Ein Mann geht durch die Wand

„Ein Mann geht durch die Wand“ – nach der gleichnamigen Novelle „Le Passe-Muraille“ von Marcel Aymé; Musik: Michel Legrand; Lyrics: Didier van Cauwelaert; Deutsche Bearbeitung: Edith Jeske; Inszenierung: Gil Mehmert; Choreografie: Melissa King; Musikalische Leitung: Patricia Martin, Michael David Mills; Bühne: Beata Kornatowska; Kostüme: Jennifer Thiel. Darsteller: Oliver Morschel/Andreas Bongard (Herr Dutilleul, ein Postbeamter), Marie Lumpp (Isabelle, seine Nachbarin/Frau A/Schaufensterpuppe), Tobias Berroth (der Staatsanwalt, ihr Mann/der neue Chef), Julia Meier (Hure), David Johnston (Zeitungsverkäufer/Dubeurre, ein Arzt/Gefängnisdirektor), Angelo Canonico (Maler), Victoria Reich (Fräulein M/Kommunistin/Schaufensterpuppe), Matthias Kumer (Herr B/Gefängniswärter/Bäcker), Julian Culemann (Herr C/Gefängniswärter), Sandra Pangl (Polizist/Vertreter der Action française), Anna Preckeler (Polizist/Vorsitzender Richter), Léonie Thoms (Frau des Gefängnisdirektors/Rechtsanwalt/Bettler/Schaufensterpuppe). Uraufführung: 6. November 1996, Maison de la Culture, Nantes; 15. Januar 1997, Théâtre des Bouffes-Parisiens, Paris. Broadway Premiere: 20. Oktober 2002, Music Box Theatre, New York City. Deutschsprachige Erstaufführung: 16. April 2012, Theater im Rathaus, Essen.



„Ein Mann geht durch die Wand“


Die Novelle von Marcel Aymé als humorvolles Chanson-Musical


Das Musical „Ein Mann geht durch die Wand“ basiert auf der 1943 erschienenen Novelle „Le Passe-Muraille“ des französischen Schriftstellers und Dramatikers Marcel Aymé. Die Novelle wurde in Deutschland durch die Verfilmung von Ladislao Vajda aus dem Jahr 1959 mit Heinz Rühmann als duckmäuserischem Steuerbeamten Herr Buchsbaum bekannt. 1996 verfassten Michel Legrand (Musik) und Didier van Cauwelaert (Lyrics) auf der Grundlage der Novelle ein Chanson-Musical, das trotz seiner engen Bindung an die Pariser Nachkriegszeit 1997 mit dem Prix Molière als bestes Musical ausgezeichnet wurde. Der Versuch, das Musical 2002 in einer Inszenierung von James Lapine auch am Broadway unter dem Titel „Amour“ zu etablieren, misslang. Nach nur 31 Previews und 17 regulären Vorstellungen wurde die Produktion geschlossen. In der Bearbeitung von Edith Jeske bringt die Folkwang Universität der Künste in Koproduktion mit dem Theater im Rathaus Essen das Musical nun erstmals in deutscher Sprache auf die Bühne.

Zum Inhalt:
Paris, Rue Norvins in Montmartre, im 18. Arrondissement, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Es ist Morgen. Unser Held Herr Dutilleul ist auf dem Weg zur Arbeit. Er ist ein bescheidener Postbeamter, aber in seinem eintönigen Job sehr engagiert, weit mehr als seine eher mürrischen Kollegen. Herr Dutilleuls Lichtblick in seinem tristen Leben ist seine schöne Nachbarin Isabelle. Er gäbe alles für einen Blick von ihr. Als er von der Arbeit kommt, sehen wir Isabelle im Fenster ihrer Wohnung. Was Herr Dutilleul nicht weiß, trotz ihrer respektablen Ehe mit dem Staatsanwalt ist ihr Leben so banal und einsam wie sein eigenes. Am Abend treffen wir die anderen Stammgäste von Montmartre: ein Straßenmaler, eine Hure, ein Zeitungsverkäufer, und den Staatsanwalt, Isabelles Ehemann, mit zwei Polizisten in seinem Gefolge. Im Treppenhaus auf dem Weg nach oben flucht Herr Dutilleul über einen weiteren Stromausfall, ein Symptom der Nachkriegszeit. Als das Licht wieder angeht, ist er zu seinem Erstaunen nicht mehr im Treppenhaus, sondern in seiner Wohnung. Woher hat er diese geheimnisvolle Gabe, durch Wände gehen zu können? Er sucht einen Psychiater auf. Mit den Pillen, die ihm der Arzt verschrieben hat, kehrt er nach Hause zurück und entscheidet sich, seine neuen Kräfte einfach zu ignorieren. Sein Leben ist vielleicht nicht spektakulär, aber zumindest ist es ihm vertraut. Am nächsten Tag wird er jedoch von seinem neuen Chef aufs Gröbste beleidigt und so nutzt er seine Gabe, um Rache an ihm zu nehmen. Inzwischen ist Isabelle traurig und einsam. Ihr Schicksal wird von ihrem gleichgültigen Ehemann, der seine eigenen privaten Vergnügungen hat, ignoriert. Herr Dutilleul beschließt, seine Kräfte zu nutzen, um Gutes zu tun. Als geheimnisvoller „Werwolf“ beginnt er seine Robin-Hood-Kampagne, indem er einer heruntergekommenen Hure Diamanten schenkt, die ihr Geschäft nicht mehr wie zuvor im Krieg ausüben kann. Herr Dutilleul mag zwar durch Wände gehen können, aber ihm fehlt noch der Mut, sich Isabelle zu erklären. Der Maler hat seine geheime Leidenschaft bemerkt und warnt ihn davor, ihr nachzugehen. Trotzdem fasst er einen Plan. Er wird in die Pariser Bank einbrechen und Alarm auslösen, wodurch er auf frischer Tat gefasst wird. Wie kann Isabelle da widerstehen?

