„Spring Awakening (Frühlings Erwachen)“: Ein Rückblick

Anna Preckeler und Inga Krischke im Gespräch

Am 28. April 2013 ging im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen die letzte von insgesamt 25 Vorstellungen der diesjährigen Abschlussproduktion des Studiengangs Musical der Folkwang Universität der Künste über die Bühne. Zeit für eine kleine Rückschau.
Anna Preckeler und Inga Krischke studieren im vierten bzw. dritten Jahrgang Musical und haben im Stück die Rolle der Ilse bzw. Thea gespielt. Sie standen beide bereits in ver­schie­denen Musicalproduktionen am Musiktheater im Revier auf der Bühne, z. B. „Street Scene“ (Premiere: 22. September 2012, Regie Gil Mehmert) oder „Die Hexen von Eastwick“ (Deutsch­sprachige Erstaufführung: 9. Juni 2012, Regie Gil Mehmert). Anna Preckeler wurde noch während ihrer Schulzeit als Jungstudentin an der Musikhochschule Münster aufgenommen und studierte dort 5 Semester klassischen Gesang, bevor sie 2010 ihr Musicalstudium an der Folkwang Universität der Künste begonnen hat. Inga Krischke hat bereits vor ihrem Musicalstudium in Hildesheim Bühnenluft geschnuppert und in „Fame – Das Musical“ (Premiere: 13. Juni 2009, Inszenierung James Daniel Frost/Simon Böker), einer Aufführung des Jugendchores des Theaters für Niedersachsen, die Rolle der Carmen Diaz gespielt.

Inga Krischke (Thea) und Anna Preckeler (Ilse)

Kennt Ihr die Wiener Inszenierung „Frühlings Erwachen – Das Rock-Musical“, in der Wolfgang Türks die Rolle des Moritz Stiefel gespielt hat?
Anna: Nein, leider habe ich es damals nicht gesehen!
Inga: Ich kannte nur die CD-Aufnahme, habe es aber leider nicht sehen können. Als ich Wolfgang dann das erste Mal kennenlernte, kam mir seine Stimme irgendwie bekannt vor. Aber erst nach einiger Zeit ist mir dann aufgefallen, dass ich sie von der Aufnahme kannte.

Wie habt Ihr Euch auf das Projekt vorbereitet? Wie schwierig oder einfach ist es, sich in Heranwachsende in der wilhelminischen Zeit zu versetzen?
Anna: Ich habe natürlich zuallererst einmal das Stück „Frühlingserwachen“ von Wedekind gelesen, sodass ich allein durch das Schauspielstück einen sehr detaillierten Einblick in die Handlung von „Spring Awakening“ erhalten habe. Die Rollen werden in Wedekinds Stück viel ausführlicher gezeichnet, haben einen stärkeren Charakter als im Musical, mehr Raum.
Wir haben in einem Workshop zusammen mit Wolfgang Türks und Kati Farkas Ausschnitte aus „Frühlingserwachen“ gelesen. Wir haben über unsere eigene Pubertät nachgedacht, versucht uns wieder zurückzuversetzen und so die Gefühle eines Heranwachsenden neu zu entdecken.
Ich denke, dass sich die Jugendlichen damals und auch heute dem Thema Sexualität mit einer gewissen Angst/Scheu nähern. Fragen wie zum Beispiel „Wie fühlt sich der erste Kuss an? Was muss ich tun, wenn ich das erste Mal Geschlechtsverkehr habe? Was passiert mit meinem Körper?“, stellen sich auch in heutiger Zeit. Scham ist immer ein Thema, welches eng mit aufblühender Sexualität verbunden ist.
Inga: Wie Anna schon sagte, haben wir schon im Dezember in einem Workshop begonnen uns mit den Fragen zu beschäftigen, die man sich in der Pubertät häufig stellt. Dabei sind wir zunächst von unseren eigenen Erfahrungen ausgegangen und haben versucht uns in unsere eigene Pubertätsphase zurück zu versetzen, um nachzufühlen, wie sich das damals angefühlt hat. Erst im Laufe der Probenphase haben wir uns dann daran getastet, wie es zusätzlich in der wilhelminischen Zeit gewesen sein muss.
Unter anderem hat mir dabei auch das Hintergrundmaterial über diese Zeit geholfen, das uns unsere Dramaturgin zusammengestellt hatte.

