Juli 2008, Domstufen-Festspiele Erfurt, Regie Matthias Davids) erscheint der Reformator erneut auf der Musicalbühne, „LUTHER! Rebell wider Willen“ feierte am 25. Juni 2013 im Landestheater Eisenach seine Uraufführung. Danach steht es in dieser Spielzeit bis zum 14. Juli 2013 jeweils freitags bis sonntags sowie am Donnerstag, 4. Juli auf dem Spielplan und soll in den Folgejahren bis zum Ende der Lutherdekade 2017 regelmäßig aufgeführt werden.

Matthias Jahrmärker (Martin Luther) und Stefan Poslovski (Teufel), Tänzerinnen und Tänzer des Balletts Eisenach (Berggeister); © Christian Brachwitz

Das Musical zeigt den Menschen Martin Luther in einer Zeit des Auf- und Umbruchs. Das Mittelalter liegt in den letzten Zügen, mit dem Buchdruck entsteht ein völlig neues Kommunikationssystem, das die weitere Entwicklung in den europäischen Gesellschaften wesentlich prägen wird. „LUTHER! Rebell wider Willen“ begleitet Martin Luther in jenen Abschnitten seines Lebens, die für seine Wandlung vom Theologen zum Rebellen eine entscheidende Rolle gespielt haben: als jungen Studenten, der, am 2. Juli 1505 von einem fürchterlichen Gewitter auf einem freien Feld bei Stotternheim heimgesucht, entscheidet, nicht Jurist, sondern Mönch zu werden; als Bruder Martinus im Kloster der Augustiner-Eremiten zu Erfurt; als Doktor Luther in Wittenberg; als Theologe auf dem Reichstag zu Worms, wo Kaiser Karl V. am 26. Mai 1521 im Wormser Edikt die Reichsacht über ihn verhängt; als Junker Jörg auf der Wartburg und als alter, sterbender Mann. Eine Rahmenhandlung strukturiert das Geschehen: Der alte Martin Luther sitzt im Atelier seines Freundes Lucas Cranach (* um 1475 in Kronach, Oberfranken, † 16. Oktober 1553 in Weimar), der ein neues Bild von ihm gestalten will. In dieses Bild will der Maler den „ganzen“ Luther hineinbringen, mit all seiner Wut, seinen Kämpfen, seinen Ängsten: Ein Lebensbild soll es werden. Die Sitzungen der beiden Freunde im Atelier sind Ausgangspunkt einer sehr persönlichen Lebensbetrachtung, in die die genannten biografischen Abschnitte einfließen.

Michael Brieske (Vater Luder), Matthias Jahrmärker (Martin Luther), Ensemble; © Christian Brachwitz

Komponist Erich Adalbert Radke hat für „LUTHER! Rebell wider Willen“ eine durchkomponierte Partitur geschaffen, einzig die Szene im Reichstag zu Worms ist eine reine Sprechszene. Stilistisch spannt die Musik den Bogen von der Renaissance bis zur Gegenwart, von der Tonsprache der Folklore über die der Klassik bis zu Jazz, Rock und Pop. Zu hören sind sowohl große Ballett-Musiken als auch innige Soli und Duette, große dramatische Chöre, harte Rocknummern und tanzbare Beats. Erich A. Radke wollte den Stoff in seiner eigenen Musiksprache erzählen, dabei hat er durchaus gefällige Kompositionen geschaffen, die aber ein wenig den Ohrwurmcharakter vermissen lassen. Zumindest ging es mir am Premierenabend so. Stattdessen gibt es Luthers für den Protestantismus symbolträchtigen Choral „Eine feste Burg ist unser Gott“, und das gleich mehrfach, zu guter Letzt von Tomasz Dziecielski als Schriftgießer Stephan mit einem Handmikrofon in einer Rockversion performt. Librettistin Tatjana Rese hat viele bekannte Zitate Luthers in ihr Libretto einfließen lassen. Sie liefert keine theologische Auseinandersetzung mit dem Reformator, sondern für sie steht der Mensch Martin Luther im Fokus, der nicht als Held in die Geschichte eingreift, sondern weil er seinen theologischen Ansprüchen treu bleiben will und dabei seinem Gewissen und seinem Vertrauen auf Gott folgt.

Jannike Schubert (Heilige Anna) und Matthias Jahrmärker (Martin Luther); © Christian Brachwitz

Tatjana Rese ist auch der Legendenbildung nachgegangen und hat eigene Interpretationen der Überlieferungen wie beispielsweise des Thesenanschlags in Wittenberg oder des Schlussworts Luthers auf dem Reichstag zu Worms gefunden. Sie lässt den Reformator seine 95 Thesen nicht eigenhändig an die Tür der Wittenberger Schlosskirche anschlagen, sondern „vom Himmel fallen“ (aus dem Rang ins Parkett), einzelnen auf Papier gedruckt und durch lautes Zählen des Opernchores des Südthüringischen Staatstheaters Meinigen als Einspielung begleitet… das zieht sich. Aus der Perspektive des alten Martin Luther als Modell in Cranachs Atelier spannt Tatjana Rese einzelne exemplarische Stationen seines Lebens als Bilderbogen auf. Neben den bereits genannten biografischen Stationen Stotternheim, Erfurt, Wittenberg, Worms und Eisenach darf auch Luthers Kindheit in Mansfeld und natürlich die Hochzeit mit der ehemalige Nonne Katharina von Bora am 27. Juni 1525 nicht fehlen. Neben den historisch verbürgten Personen agieren auch allegorische und fiktive Figuren: Die Heilige Anna als Schutzpatronin der Bergleute erscheint dem jungen Martin Luther ebenso wie der Teufel, der ihn nicht nur auf der Wartburg in Eisenach, sondern – in Gestalt eines Berggeistes, als Ablasshändler Johann Tetzel, Polizeihäscher, Bürger in Worms, aber auch im Gewand einer Nonne – auch andernorts immer wieder heimsucht.