Im Gefängnis wartet er auf den Besuch von Isabelle. Die Aufmerksamkeit seiner Arbeitskollegin ist ihm weit weniger willkommen. Verärgert geht er durch die Wand aus dem Gefängnis. Am Montmartre gibt er sich Isabelle zu erkennen. Als sie sagt, sie könne ihren Mann nicht verlassen, entscheidet er sich, sich seinem Schicksal zu fügen und vor Gericht für seine Verbrechen einzustehen. Vor Gericht wird Herr Dutilleul von einem nervösen jungen Rechtsanwalt vertreten, sein einziger Schutz vor dem Zorn des Staatsanwalts, der Herrn Dutilleuls Kopf fordert. Das bizarre Verfahren wird unterbrochen, als Herr Dutilleul Papiere aus dem Bankschließfach präsentiert, die die korrupten Machenschaften des Staatsanwalts beweisen. Der Staatsanwalt müsse vor Gericht stehen, nicht Herr Dutilleul. Dieser erklärt, er habe alles nur aus Liebe getan. Und so wird er freigesprochen, schließlich ist Paris die Stadt der Liebe. Gerade als er Isabelle nach Hause folgen möchte, verliert Herr Dutilleul die Nerven. Doch das Flehen des Ensembles obsiegt, und unsere beiden Liebenden verbringen eine leidenschaftliche Nacht miteinander. Am nächsten Morgen hat Herr Dutilleul einen Kater – vor Liebe, vom Champagner, von allem. Auf der Suche nach ein paar Aspirin findet er die Pillen, die der Arzt ihm gab. Sie kurieren ihn … nicht von seinen Kopfschmerzen, sondern von seiner Fähigkeit, durch Wände gehen zu können. Als die Wirkung der Pillen einsetzt, wird er mitten im Sprung gefangen und bleibt in einer Wand stecken. Seine Freunde kommen einer nach dem anderen, und das Ensemble beklagt, von Isabelle angeführt, was alles hätte sein können. Trotz allem ist Herr Dutilleul alles andere als ein gewöhnlicher Mensch, an den in Liedern und Märchen erinnert wird. Und bis heute gibt es eine Bronzefigur von Jean Marais am Ende der Rue Norvins am Place Marcel-Aymé von dem Mann, der durch Wände gehen konnte. Und das ist der einzige Teil dieser Geschichte, der wirklich wahr ist …

Im Diplom Studiengang Musical an der Folkwang Universität der Künste werden jährlich zum Sommersemester 6 StudentInnen aufgenommen. Die Studienplätze an den staatlichen Hochschulen sind sehr begehrt, allein an der Folkwang Universität gab es in diesem Jahr 180 Bewerber für die 6 Studienplätze im Studiengang Musical. In acht Semestern erfolgt eine grundlegende und breit gefächerte Ausbildung in den Bereichen Schauspiel, Tanz und Gesang. Des weiteren gehören zum Studium die Fächer Musiktheorie, Bewegungslehre, Musical- und Theatergeschichte, die im späteren Verlauf des Studiums durch Liedinterpretation, Combo-Auftritte und verschiedenartigste Theaterprojekte ergänzt werden. Viele dieser Projekte finden in den Aufführungsräumen der Hochschule statt und erfreuen sich beim Publikum größter Beliebtheit. Seit einigen Jahren wird zunehmend auf Koproduktionen mit externen Veranstaltern Wert gelegt, damit die Studierenden so früh wie möglich Erfahrungen im professionellen Theaterbetrieb sammeln können. Die Bandbreite der als Abschlussproduktionen aufgeführten Musicals reicht von den 30er Jahren bis in die neueste Musicalgeschichte und bietet, wie in diesem Jahr mit „Ein Mann geht durch die Wand“ und 2010 mit „High Fidelity“, wiederholt deutschsprachige Erstaufführungen. In den Abschlussprojekten präsentiert jeweils der dritte und vierte Jahrgang des Studiengangs Musical eine große Ensembleproduktion, in diesem Jahr sind an „Ein Mann geht durch die Wand“ Tobias Berroth, David Johnston, Marie Lumpp, Julia Meier, Oliver Morschel und Victoria Reich (4. Jahrgang) sowie Angelo Canonico, Julian Culemann, Matthias Kumer, Sandra Pangl, Anna Preckeler und Leonie Thoms (3. Jahrgang) beteiligt. Auch über die Abschlussproduktionen hinaus besteht eine Zusammenarbeit mit zahlreichen nordrhein-westfälischen Bühnen, unter anderem in Essen, Düsseldorf, Dortmund und Gelsenkirchen. Begehrt ist der Studiengang Musical mit seinem Programm zudem als Gast bei Sonderveranstaltungen und Galas für Unternehmen sowie politisch und kulturell hochrangigen Veranstaltungen, beispielsweise der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010.