„Spring Awakening“ ist als Abschlussproduktion an Hochschulen sehr beliebt, auch die Bayerische Theaterakademie August Everding (Premiere: 29. Juni 2011 am Deutschen Theater München, Regie: Matthias Davids) und die Hochschule Osnabrück/German Musical Academy (Premiere: 30. Dezember 2011 am emma-theater in Osnabrück, Regie: Sascha Wienhausen) haben das Musical mit ihren Studierenden bereits gezeigt. Was ist für Euch das Besondere an diesem Stück?
Anna: Für mich spricht die Thematik des Stücks, Jugendliche, die sich selbst entdecken, die heranwachsen und sich Neuem gegenübersehen und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, jedwede Altersklassen an. Im Musical „Spring Awakening“ gibt es zwei verschiedene Ebenen, zum einen die Songs, die in der heutigen Zeit platziert sind und so auch die Jugend von heute erreichen, zum Anderen die Schauspielszenen, die zur Wende des 19. Jahrhunderts spielen und so eine Zeit verkörpern, in der Sexualität ein äußerst brisantes, nahezu verpöntes, verschwiegenes Thema war. Gerade diese Brisanz erreicht vor allem die ältere Generation, die sich bestimmt in Vielem wiederfindet.
Ich finde „Spring Awakening“ schafft es, dass die Musik ein notwendiges Ausdrucksmittel für die Darsteller wird. Szenen werden gespielt, gesteigert bis das Wort nicht mehr ausreicht um das Geschehene zu erklären, sodass die Musik als nächste Ebene erreicht wird und so die Welten von damals und heute verbunden werden und ein stimmiges Bild entsteht.
Wir haben mit diesem Stück berührt, und zwar nicht nur uns selbst. Allzu oft habe ich im Publikum Menschen gesehen, die sich Tränen aus den Augen wischten, ob vor Freude und Trauer. Und genau das hat es für mich besonders gemacht, dieses Stück zu spielen.
Inga: Das Besondere für mich ist, dass es sich meiner Meinung nach um kein „typisches“ Musical handelt. Das beziehe ich sowohl auf die Musik als auch auf den Inhalt. Das habe ich oft auch als Resonanz vom Publikum zu hören bekommen. Viele waren begeistert, dass sie mal eine andere Art von Musical zu sehen und hören bekommen haben. Mir gefällt, dass diese Show beweist, dass Musical nicht bloß „seichte Unterhaltung“ sein muss. Was dem Musical ja oft nachgesagt wird. Das Stück besitzt eine emotional sehr berührende Tiefe und diese wird von der Musik mit abwechslungsreichen und starken Rhythmen und Melodien unterstützt. Die Jugendlichen durchleben wirklich heftige Konflikte sowohl im Umgang mit den Erwachsenen als auch vor allem mit sich selbst. Das macht das Stück spannend und gibt ihm eine Dringlichkeit, die das Publikum mit durchlebt.

Wie habt Ihr die Zusammenarbeit mit Wolfgang Türks als Regisseur und Kati Farkas als Choreografin in der Probenphase erlebt?
Anna: Die Zusammenarbeit mit Wolfgang war ein Genuss. Wolfgang wusste, wo seine Inszenierung hinführen sollte, hat uns aber den nötigen Raum gelassen, um unsere Figuren selbst zu finden. Ich habe mich nie alleingelassen gefühlt, hatte aber die Freiheit allein zu entscheiden, wohin die Rolle der Ilse mich führt.
Kati hat eine fantastische Arbeit geleistet. Sie hat die Choreographien mit uns zusammen entwickelt, hat daher sehr eng mit uns und an uns dran gearbeitet. Bei der Choreographie zu „Spür mich“ zum Bespiel, haben wir eine Art Zeichensprache entwickelt, die wir uns selbst ausgedacht und dann mit ihr verfeinert und auf die Bühne gebracht haben. Dadurch habe ich bei diesem Stück immer wieder das Gefühl, ich tanze nicht irgendeine, sondern stückweit meine eigene Choreographie.
Inga: Ich kann mich Anna nur anschließen. Die Arbeit mit den beiden war sehr angenehm und hat vor allem unheimlich Spaß gemacht. Sie haben uns viele Möglichkeiten gegeben, das Stück selbst mit zu entwickeln, uns aber nicht allein gelassen. Die beiden haben als Team toll funktioniert und uns viel Energie geben können.