Stefan Poslovski (Johann Tetzel), Ensemble; © Christian Brachwitz

Der klassisch ausgebildete Bariton Matthias Jahrmärker, dessen musikalische Liebe dem Ensemblegesang gilt, ist in der Titelrolle des Reformators mit den ihm zugedachten Luther-Chorälen bestens aufgehoben und meistert seine Partie mit Bravour. Tenor Stefan Poslovski gibt als Teufel in Gestalt eines Berggeistes, Ablassprediger Johann Tetzel, Polizeihäscher, Bürger in Worms und sogar im Gewand einer Nonne Luthers Widersacher, seinem als Ablasshändler angepriesenen einfachen Ablass für Singles, dem Ehegatten-Doppelpack oder dem Rundum-sorglos-Paket ist eine gewisse Theatralik nicht abzusprechen: „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt.“ Tenor Tomasz Dziecielski spiegelt als Schriftgießer Stephan, ein fiktiver Zeitgenosse Luthers und großer Opportunist, das Zeitkolorit wider und soll am Ende des zweiten Aktes mit der Rockversion von „Eine feste Burg ist unser Gott“ das Luther-Wort in die heutige Zeit weitergeben. Mezzo-Sopranistin Jannike Schubert, die als Musicaldarstellerin seit der Spielzeit 2011/12 zum Ensemble des Jungen Schauspiels Eisenach gehört, ist als Heilige Anna, Schutzpatronin der Bergleute, Nonne Theresa und ehemalige Nonne Katharina von Bora, die Ehefrau des Reformators, zu sehen und mir ein wenig blass in Erinnerung. Sie wurde nämlich vom jeweiligen Bühnenbild wie der überdimensionalen Frauenfigur, aus der heraus sie als Heilige Anna auftritt, bzw. der Videoinstallation mit den Schmetterlingen nach der Hochzeit von Katharina von Bora und Martin Luther ein wenig in den Schatten gestellt. Tenor Alexander di Capri ist in Gestalt des Malers und Grafikers Lucas Cranach als Wittenberger Nachbar und Freund ein wichtiger und stimmgewaltiger Gesprächspartner für Martin Luther.

Jannike Schubert (Katharina von Bora) und Matthias Jahrmärker (Martin Luther); © Christian Brachwitz

Das Bühnenbild von Christian Rinke ist ansprechend und abwechslungsreich, die verschiedenen Stationen werden durch zeichenhafte Objekte versinnbildlicht, die das Zentrum der jeweiligen Szene bilden. So steht beispielsweise ein Bohrturm als Symbol für den Kupferschieferbergbau in Mansfeld, wo Luther einen großen Teil seiner Kindheit verbracht hat, ein großes Kirchenportal für Luthers Wirken als Theologe und Pfarrer, eine Druckmaschine für die Verbreitung seiner Ideen und Gedanken, ein großes brennendes Holzkreuz für den reformatorischen Bildersturm, den Luther selbst verurteilte, und natürlich die Schreibstube für seine Zeit als Junker Jörg auf der Wartburg. Thomas Wolter unterstützt mit seiner Videoinstallation, die sich stark an den Bildern von Lucas Cranach orientiert, das Geschehen. Ausgangspunkt ist die Rahmenhandlung in Cranachs Atelier, in dem das Gemälde von Luther entsteht. Kostümbildnerin Pia Wessels setzt mit ihren opulent gestalteten mittelalterlichen Kostümen dem Ganzen optisch das i-Tüpfelchen auf.

Alexander di Capri (Lucas Cranach, Mitte), Matthias Jahrmärker (Martin Luther, vorn) und Ensemble; © Christian Brachwitz

Ricardo Fernando, seit 2004 Ballettdirektor des balletthagen, hat das 16-köpfige Ballettensemble des Landestheaters Eisenach in seiner Choreografie mit stilistischen Elementen vom zeitgenössischen Tanz bis zum Neoklassizismus schlüssig in die Handlung integriert, in zwei Szenen mit großen Tanznummern fungieren die Tänzerinnen und Tänzer des Balletts als Protagonisten. Eine dieser Szenen ist der Totentanz, der als Albtraum Luthers dessen eigene Auseinandersetzung mit dem Todesgedanken und der immer wieder in seinem Leben auftauchenden Stimmung von Enttäuschung und Entmutigung reflektiert. Die Landeskapelle Eisenach mit komplettem Streichersatz, Holz- und Blechbläsern und Orchester-Percussion –ergänzt um eine Rock-Band – bringt Erich A. Radkes Komposition unter der Musikalischen Leitung von Carlos Chamorro Moreno fulminant zu Gehör. Lediglich der Chorgesang des Opernchores des Südthüringischen Staatstheaters Meinigen wurde vorproduziert und wird vom Band zugespielt.

Matthias Jahrmärker (Martin Luther); © Christian Brachwitz

Nach etwa zweidreiviertelstündiger Uraufführung gab es vom Premierenpublikum langanhaltenden Applaus für Darsteller und Kreativteam und dementsprechend sogar noch eine Zugabe. „LUTHER! Rebell wider Willen“ ist in der laufenden Spielzeit noch bis zum 14. Juli 2013 zu sehen und soll im kommenden Jahr vom 21. Juni bis 13. Juli 2014 wiederaufgenommen werden.

Die Darsteller im Anschluss an die Uraufführung vor dem Landestheater Eisenach

Landestheater Eisenach

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