Beata Kornatowska hat mit ihrem pfiffigen, in Schwarz-Weiß gehaltenen Einheits-Bühnenbild die kleine Bühne des Theaters im Rathaus Essen, auf der typischerweise Boulevard-Stücke für ein gesetzteres Publikum gespielt werden, in die Rue Norvins in Montmartre verwandelt. Die Akteure selbst tragen die Requisiten, mit denen weitere Handlungsräume wie Herrn Dutilleuls Büro oder Wohnung, das Gefängnis und der Gerichtssaal angedeutet werden, jeweils selbst auf bzw. von der Bühne. Jennifer Thiel setzt mit ihren Kostümen die farbigen Akzente. Gil Mehmert konzentriert sich in seiner Inszenierung auf die Liebesgeschichte zwischen Herrn Dutilleul und Isabelle, die 12 Akteure verkörpern insgesamt 27 an der Handlung beteiligte Personen, so dass die meisten Darsteller in verschiedenen, klar voneinander abgegrenzten Rollen zu erleben sind. Oliver Morschel kann sich als Herr Dutilleul am nachhaltigsten in die Herzen der Zuschauer spielen, die verschiedenen Facetten seiner Rolle vom unscheinbaren Postbeamten über den gewitzten Wohltäter zum am Ziel seiner Träume angelangten Verliebten kann er überzeugend vermitteln, wobei er als Preisträger beim Bundeswettbewerb Gesang zusätzlich mit angenehmer Gesangsstimme punkten kann. Marie Lumpp hat sich als Isabelle bescheiden dem Regiment ihres Mannes untergeordnet und sich in ihr Schicksal gefügt, erst als dieser aus dem Weg geräumt ist, blüht die von ihr dargestellte junge Frau förmlich auf. Tobias Berroth verkörpert den Staatsanwalt, Isabelles Ehemann, sowie Herrn Dutilleuls neuen Chef, beides dominante Charaktere, deren Wesen er herrlich überzogen darstellt. Julia Meier agiert durchgängig in der Rolle des heruntergekommenen Straßenmädchens, das schon bessere Zeiten erlebt hat, aber nicht resigniert hat und sich bei der Gerichtsverhandlung kämpferisch zeigt. David Johnston bringt als Zeitungsverkäufer und später Rundfunkreporter alle Neuigkeiten unter das Volk, als Psychiater Dr. Dubeurre und Gefängnisdirektor, der so gern bei den Comedian Harmonists gesungen hätte, hat er die Lacher auf seiner Seite. Victoria Reich gehört als Fräulein M zur Gruppe der „grauen“, unscheinbaren Postbeamten, als heimlich in Herrn Dutilleul verliebte Arbeitskollegin und als Kommunistin bei der Gerichtsverhandlung kann sie aber auch solistisch auf sich aufmerksam machen. Auch die StudentInnen des 3. Jahrgangs überzeugen durch Spielfreude und großes Können, alle Akteure zeugen vom hohen Ausbildungsniveau der Essener Folkwang Universität der Künste. Beeindruckend, wie man auf der kleinen Bühne – ohne geradewegs in den Kulissen zu landen – auch noch Fahrrad fahren kann, was Sandra Pangl und Anna Preckeler als Polizisten mühelos unter Beweis stellen. Die dreiköpfige Band unter der Musikalischen Leitung von Patricia Martin bringt Michel Legrands durchkomponierte Partitur mit viel Elan zu Gehör, wobei durch die raffinierte Instrumentation ein überraschendes Klangspektrum entsteht. Insgesamt macht es einfach Spaß, den Studierenden des Studiengangs Musical bei ihrem Spiel auf der Bühne zuzuschauen.

Weitere Vorstellungen von „Ein Mann geht durch die Wand“ stehen bis 13. Mai 2012 täglich außer montags auf dem Spielplan. Man darf bereits jetzt auf die Abschlussproduktion des Studiengangs Musical im kommenden Jahr gespannt sein, am 15. März 2013 wird „Frühlings Erwachen“ von Duncan Sheik (Musik) und Steven Sater (Buch und Lyrics) in einer Inszenierung von Wolfgang Türks, der in der Wiener Inszenierung Moritz Stiefel verkörpert hat, als Kooperation mit dem Musiktheater im Revier am Kleinen Haus seine Premiere feiern.

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