Eine Tour mit 12 Vorstellungen an 12 aufeinanderfolgenden Tagen an 11 unterschiedlichen Orten stelle ich mir sehr anstrengend vor. Wie habt Ihr das empfunden? Wie war das organisiert, habt Ihr einen Tourbus bekommen? Und Roadies, die für den Auf- und Abbau der Bühne zuständig waren?
Anna: Die Tour war super organisiert. Ich habe es mir viel anstrengender vorgestellt, als es letztlich war. Wir hatten einen Tourbus (ein normaler Reisebus, der aber ausreichend Platz bot, sodass es eigentlich ganz bequem war), der von unserem Tourneeleiter Dirk gefahren wurde. Der Bus ist morgens nach dem Frühstück losgefahren, ca. drei bis vier Stunden zur nächsten Spielstätte. Dort haben wir erstmal die Hotelzimmer bezogen. Dann hatten wir meistens noch zwei bis drei Stunden Zeit zu verschnaufen, zu essen, etc. Danach ging es schon ab ins Theater: kurze Bühnenbegehung, Maske, Soundcheck, Vorstellung. Bei der Ankunft im Theater war immer alles fertig aufgebaut und eingerichtet (Garderoben, Bühne, Maske), sodass wir uns auf die Vorstellung konzentrieren konnten.
Da unsere Bühne (die Schräge, der Baum, die Tafel usw.) überall wieder aufgebaut wurde, war es nicht besonders schwer sich in den einzelnen Theatern zurecht zu finden. Lediglich die Auf-und Abgänge mussten kurz von jedem überprüft werden, damit es zu keinen Kollisionen kommt.
Inga: Wie Anna es schon beschrieben hat war unser Tagesablauf auf der Tournee sehr gut strukturiert. Um die Organisation mussten wir uns absolut keine Sorgen machen und dadurch war die Zeit sehr angenehm. Wir konnten uns auf die Planung unseres Tourneeleiters Dirk super verlassen und uns somit voll und ganz auf die Shows konzentrieren. Auf den Busfahrten wurde viel gespielt und rumgealbert, und an den Raststätten haben wir uns des öfteren beim Kicken oder Volleyball Spielen ausgetobt. Wir hatten wirklich sehr viel Spaß. Und natürlich war es auch anstrengend, aber wir sind als Gruppe sehr schnell zusammen gewachsen, nicht nur die Darsteller, sondern auch die Bandmitglieder. Ich denke, das war ein entscheidender Grund, warum wir die Tournee als so entspannt empfunden haben. Ein gutes Klima macht viel aus.

Gab es auf der Tour auch lustige Pannen, fehlte plötzlich die Tafelkreide auf der Bühne, oder ist dem Tourbus das Benzin ausgegangen?
Anna: Natürlich gab es kleine Pannen. Ich glaube, das Beste ist Angelo passiert. Moritz bekommt am Ende des 1. Aktes von Fräulein Knüppeldick einen Umschlag mit einem Brief, der besagt, dass er durch die für die Versetzung notwendige Prüfung durchgefallen ist. Leider fehlte bei einer Vorstellung der Brief, sodass er den Umschlag bespielen musste, was ihm aber zweifellos gelungen ist.
Inga: Richtige Pannen sind uns nicht passiert, außer kleine Geschichten wie die mit Angelos Brief. Solche kleinen lustigen Pannen gab es sicher einige. Aber durch die gute Organisation verlief eigentlich alles sehr reibungslos.

Die Tour reichte von Stade im Norden bis nach Rosenheim im Süden Deutschlands und sogar nach Schaffhausen in der Schweiz. Gab es regional unterschiedliche Reaktionen des Publikums? Bei der Premiere waren sehr viele junge Leute in der Vorstellung. War das bei allen Aufführungen auch auf der Tour der Fall?
Anna: Ja, es gab durchaus unterschiedliche Reaktionen. Besonders bei der Masturbationsszene von Hänschen und der Schwulenszene zwischen Hänschen und Ernst kam es in den eher konservativen Bundesländern wie Bayern und Baden-Württemberg zu viel Getuschel hinter vorgehaltener Hand, bis hin zu Augenverdrehen und Kopfschütteln (ich konnte das in der Schwulenszene sehr genau beobachten, da ich an der Bühnenkante sitze, den Blick ins Publikum gerichtet). In vielen Orten war besonders das Abo-Publikum mittleren Alters in den Vorstellungen, der Jugendanteil war bei weitem nicht so hoch wie in Gelsenkirchen.
Inga: Ich habe es so empfunden, dass die Reaktionen des Publikums weniger von der Region abhängig waren, als vom Altersdurchschnitt der Zuschauer in den verschiedenen Theatern. Waren mehr junge Zuschauer in den Vorstellungen, waren diese schon merklich „lebhafter“. Was aber nicht heißen soll, dass die älteren Zuschauer weniger begeistert waren. Bei einigen Vorstellungen dachten wir während der Show, dass das Publikum ziemlich verhalten sei, und dann wurden wir meist beim Schlussapplaus mit besonders starkem Beifall überrascht. Nur weil die Zuschauer ruhiger sind bedeutet das nicht, dass sie nicht mindestens genauso dabei sind. Das haben wir definitiv dazu gelernt.

Stieß das Stück überall auf positive Resonanz, oder hattet Ihr irgendwann mal den Eindruck, die Umsetzung von Wedekinds Kindertragödie als Musical kommt beim lokalen Publikum nicht an? (Bayern wäre da ein guter Kandidat.)
Anna: Natürlich war das Stück nicht überall ausverkauft, und in einem halbvollen Haus sind die Reaktionen innerhalb des Stückes oft verhaltener bzw. nicht so laut, dass sie bei uns auf der Bühne ankommen. Trotzdem habe ich das Gefühl gehabt, dass wir die Leute, die die Vorstellung besucht haben, abgeholt, erreicht haben. Es gab viel Applaus und teilweise sogar Standing Ovations.
Inga: Ich hatte auch den Eindruck, dass das Stück wirklich in allen Regionen sehr gut ankam. Über zu wenig Applaus konnten wir uns wirklich nie beklagen.

Noch eine persönliche Frage: Wie kam es zum Berufswunsch Musicaldarsteller? Gibt es jemanden, der/die Euch nachhaltig beeindruckt/beeinflusst hat? Eine Art Vorbild?
Anna: Ich habe schon früh den Gesang für mich als Ausdrucksmittel entdeckt. Bereits mit 11 Jahren habe ich Gesangsunterricht genommen und in Theater-AGs meiner Schule gespielt.
Auf der Bühne kann ich wütend, traurig, witzig sein, ohne dass es Konsequenzen mit sich zieht. Es ist ein geschützter Raum, der mir die Möglichkeit bietet, Dinge aufzuzeigen, die im Alltag nicht meinem Charakter entsprechen. Ich glaube, das ist der Grund, warum ich diesen Berufsweg gewählt habe.
Eine gute Darstellerin ist für mich jemand, der sich bewegen, der spielen und singen kann, der wandelbar und authentisch ist. Ich wollte Musical studieren, um genau das zu lernen und meine Vielseitigkeit bestmöglich auszubilden.
Natürlich gibt es Menschen, die ich für ihre Fähigkeiten bewundere: Sutton Foster, Willemijn Verkaik oder Kristin Chenoweth.
Inga: Seit meinem ersten Auftritt als Engel mit Solo-Lied im Kindergarten war ich nicht mehr von der Bühne zu bekommen. Mit 8 Jahren habe ich dann erstmals in einer professionellen Produktion am Stadttheater Hildesheim mitgewirkt, einer Kinderoper von Benjamin Britten. Dort im Theater bin ich dann „aufgewachsen“. Ich durfte viele Erfahrungen sammeln, sowohl in der Opernsparte als auch im Schauspiel und Musical. Für mich war immer klar: ich will auf die Bühne! Musical hat mich dann durch seine Vielfältigkeit (drei Sparten in einem: Gesang, Schauspiel und Tanz) am meisten gepackt. Ein bestimmtes Vorbild hatte ich aber nie.

Nach der Derniere wird ja sicher erst einmal eine kleine Verschnaufpause angesagt sein. Wo wird man Euch als nächstes auf der Bühne erleben können?
Anna: Wir fahren am 2. Mai im Rahmen einer Studienreise der Uni nach New York. Dort werden wir auch zwei Konzerte geben. Viele von uns Studenten werden außerdem am Jugend kulturell-Wettbewerb der HypoVereinsbank teilnehmen. Ende Juni findet dann unsere Musical-Combo unter dem Titel „Free your Mind“ statt.
Inga: Neben den kommenden Projekten Konzerte in New York und Philadelphia, Jugend kulturell-Wettbewerb der HypoVereinsbank und unserer Musical Combo werden außerdem einige von uns in der Produktion „Jesus Christ Superstar“ in Bonn im Ensemble zu erleben sein. Und ich freue mich darauf, in der WDR-Sommernacht am 1. Juni in der Kölner Philharmonie zusammen mit dem WDR-Rundfunkorchester auf der Bühne stehen zu dürfen.

Gibt es eine Traumrolle, die Ihr gerne einmal spielen möchtet, vielleicht nicht sofort, sondern in einigen Jahren, mit entsprechender Bühnenerfahrung?
Anna: Auch wenn es vielleicht kitschig klingt, ich würde wirklich gerne irgendwann einmal die Rolle der Elisabeth in „Elisabeth“ spielen, ein Mädchentraum.
Inga: Ich würde sehr gerne einmal Sally Bowles in „Cabaret“ spielen dürfen. Und eine absolute Traumrolle wäre außerdem Bonnie Parker in dem relativ neuen Musical „Bonnie & Clyde“ von Frank Wildhorn.

Kommentare